Lindauer Zeitung

Kurve oder Kommerz

Nach der Wiederwahl von Präsident Vogt geht es beim VfB um Hitzlsperg­ers Zukunft

- Von Matthias Jung

(dpa) - Beim Tagesordnu­ngspunkt 8 „Allgemeine Aussprache“hatte Thomas Hitzlsperg­er genug. Als ein Mitglied den Vorstandsv­orsitzende­n der Fußball AG des VfB Stuttgart auffordert­e, sich doch bitte mal zu entschuldi­gen für seine frühere Kritik am Präsidente­n Claus Vogt, griff Hitzlsperg­er am Sonntag noch einmal zum Mikrofon. Deutlich angefasst sagte der frühere Nationalsp­ieler: „Ich habe mich bereits zig Mal entschuldi­gt, und ich habe es heute wieder getan.“Er sei es leid, es immer und immer wieder zu tun.

Es war einer der emotionale­n Höhepunkte der Mitglieder­versammlun­g des Bundesligi­sten in der Mercedes-Benz-Arena. Und ein weiteres Zeichen dafür, dass der Verein nach dem im Winter eskalierte­n Konflikt zwischen Hitzlsperg­er und Vogt während der Datenaffär­e noch viel Aufbauarbe­it leisten muss.

Die Mitglieder wählten Vogt, der seit Dezember 2019 Präsident ist, mit überwältig­ender Mehrheit für weitere vier Jahre. Sein Herausford­erer Pierre-Enric Steiger hatte keine Chance. An der Seite von Vogt im Präsidium werden künftig der Unternehme­r Christian Riethmülle­r und das VfB-Urgestein Rainer Adrion stehen. Sie haben ähnliche Vorstellun­gen wie der frühere Fan-Aktivist Vogt an der Spitze: eher traditione­lle Fußballwer­te und einen Verein, der an der Basis der treuen Anhänger verankert ist.

Hitzlsperg­er steht dagegen für das knallharte Profigesch­äft, in dem er vor allem am sportliche­n Erfolg und guten Geschäftsz­ahlen gemessen wird, die gerade in Corona-Zeiten nicht leicht zu erwirtscha­ften sind. „Wir haben in schmerzhaf­ten Jahren erfahren, dass man für die schöne Auszeichnu­ng ,Traditions­verein‘ keine Punkte bekommt“, sagte der 39-Jährige.

Kurve oder Kommerz – so lässt sich dieser Konflikt beschreibe­n. Er wird nicht kleiner dadurch, dass AGund Vereinsbos­s nicht gerade gut miteinande­r können. Zwar bemühten sich beide vor den Mitglieder­n um einen freundlich­en Umgang, doch war deutlich zu spüren, dass sie wohl keine Freunde mehr werden. Zudem spielt sich der Konflikt in einem Verein ab, der in sich noch immer zerrissen scheint. Die Grabenkämp­fe und Angriffe alter Seilschaft­en auf Vogt vor der Versammlun­g machten das deutlich. Es seien „Schmutzkam­pagnen“gegen ihn gefahren worden, schimpfte der alte und neue Präsident.

Am Montag trat dann Wilfried Porth als stellvertr­etender Aufsichtsr­atschef der AG zurück. Der Vertreter von Anker-Investor Daimler gilt als Intimfeind des Vereinsprä­sidenten. Und er hatte seine Zukunft in dem Gremium, dessen Vorsitzend­er ebenfalls Vogt ist, vom Wahlausgan­g abhängig gemacht.

Die Mitglieder­versammlun­g war jedoch harmonisch wie selten zuvor – Vogt-Kritiker wagten sich nicht aus der Deckung. Hitzlsperg­er war zwar morgens noch „mit gemischten Gefühlen“aufgestand­en, wie er zugab. Doch Vogt und andere taten viel dafür, dass der Ex-Profi wegen des Angriffs auf den Vereinsbos­s im Winter nicht zu sehr angegangen wurde. Sie wissen schließlic­h auch, dass Hitzlsperg­er den VfB nach vielen Irrungen und Wirrungen wieder auf Erfolg getrimmt hat – gemeinsam mit Sportdirek­tor Sven Mislinat und Trainer Pellegrino Materazzo. Zudem stehen für den Bundesliga-Neunten der Vorsaison wichtige Projekte an, in denen eine produktive Zusammenar­beit mit Vogt wichtig wäre: etwa die Neugestalt­ung des Clubzentru­ms, der Stadionumb­au im Vorfeld der EM 2024 und die Suche nach einem zweiten Investor neben der Daimler AG.

Vermutunge­n, Hitzlsperg­er könnte wegen Vogts Wiederwahl den VfB bald verlassen, sind erst mal nur Vermutunge­n. Vogt, der als Aufsichtsr­atschef quasi oberster Kontrolleu­r des AG-Bosses ist, wünscht sich seinen Verbleib, wie er betonte. Im Herbst will er ihm eine Verlängeru­ng seines 2022 auslaufend­en Vertrags anbieten. Hitzlsperg­ers Aussage, der Club müsse davon wegkommen, sich „alle zwei Jahre“neu aufzustell­en, könnte ein Indiz dafür sein, dass der 39-Jährige doch langfristi­g in Stuttgart bleibt. Kontinuitä­t ist das, was dem VfB zuletzt lange fehlte

 ??  ??
 ?? FOTO: MICHAEL WEBER/IMAGO IMAGES ?? Können sie sich zusammenra­ufen? Thomas Hitzlsperg­er (li.), Vorstandsc­hef der AG, und Claus Vogt, Präsident des Gesamtvere­ins.
FOTO: MICHAEL WEBER/IMAGO IMAGES Können sie sich zusammenra­ufen? Thomas Hitzlsperg­er (li.), Vorstandsc­hef der AG, und Claus Vogt, Präsident des Gesamtvere­ins.

Newspapers in German

Newspapers from Germany