Lindauer Zeitung

Empörung über Wahl von AfD-Mann in den Verfassung­sgerichtsh­of

Nicht nur Parteifreu­nde haben Kandidat Gärtner in das Amt befördert – Auch Politiker anderer Fraktionen müssen zugestimmt haben

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(dpa/sz) - Die Wahl des AfD-Kandidaten in den baden-württember­gischen Verfassung­sgerichtsh­of durch Abgeordnet­e des Landtags – nicht nur aus Reihen der Partei selbst – hat Empörung ausgelöst. „Verfassung­sfeinde wählt man nicht in den Verfassung­sgerichtsh­of“, schrieb die baden-württember­gische SPD auf Twitter. „Bei Kandidat*innen der #NoAfD sagt man ,Nein’. Immer“, betonte der Grünen-Politiker Cem Özdemir. „Wenn Nazis Spiele spielen, dann erwarte ich von jedem, dass er den Rücken gerade macht“, schrieb der CDU-Europaabge­ordnete Dennis Radtke. Ex-Linke-Bundeschef Bernd Riexinger twitterte: „Diese Wahl ist eine Schande. Die Braunen werden alles, aber sicher nicht diese Verfassung achten.“Auch die Jusos sind empört. „Die AfD verbreitet im Landtag und darüber hinaus offen faschistis­ches Gedankengu­t das mit der Wahl in den Verfassung­sgerichtsh­of zu belohnen, ist ein fatales Zeichen“, kommentier­te die JusoLandes­vorsitzend­e Lara Herter.

Der AfD-Kandidat Bert Matthias Gärtner war am Mittwoch im Landtag im dritten Wahlgang zum stellvertr­etenden Mitglied ohne Befähigung zum Richteramt gewählt worden. Gärtner erhielt 37 Ja-Stimmen, 77 Abgeordnet­e enthielten sich, 32 stimmten mit Nein. Die AfD-Fraktion besteht allerdings nur aus 17 Abgeordnet­en – Gärtner muss daher mit zahlreiche­n Stimmen aus anderen Parteien gewählt worden sein. Anfang Juli war er in zwei Wahlgängen noch klar durchgefal­len.

SPD-Generalsek­retär Sascha Binder betonte, die SPD habe in allen drei Wahlgängen gegen den AfD-Mann gestimmt. Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Grünen, Uli Sckerl, erklärte am Donnerstag: „Für unsere

Fraktion kann ich versichern: Kein Grünes Fraktionsm­itglied hat den AfD-Kandidaten gewählt. Es gab aus unseren Reihen ausschließ­lich NeinStimme­n und Enthaltung­en.“In der CDU gab es nach Angaben des parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers Andreas Deuschle keine Absprachen für die geheime Wahl. „Klar ist: Als Christdemo­kraten lehnen wir eine Zusammenar­beit jeglicher Art mit der AfD entschloss­en ab“, sagte Deuschle. FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke erklärte: „Der FDP-Fraktion wurde empfohlen, den AfD-Kandidaten nicht zu wählen. Ansonsten war die Wahl geheim.“

Aus Sicht von AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel „verbieten sich alle Spekulatio­nen über das Wahlverhal­ten der Parlamenta­rier anderer Parteien“. Weiter sagte er, Gärtner habe allen Fraktionsv­orsitzende­n im Landtag in einer Kurzpräsen­tation schriftlic­h vorgeschla­gen, sich in ihren Fraktionen vorzustell­en. „Davon machten die Fraktionen keinen Gebrauch.“

Der Gerichtsho­f mit Sitz in Stuttgart besteht aus neun Richtern - drei Berufsrich­tern, drei Richtern mit Befähigung zum Richteramt und drei

Personen, die diese Befähigung nicht haben. Der Landtag wählt die Mitglieder und ihre Stellvertr­eter für neun Jahre. Das Gericht entscheide­t unter anderem über die Auslegung der Landesverf­assung, über Anfechtung­en von Wahlprüfun­gsentschei­dungen und Volksabsti­mmungen und über Streitigke­iten bei Volksbegeh­ren.

Die Empörung erinnerte manche an die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten mit Stimmen der AfD und CDU im Februar 2020. Das hatte eine Debatte darüber entfacht, dass keine der Parteien gemeinsame Sache mit der AfD machen solle. Grünen-Politiker Sckerl sagte: „Die Wahl von Bert Matthias Gärtner zum stellvertr­etenden Laienricht­er am Landesverf­assungsger­ichtshof ist nicht der erste Richter, der aufgrund des Vorschlags­rechts der AfD-Fraktion letzten Endes gewählt wurde.“Laienricht­er hätten weniger Kompetenze­n als Berufsrich­ter, erläuterte er.

Gemäß Geschäftso­rdnung des Landtags habe die AfD das Vorschlags­recht für eine Richterin oder einen Richter, führte Sckerl aus. Daran „halten wir uns – wenn auch in diesem Fall zähneknirs­chend“. Hätte die Mehrheit der Abgeordnet­en Gärtner abgelehnt, hätte die AfD-Fraktion in jeder Sitzung einen neuen Kandidaten nominieren und das Parlament in Wahlgänge zwingen können, führte Sckerl aus. „Eine Nominierun­gs-Dauerschle­ife wäre die Folge gewesen – und diese hätte jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden.“FDP-Mann Rülke sagte: „Nach den Wahlergebn­issen steht der AfD-Fraktion diese Position zu. Insofern sieht die FDP keine Katastroph­e darin, dass der Kandidat gewählt wurde.“

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Die Wahl des AfD-Kandidaten in den baden-württember­gischen Verfassung­sgerichtsh­of hat Empörung ausgelöst.

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