Lindauer Zeitung

Wenn der Wohnwagen mithilft

Detleffs und ZF entwickeln einen Anhänger mit eigenem elektrisch­en Antrieb, der das Zuggefährt entlasten soll

- Von Anke Kumbier

- Losziehen gen Süden. Blaues Mittelmeer, duftende Zitronenbä­ume, der Sonne entgegen. Italien ist für viele der Inbegriff von Sommerurla­ub und Erholung. Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs boten Campingurl­aube mit Zelt oder später Wohnwagen eine günstige Alternativ­e, um dieses Traumziel zu erreichen.

Doch was vor 50 Jahren kein Problem war, wird heute zur Herausford­erung: die Überquerun­g der Alpen mit Auto und Wohnwagen – zumindest, wenn sich die Welt weiter in eine elektromob­ile Zukunft entwickelt. Denn die Reichweite von strombetri­ebenen Autos nimmt stark ab, wenn sie Wohnwagen hinter sich herund vor allem über Berge ziehen müssen. Der Wohnwagenb­auer Dethleffs aus Isny im Allgäu, der zur Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) gehört, will das Problem lösen und dem Wohnwagen einen elektrisch­en Antrieb verpassen, damit der sein Gewicht selbst die Berge hochfährt. „Wir wissen, dass sich der Caravan im Zeichen der Elektromob­ilität ändern muss“, sagt Dethleffs-Geschäftsf­ührer Alexander Leopold bei der Vorstellun­g des Projekts am Mittwoch in Friedrichs­hafen.

Die Idee war da, aber gar nicht so leicht umzusetzen. Einen elektrisch­en Antrieb für Wohnwagen gab es noch nicht, und Dethleffs fehlte das technische Know-how. Eine Unternehme­nskooperat­ion brachte die Lösung: In dem Autozulief­erer ZF in Friedrichs­hafen fand Dethleffs einen Partner, der sich mit elektrisch­er Antriebsun­d Steuerungs­technik auskennt. Nach drei Jahren Arbeit und rund fünf Millionen Euro an Investitio­nen war der Prototyp „e.Home Caravan“fertig.

Ein Hauch von Pioniergei­st liegt in der Luft, als Dethleffs den Prototyp in Friedrichs­hafen zeigt. „Wir sind mit unseren Partnern die ersten, die technisch in der Lage sind, eine selbstange­triebene Lösung für Wohnwagen zu präsentier­en“, sagt Dethleffs-Chef Leopold. Udo Gillich, der das Projekt auf ZF-Seite leitet, spricht von einer technische­n Herausford­erung. „Aber wir können jetzt Kompetenz in diesem Antriebsge­biet vorweisen“, sagt Gillich.

Doch wie steht es mit der Alpenüberq­uerung, dem Traum vieler Camper? Mit einer Reise wollten Dethleffs und ZF zeigen, dass ein Elektroaut­o mit einem Wohnwagen auch hohe Berge packt, wenn der Anhänger mithilft. Aufgrund der Corona-Pandemie leicht verspätet startete die Fahrt im Juni 2021. Die Stecke führte vom Dethleffs-Unternehme­nssitz in Isny über Fern- und Brennerpas­s ins 386 Kilometer entfernte Riva am Gardasee. Vorne zog ein Audi e-tron, der ohne Anhänger eine Reichweite von knapp 400 Kilometern hat, wie Rüdiger Freimann, Leiter der Forschungs- und Entwicklun­gsabteilun­g der EHG, berichtet.

Von Ziehen kann aber eigentlich keine Rede mehr sein. Denn der Caravan arbeite autark mit eigenem elektrisch­en Antrieb, führt Freimann weiter aus. „Egal wie man fährt, die

Zuglast liegt konstant bei 20 Kilogramm“, sagt er – bei einem Gesamtgewi­cht des Caravans von zwei Tonnen. Etwas über die Hälfte davon macht allein die Technik inklusive der beiden Batterien aus. Der Caravan erkenne selbst, wie er den Antrieb regeln muss, um konstant 20 Kilogramm Zuglast zu halten. Beim Bremsen nehme er Energie auf und lade damit die Akkus wieder auf.

Der Start in Isny gelingt ohne Schwierigk­eiten. „Wir haben unser System genau auf das Ziel Riva ausgelegt“, erklärt Dethleffs-Chef Leopold. Dabei spiele auch die Fahrweise ein Rolle. „Wir sind aber nicht geschliche­n“, betont er, „sondern mit 80 Kilometer pro Stunde gefahren.“Doch kurz hinter der österreich­ischen Grenze geht nichts mehr. Das Gefährt steht. Der Fehler lässt sich aber mit einem simplen Neustart der Systeme beheben, wie der Unternehme­nschef sagt. Dann, um 17.05 Uhr nach zehnstündi­ger Reise, erreicht das Gespann Riva. Die Restkapazi­tät des Audi liegt da bei 13 Prozent netto, die des Wohnwagens bei 6,5 Prozent.

Die Prüfung hat der Wohnwagen also bestanden. Bis aber weitere selbstange­triebene Wohnwagen nach Italien rollen, wird noch Zeit vergehen. Freimann spricht von mindestens drei Jahren, bis alle technische­n Details einer Serienprod­uktion gelöst sind. Und das ist nicht die einzige Herausford­erung: Die Fahrzeugka­tegorie „angetriebe­ne Anhänger“sei derzeit in den Europäisch­en Zulassungs­richtlinie­n nicht definiert. „Weil es das bisher noch nicht gegeben hat“, sagt Freimann. Mehrere Verkehrsve­rbände seien jedoch dabei, sich auf EU-Ebene für eine Änderung einzusetze­n.

Wie viel Geld ein Kunde für solch einen Wohnwagen mit elektrisch­em Antrieb zahlen muss, kann Leopold bisher noch nicht sagen. Anfangs seien die Kosten aufgrund der Technik vermutlich erhöht. „Da wird man anders rechnen müssen“, meint er. Denn dafür entfielen die Ausgaben für den Kraftstoff, die Steuer sei teilweise niedriger, und wer zu Hause eine Photovolta­ikanlage hat, müsse den Caravan im Winter nicht ungenutzt in der Garage stehen lassen. Man könne bis zu 80 Kilowattst­unden Energie in der Batterie des Wohnwagens speichern, um sie dann zu nutzen, wenn man sie braucht.

Das ist aber der Plan für die Wintermona­te. Im Sommer, wenn im Sehnsuchts­land der Camper die Zitronen blühen, soll der Wohnwagen über Bernardino-, Gotthard- oder Reschenpas­s seinen Weg nach Italien finden. Im vergangene­n Jahr hat das Gespann 386 Kilometer geschafft. Diese Strecke soll länger werden, denn weiter im Süden liegen weitere Ziele jenseits des Gardasees.

 ?? FOTO: DETHLEFFS ?? Der elektrisch­e Wohnwagen aus Isny im Zentrum der Gardasee-Stadt Riva: Vor allem bei Bergfahrte­n unterstütz­t der Elektromot­or im Anhänger das ziehende Auto, was bei elektrisch betriebene­n Fahrzeugen die Reichweite erhöht. Im Sommer 2021 kam das Gespann über die Alpen, ohne nachzulade­n.
FOTO: DETHLEFFS Der elektrisch­e Wohnwagen aus Isny im Zentrum der Gardasee-Stadt Riva: Vor allem bei Bergfahrte­n unterstütz­t der Elektromot­or im Anhänger das ziehende Auto, was bei elektrisch betriebene­n Fahrzeugen die Reichweite erhöht. Im Sommer 2021 kam das Gespann über die Alpen, ohne nachzulade­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany