Deutsch-britische Hakeleien
Ein halbes Jahr nach dem Brexit läuft der Handel zwischen Baden-Württemberg und der Insel noch lange nicht rund
- Unwägbare Wartezeiten an der Grenze zu Großbritannien, Transportkosten, die immer schwieriger zu kalkulieren sind, und immer wieder zusätzliche Mühe, Arbeit und Zeit, wenn die Mitarbeiter von Andreas Schropp fehlenden Ausfuhrbestätigungen hinterhertelefonieren müssen. Der Versandleiter von elobau steht an vorderster Front, wenn es darum geht, die negativen Auswirkungen des Brexit für den Allgäuer Elektronikspezialisten in den Griff zu bekommen. Elobau stellt elektromechanische Bauteile und elektrische Geräte wie Joysticks und Füllstandsmesser her. Ein Drittel der Exporte geht nach Großbritannien. Schropp spricht von Mehrkosten im unteren sechsstelligen Bereich, die dem Leutkircher Unternehmen aufgrund von mehr Bürokratie seit dem Brexit entstanden sind.
Das Unternehmen elobau ist kein Einzelfall. Viele Unternehmen im Südwesten klagen über mehr Kosten, mehr Aufwand, mehr nervigen Papierkram. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut ist sich des Problems bewusst. „Der Brexit bleibt eine Herausforderung, niemand hat einen nahtlosen Übergang erwartet“, sagte die CDU-Politikerin am Montag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Das schlägt sich auch in der Entwicklung der Handelsbilanz zwischen Baden-Württemberg und dem Vereinigten Königreich nieder: Die Ausfuhren nach Großbritannien sind im ersten Quartal 2021 um 19 Prozent eingebrochen – was teils auch auf die Pandemie zurückzuführen ist.“
Am Nachmittag hatte Hoffmeister-Kraut gemeinsam mit dem britischen Generalkonsul Simon Kendall sowie Vertretern der baden-württembergischen Wirtschaft eine erste Zwischenbilanz nach sechs Monaten Brexit gezogen. Und die fällt durchwachsen aus. Die ersten Monate des Jahres seien von Lieferproblemen geprägt gewesen – sei es aufgrund neuer Vorschriften und Formalitäten, der trotz des Abkommens anfallenden Zölle oder der erforderlichen Bürokratie. „Die Unternehmen stellen sich allmählich auf die neuen Gegebenheiten ein, doch wir sehen, dass es in einigen Bereichen über die erwarteten Startschwierigkeiten hinausgeht“, erklärte die Ministerin weiter. „Die Margen vieler Unternehmen sind aufgebraucht, sie exportieren zwar noch, aber verdienen damit kaum Geld.“
Probleme bereiten den Unternehmen nach Angaben HoffmeisterKrauts
auch Visafragen, das neue britische Zertifizierungslabel UKCA sowie die Anerkennung von Qualifikationen. Zwar erhielten Mitarbeiter deutscher Unternehmen ein Visum nach einem vereinfachten Verfahren, das gelte aber nicht für Personal, das bei Subunternehmen beispielsweise in Tschechien angestellt ist. Bei der Zertifizierung ist momentan noch eine Übergangsfrist bis Ende des Jahres vorgesehen. Dann müssen die meisten Produkte, die bisher unter die europäische CE-Kennzeichnung fallen, das UKCA-Label tragen, geprüft von einer in Großbritannien anerkannten und zugelassenen Stelle. Die Unternehmen hoffen teilweise auf eine weitere Fristverlängerung. Auch bei der Anerkennung von
Berufsqualifikationen besteht nach Angaben von Hoffmeister-Kraut noch Klärungsbedarf.
Grundsätzlich sind an der kompletten Lieferkette mehrere Akteure beteiligt: der Produzent in Deutschland, der sich um die Formalitäten für die Ausfuhr aus der Europäischen Union kümmert, der Spediteur, der die richtigen Dokumente für den Grenzübergang braucht und auf britischer Seite der Kunde, der in der Regel für das Einfuhrverfahren zuständig ist.
Bis jetzt gilt noch das sogenannte vereinfachte Zollverfahren, das aber Ende des Jahres ausläuft. Dieses sieht vor, dass die Ware die Grenze passieren darf und die Formalitäten erst beim Kunden vor Ort im Vereinigten
Königreich erledigt werden können. Für die komplette Einfuhrerklärung dürfen sich die Unternehmen derzeit noch sechs Monate Zeit lassen.
Genau mit solchen Formalitäten hat Jessica Landthaler, Gesamtverantwortliche Zoll beim Holzbauunternehmen Pfleiderer mit Stammsitz in Neumarkt in der Oberpfalz und einem großen Werk in Leutkirch im Allgäu, zu tun – zumindest in den Fällen, wenn ihr Unternehmen Produkte aus Deutschland ins britische Pfleiderer-Lager schickt. Wesentlich schwieriger sei es seit Anfang Januar zudem geworden, in England Lastwagenfahrer für die Auslieferung der eingelagerten Produkte zu finden: Viele Fahrer kamen vor dem Brexit aus anderen EU-Staaten und haben nun Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen.
