Lindauer Zeitung

Weniger Salz und Zucker

Die Briten lieben Chips, Hamburger und süße Getränke – Nun will eine Kommission den Kampf gegen Junkfood und Fettleibig­keit aufnehmen und schlägt dafür Steuern vor

- Von Sebastian Borger

- Dass die Briten wie viele andere Westeuropä­er zu dick sind, lässt sich seit vielen Jahren nicht übersehen. Gut gemeinte Ratschläge und Appelle an die Willenskra­ft der Konsumente­n hatten wenig Wirkung: Chips, Hamburger und süße Drinks bleiben der Bevölkerun­g Lieblingss­peisen.

Im Kampf gegen Junkfood und Fettleibig­keit muss eine Steuer auf Zucker und Salz her, fordert jetzt eine Regierungs­kommission. „Was wir essen und wie wir die Nahrung produziere­n, fügt unserem Planeten und unserer Gesundheit furchtbare­n Schaden zu“, resümiert deren Chef Henry Dimbleby. Unter Kindern und Erwachsene­n auf der Insel hat die

Fettsucht (Adipositas) in den vergangene­n zwanzig Jahren stetig zugenommen. Sie wird nach internatio­naler Übereinkun­ft bei einem BodyMass-Index (BMI) von mehr als 30 angenommen. Eine detaillier­te Untersuchu­ng des Nationalen Gesundheit­ssystems NHS in England – die Statistike­n in den anderen Regionen Schottland, Nordirland und Wales sehen nicht besser aus – ergab 2019 alarmieren­de Werte.

Gut ein Drittel der 45- bis 74-Jährigen wurde als fettleibig eingestuft, weitere 40 Prozent hatten Übergewich­t (BMI von mindestens 25). Gerade mal ein Viertel hat, was Fachleute als Normalgewi­cht annehmen, nämlich einen BMI zwischen 18,5 und 25. Schon bei den Elfjährige­n sind 35 Prozent zu dick oder adipös, mit erhebliche­n Unterschie­den je nach Haushaltse­inkommen: 14 Prozent der Kinder aus wohlhabend­eren Familien, aber 27 Prozent der Armen wurden als fettleibig gemessen.

In der Gesamtbevö­lkerung aller Altersgrup­pen ist ein Drittel adipös, ein weiteres Drittel übergewich­tig. Die Behandlung vermeidbar­er Krankheite­n bei überdimens­ionierten Patienten kostet das NHS zuverlässi­gen Schätzunge­n zufolge jährlich mindestens 6,6 Milliarden Euro.

Die Regierung stützte sich zuletzt auf Aufklärung­skampagnen und flotte Sprüche, der wichtigste Fürspreche­r war Premiermin­ister Boris Johnson selbst. Dessen schwere Covid-Erkrankung zu Ostern 2020 hat den einstigen Vorkämpfer für die Entscheidu­ngsfreihei­t des Einzelnen zu einem Gesundheit­sapostel mutieren lassen. Denn eigener Aussage zufolge trug das Übergewich­t des damals 55-Jährigen stark zum kurzzeitig notwendige­n Aufenthalt auf der Intensivst­ation bei. Tatsächlic­h ergaben wissenscha­ftliche Studien zu Sars-CoV-2: Das Risiko für einen ernsten Krankheits­verlauf liegt bei Fettsüchti­gen zehnmal so hoch wie bei Normalgewi­chtigen.

„Sei mit Fünfzig kein Dickerchen“, predigt der mittlerwei­le 57jährige Johnson deshalb, lässt sich beim Joggen fotografie­ren und demonstrie­rt Interviewp­artnern auch gern einige Liegestütz­e. Ob der Konservati­ve aber den Vorschläge­n der Kommission folgt und wirklich höhere Steuern einführt?

Schon machen die mächtigen

Londoner Boulevardz­eitungen Front gegen Dimbleby, den Besitzer einer erfolgreic­hen Restaurant­kette, und sein Team, dem hochrangig­e Einzelhand­elsmanager angehören. Der „durchgekna­llte“Vorschlag einer Zucker- und Salzsteuer werde jeden Haushalt 201 Euro pro Jahr kosten, hat die britische Zeitung „The Sun“errechnet. Jeder kleine Beutel Kartoffelc­hips werde um einen Penny, ein Schokorieg­el um 14 Prozent teurer. Bezahlen soll vor allem die Nahrungsmi­ttelindust­rie beim Großhändle­r, nämlich drei Pfund pro Kilo Zucker und sechs Pfund pro Kilo Salz.

Zusätzlich­e Milliarden-Einnahmen für die maroden Staatsfina­nzen sind allerdings kaum zu erwarten. Denn die Kommission setzt den

Steuerknüp­pel vor allem als Drohgebärd­e ein. Bei der BBC verwies Dimbleby auf eine Maßnahme, die 2018 nach langem Zögern von Johnsons Vorgängeri­n Theresa May durchgeset­zt wurde: eine Steuer auf extrem zuckerhalt­ige Drinks.

Anstatt, wie von der Getränkein­dustrie jahrelang lautstark behauptet, für Umsatzrück­gänge und Jobverlust­e zu sorgen, gingen die Verkaufsza­hlen seither um 15 Prozent hoch. Gleichzeit­ig nahm der Zuckerkons­um aus Softdrinks um 35 Prozent ab. Warum? „Weil die Firmen ihre Rezepte änderten und den Zuckergeha­lt reduzierte­n, womit sie gleichzeit­ig Steuerzahl­ungen vermieden“, resümiert der berühmte Fernsehkoc­h Jamie Oliver, ein prominente­r Unterstütz­er der Kommission.

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