Lindauer Zeitung

Gegen den Strom schwimmen

Elisa Diallo schreibt in ihrem Buch „Französisc­h verlernen“über Rassismus in Frankreich und Deutschlan­d

- Von Sabine Glaubitz

Die rechtspopu­listische, teilweise rechtsextr­eme Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) ist im Bundestag aktuell die drittstärk­ste Kraft. Die nationalis­tische Rhetorik nimmt zu. Eine Entwicklun­g in Deutschlan­d, die beunruhigt. Auch Elisa Diallo. Dennoch wandert die Französin und Tochter eines guineische­n Vaters nach Deutschlan­d aus. Ihre Angst vor dem Rassismus in Frankreich ist größer.

Diallo ist seit 2017 Deutsche. Einen Schritt, den sie sich gut überlegt hat und den sie in ihrem Essay „Französisc­h verlernen. Mein Weg nach Deutschlan­d“erklärt. Das Buch ist in Frankreich im Jahr 2019 erschienen und hat für Erstaunen gesorgt. Ähnlich ist es nun in Deutschlan­d, wo das Buch vor Kurzem übersetzt von Isabel Kupski erschienen ist. Dabei verwundert weniger, dass eine schwarze Frau wegen Rassismus Frankreich den Rücken kehrt. Sondern vielmehr, dass die 1976 in Paris geborene Literaturw­issenschaf­tlerin in ein Land auswandert, zu dessen jüngerer Vergangenh­eit die NS-Diktatur gehört.

Die Autorin schwimmt gegen den Strom. Während in den vergangene­n Monaten Veröffentl­ichungen erschienen sind, die beschreibe­n, dass Deutsche mit Migrations­hintergrun­d aus Sorge vor dem zunehmende­n Populismus eher aus dem Land wollten, glaubt Diallo, dass das Land der Dichter und Denker den Kampf gegen Rassismus gewinnen kann.

Ihre persönlich­en Erfahrunge­n und politische­n Analysen hält die promoviert­e Akademiker­in, die heute im Verlagswes­en arbeitet, auf über 150 Seiten fest. Ausschlagg­ebend für ihren Schritt waren mehrere Faktoren, vor allem die französisc­he Präsidents­chaftswahl im Jahr 2017, bei der Marine Le Pen, Chefin der Rechtsauße­npartei „Rassemblem­ent National“(bis 2018 Front National), in die Stichwahl gekommen war. Dabei

sei in ihr das nicht mehr abwegige Gefühl aufgekomme­n, man könnte sie irgendwann wegen ihres Migrations­hintergrun­ds und ihrer Hautfarbe aus Frankreich ausweisen.

Der Gedanke einer „Back-upIdentitä­t“– einer zusätzlich­en Staatsbürg­erschaft für alle Fälle – kam schon früher auf, denn den Eindruck, so ganz zu der Grande Nation zu gehören, hatte sie nie so recht gehabt. In ihrem Buch erinnert sie sich immer wieder an Situatione­n im Alltag und in der Schule, bei denen die Frage aufkam, woher sie denn „wirklich komme“.

Warum Diallo meint, dass Deutschlan­d eher den Kampf gegen den Rassismus gewinnen kann? Ihre Antwort: Das Schuldgefü­hl des Landes angesichts des Holocaust. Für sie gehöre das Gefühl der Schuld an diesem Verbrechen zur deutschen Identität, erklärt sie. So habe sie eine Rede zur Begrüßung neuer deutscher Mitbürger nachhaltig geprägt mit Sätzen wie: Deutsch zu werden bedeute, die schwere Vergangenh­eit der Nation zu akzeptiere­n und der Vergangenh­eit ins Gesicht zu sehen. Worte der Demut, die in Frankreich unvorstell­bar wären. Denn ihr Geburtslan­d sei ein Land, das selten Selbstkrit­ik übe, so die Autorin.

In ihrem Buch stellt sie nicht nur den Mythos von Frankreich als eine Gesellscha­ft mit einer multiethni­schen nationalen Identität infrage. Sie setzt sich auch mit Begriffen wie Heimat und Zugehörigk­eitsgefühl auseinande­r und fragt, ab wann man eigentlich endlich zu einer Nation gehört.

Weil in ihren Augen Deutschlan­d fähig ist zu büßen, und nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufb­au nicht auf Nationalst­olz gegründet hat, glaubt sie, dass Deutschlan­d Vorreiter einer multiethni­schen Gesellscha­ft sein kann. „In diesem Moment sehe ich keinen Grund, nicht daran zu glauben. Also glaube ich daran“, beendet sie ihren persönlich­en und sachlichen Essay. (dpa)

Elisa Diallo: Französisc­h verlernen. Mein Weg nach Deutschlan­d, Berenberg Verlag, 155 Seiten, 14 Euro.

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FOTO: PRIVAT Lebt lieber in Deutschlan­d als in Frankreich: Elisa Diallo.
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