Für Pfleiderer ist Großbritannien nach eigenen Angaben ein wichtiger Markt. Wenn die Holzwerkstoffe wie Arbeitsplatten für Küchen und Möbelfronten nicht ins britische Lager gehen, sondern direkt an die Kunden geliefert werden, hat das Unternehmen die komplexer gewordene Auslieferung im Griff, erklärt Landthaler. „Wir hatten ein paar Startschwierigkeiten, aber inzwischen läuft die Ausfuhr nach Großbritannien sehr gut“, sagt die Ausfuhrexpertin. „Auch wenn der eine oder andere Lastwagen mal über Nacht an der Grenze stehen bleiben musste.“
Die Erfahrungen bei elobau sind weniger gut. Versandleiter Schropp fehlt in etwa fünf Prozent der Fälle die elektronische Benachrichtigung, dass die Ware die Grenze passiert hat, was zusätzliche Telefoniererei und zusätzlichen Aufwand bedeutet. Diese Ausfuhrbestätigung benötigt das Unternehmen aber für die Nachweispflicht, also muss es den fehlenden Meldungen bei den Speditionen nachgehen.
Angesichts der Probleme betonten Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut und Generalkonsul Kendall den Willen zur Zusammenarbeit. „In all meinen Gesprächen mit Unternehmen in Baden-Württemberg stelle ich den Wunsch fest, sich auf die Zukunft zu konzentrieren und weiterhin Geschäfte mit und in Großbritannien zu machen“, sagte Kendall nach den Gesprächen. Eine zentrale Plattform hierfür sei die Partnerschaftsinitiative BadenWürttemberg – United Kingdom, welche die Wirtschaftsministerin gemeinsam mit dem britischen Generalkonsul Simon Kendall sowie dem britischen Handelsministerium im Februar 2020 ins Leben gerufen hat. „Eine ganz wichtige Initiative, um die Beziehungen zu Großbritannien wieder auf eine andere Ebene zu heben. Denn der Brexit hat schon einen deutlichen Bruch bedeutet“, sagte Hoffmeister-Kraut.
Die Partnerschaftsinitiative konzentriert sich derzeit auf drei Sektoren: die gemeinsame Entwicklung neuer Mobilitätslösungen im Automobilbereich, die digitale Transformation der Gesundheitswirtschaft sowie auf die Förderung von Innovationen in Unternehmen mithilfe der Kreativwirtschaft. „Erst in der vergangenen Woche haben Herr Generalkonsul Kendall und ich mit britischen und baden-württembergischen Experten eine vertiefte Zusammenarbeit im Bereich Kreativwirtschaft angestoßen. Den Fokus möchten wir auf den Einsatz von Games-Techniken und Virtual Reality als Innovationstreiber in Unternehmen legen“, führte die Ministerin aus. Eine Umsetzung sei insbesondere in Kooperation mit der Medienund Filmgesellschaft Baden-Württemberg und dem Virtual Dimension Center in Fellbach geplant. Auf britischer Seite gebe es starkes Interesse seitens der Länder Schottland, Wales und der Region London.
Für Unternehmen wie elobau und Pfleiderer sind dagegen erst einmal viel konkretere und handfestere Verbesserungen wichtiger. Die Europäische Union und Großbritannien müsse vor allem dafür sorgen, dass die Behörden so ausgestattet werden, dass die Unternehmen die Auflagen, die sich aus dem Austrittsabkommen ergeben, überhaupt erfüllen können. „Die Infrastruktur dort muss stimmen, und das Personal an den Grenzen muss da sein“, sagt Schropp. Wie Pfleiderer-Zollexpertin Landthaler blickt auch der elobau-Versandleiter skeptisch auf das Ende des vereinfachten Verfahrens im Dezember 2021. Dann entfällt für die meisten Produkte der Bearbeitungspuffer von einem halben Jahr, und die Einfuhr muss sofort vollständig und vermutlich direkt an den Grenzübergängen angemeldet werden, was einen enormen zusätzlichen Organisationsaufwand bedeutet.
„Es ist ausschlaggebend, wie sich die britische Regierung mit Fachpersonal auf den erwarteten Ansturm vorbereitet“, sagt Landthaler. Sie ist sich aber sicher: „Auch wenn nach Ende des vereinfachten Verfahrens schwierige Wochen auf uns zukommen, werden wir die überbrücken.“Auch Schropp setzt auf diesen Pragmatismus. Etwas anderes bleibt den Versandabteilungen der badenwürttembergischen Unternehmen auch nicht übrig.