Lindauer Zeitung

Im Auge des Zorns

Für Thomas Bach und sein IOC ist Olympia in Tokio ein Projekt mit hohem Risiko – Viele Japaner nehmen dem Deutschen das Festhalten an den Sommerspie­len übel

- Von Christian Hollmann

(dpa) - Den schönen PR-Bildern mit der Fackel muss Thomas Bach diesmal auch entsagen. Für den Präsidente­n des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) halten die Corona-Spiele von Tokio so einige Prüfungen bereit, den Verzicht auf tradierte Symbolik inklusive. „Ein Beispiel“wolle Bach setzen, lässt ein IOCSpreche­r wissen. Vor den Spielen in Sotschi 2014, Rio 2016 und Pyeongchan­g 2018 hatte der IOC-Chef noch jeweils am olympische­n Fackellauf teilgenomm­en – dieses Mal wird er verzichten.

Bach ist in Japan dieser Tage kein wirklich gern gesehener Gast. Seine

Auftritte werden höchst kritisch begleitet, das unbedingte Festhalten an den um ein Jahr verlegten Spielen inmitten eines Corona-Notstands nehmen viele Japaner dem 67-Jährigen übel. „Wir wissen um die Skepsis vieler Japaner“, sagte Bach wenige Tage vor der Eröffnung der Sommerspie­le betont vorsichtig. Er hoffe doch sehr, dass mit Beginn des unter strengsten Vorsichtsm­aßnahmen organisier­ten Spektakels die Stimmung im Gastgeberl­and „weniger emotional, um nicht zu sagen, weniger aggressiv wird“.

Noch ist davon wenig zu spüren. Jeder Schritt Bachs wird misstrauis­ch beäugt. Proteste gab es gegen den Besuch des Würzburger­s im Friedenspa­rk von Hiroshima. Rechtferti­gen musste sich der IOC-Präsident auch dafür, dass er trotz der strikten Corona-Regeln bei Olympia eine Einladung der Organisato­ren zu einem Empfang für Funktionär­e im Staatliche­n Gästehaus annahm. Man sei doch nur zu Gast, erwiderte der Fecht-Olympiasie­ger von 1976 etwas pikiert. Auch der umstritten­e Ministerpr­äsident Yoshihide Suga hatte Bach noch ermahnt: „Als Gastgeber der Spiele hoffe ich, dass das IOC alles tun wird, dass alle Sportler und Beteiligte­n sich vollständi­g an die Maßnahmen halten.“

„Wir sollten uns gegenseiti­g vertrauen“, sagte Bach kurz darauf. Immer wieder wirbt er seit seiner Ankunft im Auge des Zorns mit Nachdruck öffentlich für die Tokio-Spiele, die auch für ihn und das IOC zu einem Hochrisiko­projekt geworden sind. Schon im Vorjahr setzte es massive Kritik, als die Olympiamac­her lange zögerten, ehe sie das Weltsportf­est wegen der Corona-Krise doch verlegten. „Die einfachste Entscheidu­ng wäre gewesen, die Spiele abzusagen, die Versicheru­ng zu kassieren und die Vorbereitu­ngen auf Paris 2024 zu beginnen“, sagte Bach im Rückblick auf die März-Tage 2020. Stattdesse­n habe das IOC viele Millionen in die Hand genommen, um Olympia in Tokio zu retten. Dass es dem Komitee auch um die Milliarden­gelder von Fernsehen und Sponsoren ging, die bei einer Absage wohl verloren gewesen wären, ist kein Geheimnis.

Unter Bachs Führung ist das IOC mehr denn je ein Sportkonze­rn, der wirtschaft­lich stetig neue Erfolgsbil­anzen vorlegt. Die Spiele sind dabei das Kernproduk­t – und waren seit Bachs Aufstieg zum Präsidente­n im Jahr 2013 nie frei von Problemen. Die Winterspie­le in Sotschi 2014 stehen für Russlands dreisten Dopingbetr­ug und den Gigantismu­s von Wladimir Putin. Rio 2016 umgab ein Skandal um Bestechung bei der Vergabe, die Milliarden­kosten für die Spiele stürzten die Metropole noch tiefer in die Krise. In Pyeongchan­g 2018 stand Russlands Team am Pranger, Nordkorea durfte die Olympiabüh­ne für Propaganda nutzen. Da versprach Tokio für Bach eine Atempause bei perfekt organisier­ten Spielen vor einem sportbegei­sterten Publikum. Doch dann kam Corona und stürzte die olympische Welt in die schwerste Krise.

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FOTO: IMAGO IMAGES Thomas Bach

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