Weniger Salz und Zucker
Die Briten lieben Chips, Hamburger und süße Getränke – Nun will eine Kommission den Kampf gegen Junkfood und Fettleibigkeit aufnehmen und schlägt dafür Steuern vor
- Dass die Briten wie viele andere Westeuropäer zu dick sind, lässt sich seit vielen Jahren nicht übersehen. Gut gemeinte Ratschläge und Appelle an die Willenskraft der Konsumenten hatten wenig Wirkung: Chips, Hamburger und süße Drinks bleiben der Bevölkerung Lieblingsspeisen.
Im Kampf gegen Junkfood und Fettleibigkeit muss eine Steuer auf Zucker und Salz her, fordert jetzt eine Regierungskommission. „Was wir essen und wie wir die Nahrung produzieren, fügt unserem Planeten und unserer Gesundheit furchtbaren Schaden zu“, resümiert deren Chef Henry Dimbleby. Unter Kindern und Erwachsenen auf der Insel hat die
Fettsucht (Adipositas) in den vergangenen zwanzig Jahren stetig zugenommen. Sie wird nach internationaler Übereinkunft bei einem BodyMass-Index (BMI) von mehr als 30 angenommen. Eine detaillierte Untersuchung des Nationalen Gesundheitssystems NHS in England – die Statistiken in den anderen Regionen Schottland, Nordirland und Wales sehen nicht besser aus – ergab 2019 alarmierende Werte.
Gut ein Drittel der 45- bis 74-Jährigen wurde als fettleibig eingestuft, weitere 40 Prozent hatten Übergewicht (BMI von mindestens 25). Gerade mal ein Viertel hat, was Fachleute als Normalgewicht annehmen, nämlich einen BMI zwischen 18,5 und 25. Schon bei den Elfjährigen sind 35 Prozent zu dick oder adipös, mit erheblichen Unterschieden je nach Haushaltseinkommen: 14 Prozent der Kinder aus wohlhabenderen Familien, aber 27 Prozent der Armen wurden als fettleibig gemessen.
In der Gesamtbevölkerung aller Altersgruppen ist ein Drittel adipös, ein weiteres Drittel übergewichtig. Die Behandlung vermeidbarer Krankheiten bei überdimensionierten Patienten kostet das NHS zuverlässigen Schätzungen zufolge jährlich mindestens 6,6 Milliarden Euro.
Die Regierung stützte sich zuletzt auf Aufklärungskampagnen und flotte Sprüche, der wichtigste Fürsprecher war Premierminister Boris Johnson selbst. Dessen schwere Covid-Erkrankung zu Ostern 2020 hat den einstigen Vorkämpfer für die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zu einem Gesundheitsapostel mutieren lassen. Denn eigener Aussage zufolge trug das Übergewicht des damals 55-Jährigen stark zum kurzzeitig notwendigen Aufenthalt auf der Intensivstation bei. Tatsächlich ergaben wissenschaftliche Studien zu Sars-CoV-2: Das Risiko für einen ernsten Krankheitsverlauf liegt bei Fettsüchtigen zehnmal so hoch wie bei Normalgewichtigen.
„Sei mit Fünfzig kein Dickerchen“, predigt der mittlerweile 57jährige Johnson deshalb, lässt sich beim Joggen fotografieren und demonstriert Interviewpartnern auch gern einige Liegestütze. Ob der Konservative aber den Vorschlägen der Kommission folgt und wirklich höhere Steuern einführt?
Schon machen die mächtigen
Londoner Boulevardzeitungen Front gegen Dimbleby, den Besitzer einer erfolgreichen Restaurantkette, und sein Team, dem hochrangige Einzelhandelsmanager angehören. Der „durchgeknallte“Vorschlag einer Zucker- und Salzsteuer werde jeden Haushalt 201 Euro pro Jahr kosten, hat die britische Zeitung „The Sun“errechnet. Jeder kleine Beutel Kartoffelchips werde um einen Penny, ein Schokoriegel um 14 Prozent teurer. Bezahlen soll vor allem die Nahrungsmittelindustrie beim Großhändler, nämlich drei Pfund pro Kilo Zucker und sechs Pfund pro Kilo Salz.
Zusätzliche Milliarden-Einnahmen für die maroden Staatsfinanzen sind allerdings kaum zu erwarten. Denn die Kommission setzt den
Steuerknüppel vor allem als Drohgebärde ein. Bei der BBC verwies Dimbleby auf eine Maßnahme, die 2018 nach langem Zögern von Johnsons Vorgängerin Theresa May durchgesetzt wurde: eine Steuer auf extrem zuckerhaltige Drinks.
Anstatt, wie von der Getränkeindustrie jahrelang lautstark behauptet, für Umsatzrückgänge und Jobverluste zu sorgen, gingen die Verkaufszahlen seither um 15 Prozent hoch. Gleichzeitig nahm der Zuckerkonsum aus Softdrinks um 35 Prozent ab. Warum? „Weil die Firmen ihre Rezepte änderten und den Zuckergehalt reduzierten, womit sie gleichzeitig Steuerzahlungen vermieden“, resümiert der berühmte Fernsehkoch Jamie Oliver, ein prominenter Unterstützer der Kommission.