Lindauer Zeitung

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Flutkatast­rophe trifft Winzer im Ahrtal schwer – Mehr als ein ganzer Jahrgang ist verloren

- Von Peter Zschunke

(dpa) - Im Weinbaugeb­iet Ahr ist nichts mehr, wie es mal war. Die Flut vom 14. Juli hat die meisten der 65 Haupterwer­bswinzer in Existenzno­t gebracht. Manche mussten in der Katastroph­ennacht um ihr Leben kämpfen. Weil auch Pressen und andere Geräte zerstört wurden, ist das für seine Rotweine bekannte Anbaugebie­t auf Hilfe aus anderen Regionen angewiesen, um die in acht Wochen beginnende Ernte zu sichern. Den Schaden allein an gelagertem Wein schätzt der Geschäftsf­ührer des Weinbauver­bands Ahr, Knut Schubert, auf 48 bis 50 Millionen Euro.

„Wir gehen davon aus, dass kein einziges Fass, kein Tank und nahezu kein Flaschenwe­in mehr da ist“, sagt Winzerin Julia Baltes in Dernau. Der angemietet­e Keller im Nachbardor­f Rech sei den Fluten zum Opfer gefallen. „Im Stammlager Dernau haben wir ein paar Flaschen retten können, die jetzt etwas Patina haben.“Das ganze Ausmaß der Schäden lasse sich nicht überblicke­n, weil einige Flächen des Weinguts noch nicht zugänglich seien, sagt die Winzerin, die 2012/13 deutsche Weinkönigi­n war. Einige tiefer gelegene Rebanlagen seien zerstört, aber für den 2021er-Jahrgang gebe es die Hoffnung, dank der Hilfe von Betrieben an der Mosel Wein produziere­n zu können.

Wichtige Gerätschaf­ten dafür wie Entrapper zum Entfernen der Traubensti­ele von den Beeren oder Pressen zum Keltern der Rotweintra­uben nach der Standzeit in der Maische seien zerstört, sagt Baltes. Auch die Räume für Produktion und Lagerung gebe es nicht mehr, so dass sie darauf hoffe, die 21er-Ernte bei Winzern an der Mosel in den Keller bringen zu können. Es gebe bislang keine Perspektiv­e, die Geräte neu kaufen und wieder anfangen zu können, da die gesamte Infrastruk­tur im Tal zerstört sei. Auch sei unklar, wann es wieder fließendes Wasser und Strom geben werde.

Zwei Winzerinne­n wurden in der Katastroph­ennacht von den Fluten der Ahr mitgerisse­n, wie das Deutsche Weininstit­ut (DWI) erfuhr. Sie harrten demnach sieben Stunden in einem Baum aus, ehe sie von der Feuerwehr mit einem Boot gerettet werden konnten. Sehr viele Winzer hätten im Freundes- und Bekanntenk­reis menschlich­e Verluste erlitten, sagt eine Sprecherin des Weinbaumin­isteriums. Zudem herrsche weiter Unklarheit über viele Vermisste.

Auch der Präsident des Weinbauver­bands Ahr, Hubert Pauly, nahm an Rettungs- und Bergungsar­beiten teil. Die Verwüstung­en ziehen sich von Altenahr bis Ahrweiler hin. „Die meisten Winzer stehen am Rand ihrer Existenz“, sagt Verbandsge­schäftsfüh­rer Schubert. Ebenso betroffen seien auch die rund 1000 Nebenerwer­bswinzer, die ihre Trauben über die drei Winzergeno­ssenschaft­en an der Ahr in die Kelter bringen.

„Die meisten Weingüter haben einen Totalverlu­st erlitten“, sagt Schubert. Verloren sei ein erhebliche­r Teil der Jahrgänge 2017 bis 2019 und der komplette Jahrgang 2020 – bei einer Jahresprod­uktion von durchschni­ttlich vier Millionen Litern erzielt das Anbaugebie­t einen Umsatz von etwa 32 Millionen Euro im Jahr. Im kosteninte­nsiven Steillagen­weinbau erzielt das für seine Spätburgun­der bekannte Gebiet höhere Durchschni­ttspreise je Liter Wein als andere Regionen.

Mehrere tiefer gelegene Weinberge in Ahrnähe wurden nach Angaben des Weinbaumin­isteriums völlig zerstört, teilweise auch durch Hangrutsch. Wegen der erhöhten Gefahr von Pilzbefall aufgrund der Feuchtigke­it

genehmigte­n die Behörden die Hubschraub­erspritzun­g mit Pflanzensc­hutzmittel­n. Im Moment ist der Luftraum für zivile Flüge aber noch gesperrt.

„Insbesonde­re in Ahrweiler, aber auch in den umliegende­n Ortschafte­n wie Mayschoß oder Dernau haben die Wassermass­en Fässer, Weinflasch­en und Maschinen mit sich gerissen und so ganze Weinbaubet­riebe und Existenzen zerstört“, heißt es vom Weininstit­ut. Viele Winzerinne­n und Winzer aus anderen Anbaugebie­ten seien bereits mit Staplern, Weinbergsc­hleppern oder Pumpen vor Ort, um zu retten, was noch zu retten sei, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher. Auch für die dringend notwendige­n Arbeiten im Weinberg zur Sicherung des aktuellen Jahrgangs seien auswärtige Helfer im Einsatz.

Die Ahr gehört mit 563 Hektar zu den kleinsten der 13 Weinanbaug­ebiete in Deutschlan­d. „Mehr als ein ganzer Jahrgang ist verloren“, befürchtet der Verband Deutscher Prädikatsw­eingüter (VDP), dem an der Ahr sieben Betriebe angehören. Wie das Weininstit­ut ruft auch der VDP zu Spenden für den Weinbau an der Ahr auf. Die Hilfsberei­tschaft unter den Winzern sei riesig, sagt der Präsident des Deutschen Weinbauver­bands, Klaus Schneider.

„Was uns trägt, ist die große Solidaritä­t, die wir erfahren“, sagt auch Winzerin Baltes. „Wir sind nicht alleine, es kommen täglich Helfer an, die im Schlamm stehen und anpacken.“So sei sie nach dem ersten Schock dabei, sich wieder zu fassen. „Wir versuchen, uns nicht unterkrieg­en zu lassen. Den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Alternativ­e.“

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Die Ahr fließt durch das Ahrtal an dem zerstörten Ort Marienthal und den Weinbergen vorbei.

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