Immer mehr Hass im Netz
Antisemitismusexperte prophezeit weitere Zunahme von Hetze – Initiative in Bayern erreichte 30 Urteile
- Hass, Hetze und Antisemitismus nehmen zu – in der realen, vor allem aber auch in der digitalen Welt. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg, prophezeit: Es wird erst schlimmer, bevor es besser wird. „Wir haben die Spitze der Hasswelle noch nicht erreicht“, sagt er. Einige Gesetzesänderungen könnten helfen, den Trend umzukehren.
Ende Juni hat der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) seinen Bericht für 2020 vorgelegt. Er erfasste 1909 antisemitische Vorfälle – eine Zunahme um ein Drittel im Vorjahresvergleich. Die baden-württembergische Meldestelle für Hetze im Netz namens „Respect“zeichnet ein ähnliches Bild. Allein fürs erste Halbjahr 2021 spricht Jana Freis von 334 gemeldeten antisemitischen Fällen – eine Zunahme im Vergleich zum selben Zeitraum 2020 um 300 Prozent.
Michael Blume zeigt sich wenig überrascht. „Als der Buchdruck oder elektronische Medien eingeführt wurden, hatten wir diese Explosion auch. Hasswellen gab es in der Vergangenheit immer wieder“, mit dem Internet habe sich die Geschwindigkeit aber massiv erhöht. Er glaubt an eine Trendumkehr in fünf Jahren, denn: „Mein Glaube an Bildung ist groß genug.“Der Mensch sei nicht per se vernünftig, aber lernfähig.
Wie genau die jüngsten Gesetzesänderungen gegen Hetze im Netz dabei wirkten, sei noch nicht zu bewerten, sagt Blume. Der Bund hat beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz nachgeschärft: Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube müssen bereits Ansprechpartner für Meldungen von Hass und Hetze in Deutschland benennen und die Möglichkeit zur Meldung vereinfachen. Die Plattformen haben dann die Pflicht, bestimmte Beiträge zu löschen. Mit zwei konkreten Löschungen hat sich am Donnerstag der Bundesgerichtshof befasst. Zwei Facebook-Nutzer hatten gegen Löschungen und vorübergehende Sperrung ihrer Konten geklagt. Ein Urteil steht aus.
Ab Februar 2022 müssen die Plattformen zudem Inhalte an die Behörden melden – etwa Morddrohungen und Volksverhetzung. Wegen dieser
Meldepflicht geht Südwest-Justizministerin Marion Gentges (CDU) von zusätzlich 17 500 Fällen für Staatsanwaltschaften und Gerichte pro Jahr aus. Hierfür und wegen Verschärfungen bei der Verfolgung von Kinderpornografie im Netz brauche es 30 neue Stellen in der Justiz, sagt sie. Der neue Fokus sei richtig, denn: „Im Netz sind Hemmschwellen geringer, alles ist anonymer. Unser Leben verlagert sich zunehmend ins Netz.“
Die Dunkelziffer sei viel höher, betonte Ravensburgs CDU-Bundestagsabgeordneter Axel Müller jüngst bei einer Veranstaltung des Vereins Elnet zum Thema in Stuttgart. „Wir würden gerne viel mehr im Netz und auch in Messengerdiensten durchsuchen“, sagte der Antisemitismusexperte der Unionsfraktion, Müller. Als Messengerdienst fällt etwa Telegram nicht unter die Regeln, die für andere Plattformen gelten – das sei ein Problem, sagt auch Michael Blume. „Attila Hildmann versendet da etwa seinen Hass, auch gegen mich.“Der FDPBundestagsabgeordnete Christopher Gohl sieht Durchsuchungen indes äußert kritisch. Er plädierte bei der Veranstaltung dafür, die Plattform-Betreiber noch stärker in die Pflicht zu nehmen, deren Geschäftsmodelle darauf basierten, Nutzer mit immer extremeren Inhalten zu halten.
In Bayern zog derweil die im Oktober 2019 gestartete Initiative von Justiz und Medien gegen Hass im Netz eine erste Bilanz. Demnach gab es fast 200 Ermittlungsverfahren und mehr als 30 rechtskräftige Verurteilungen. „Das Projekt ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Hate Speech“, sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle könnten die Urheber von Hassbotschaften im Internet ermittelt werden. Und das obwohl die Ermittlungen häufig sehr komplex seien und ins Ausland führten.
Das Justizministerium und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hatten die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“vor knapp zwei Jahren ins Leben gerufen. Seither habe es knapp 250 Prüfbitten gegeben, teilten die beiden Häuser mit. Das Projekt soll Medienschaffende dazu bewegen, Hasspostings auf ihren Online-Kanälen bei der Staatsanwaltschaft zu melden und nicht nur zu löschen.