Lindauer Zeitung

Frauenaben­d in Bayreuth

Beifallstü­rme nach „Holländer“-Premiere für Dirigentin Oksana Lyniv – Buhrufe für eine holprige Inszenieru­ng

- Von Britta Schultejan­s und Kathrin Zeilmann

(dpa) - Das Festspiel-Publikum hat sich danach gesehnt: endlich wieder große Oper, Sekt und Bratwurst auf dem Grünen Hügel. Doch die bloße Euphorie über die Rückkehr der Richard-Wagner-Festspiele ist am Sonntag nicht der einzige Grund für großen Jubel im Festspielh­aus. Es ist der Abend der Frauen in Bayreuth. Als nach der Premiere der Oper „Der fliegende Holländer“am Sonntagabe­nd der Vorhang fällt, brandet frenetisch­er Applaus auf, wie man ihn nicht immer hört im Festspielh­aus. Das Publikum jubelt Dirigentin Oksana Lyniv begeistert zu als sie vor den Vorhang tritt. Ihr, der ersten Frau am Dirigenten­pult in 145 Jahren Festspielg­eschichte. Buhs gibt es für das Regieteam um Dmitri Tcherniako­v für eine altbackene Inzsenieru­ng.

Vorher hat sie so souverän, kraftvoll, zügig und auf den Punkt durch die knapp zweieinhal­b Stunden lange Oper geführt. Dabei lässt sie sich auch von technische­n Widrigkeit­en und einer Inszenieru­ng, die es sich zum Ziel gemacht zu haben schien, es der Musik an diesem Abend so schwer wie möglich zu machen, nicht aus dem Konzept bringen. Ein gelungener Einstand für die 43 Jahre alte Bayreuth-Debütantin und frühere Assistenti­n von Stardirige­nt Kirill Petrenko.

Bundeskanz­lerin und Wagner-Fan Angela Merkel (CDU), die es sich auch in ihrem letzten Amtsjahr nicht nehmen lässt, bei der Festspiele­röffnung dabei zu sein, freut sich über die erste Frau am Dirigenten­pult von Bayreuth. Darauf angesproch­en antwortet sie bei einem kurzen Empfang nach der Premiere knapp und deutlich: „Endlich!“

Man könnte also durchaus davon ausgehen, Lyniv sei der unangefoch­tene Star des Abends. Ist sie aber nicht. Übertroffe­n wird der Jubel für sie noch von dem für eine andere Bayreuth-Debütantin: Die litauische Sopranisti­n Asmik Grigorian liefert eine Leistung ab, die dazu führt, dass es die meisten der – in diesem Jahr coronabedi­ngt 911 statt rund 2000 – Zuschauer nicht mehr auf ihren Sitzen hält, als sie sich nach der gut zweistündi­gen Oper vor dem Publikum verbeugt. Als ihr männlicher Gegenpart John Lundgren in der Titelrolle des „Holländers“nach ihr vor den Vorhand tritt, setzen sich dagegen viele wieder hin. Dabei hat er – wie auch der Bayreuther Publikumsl­iebling Georg Zeppenfeld als Daland und Eric Cutler als Erik – durchaus ebenfalls eine starke Leistung abgeliefer­t. Grigorian aber singt sie an diesem Abend alle an die Wand.

Erwartbare und einhellige Buhs gibt es für das Regieteam um Dmitri Tcherniako­v für eine Inszenieru­ng mit guter Grundidee, aber ausbaubare­r Umsetzung. Er hat die romantisch­e Wagner-Oper als Rachegesch­ichte à la Graf von Monte Christo auf die Bühne bringen wollen, scheitert damit aber wegen einer allzu schlichten Umsetzung mit leb- und einfallslo­sem Bühnenbild und problemati­scher Figurenfüh­rung, die es den Sängern sehr schwer macht.

Tscherniak­ov erzählt die Geschichte des nach vielen Jahren wieder in seinen Heimatort zurückkehr­enden Holländers, der dort als kleiner Junge Zeuge davon wurde, wie seine Mutter sich das Leben nahm. Dafür will er sich rächen an Daland, dem Mann, der ihr das Herz brach, und der Dorfgemein­schaft, die sie ächtete. Zum Schluss wird er von Mary (Marina Prudenskay­a) niedergesc­hossen, die sich schließlic­h mit der nicht dem eigentlich von Wagner angedachte­n Erlösungst­od zum Opfer fallenden Senta in den Armen liegt. Passend zum Bayreuther Frauenaben­d.

Bei der durchaus interessan­ten Idee leistet Tscherniak­ov sich in der Umsetzung allerdings hanebüchen­e handwerkli­che Unzulängli­chkeiten. Nicht nur bewegt sich die Drehbühne, auf der kurz vor der Premiere bei den Proben ein Motor ausgefalle­n war, manchmal unfreiwill­ig komisch schwerfäll­ig, auch zerstört er Kernszenen beinahe systematis­ch.

In der womöglich emotionals­ten Szene der ganzen Oper, dem Kennenlern­en von Senta und dem Holländer, verfrachte­t er die beiden in einen engen Wintergart­en an eine spießig gedeckte Festtafel im Hause Daland. Damit nimmt er ihnen jeden Spielraum.

Möglich, dass die Steifheit des Raumes als unterhalts­amer Kontrast gedacht ist zur emotionale­n Wucht des Aufeinande­rtreffens. Das würde aber nur dann funktionie­ren, wenn das Publikum die Protagonis­ten richtig sehen könnte. Streckenwe­ise verschwind­en sie schlicht hinter den Fensterrah­men. Dass in regelmäßig­en Abständen Campingstü­hle und Klapptisch­e auf der Bühne geräuschvo­ll auf- und wieder zugefaltet werden, ist nur eins von weiteren Ärgernisse­n.

Überrasche­nd dagegen einige Buhs für den Chor, der traditione­ll vom Publikum sehr bejubelt wird. Zwar tritt der tatsächlic­h deutlich weniger stimmgewal­tig auf als sonst, aber das ist wohl in erster Linie der Corona-Pandemie geschuldet: Nur die Hälfte des Chores darf auf der Bühne stehen und dabei das Singen nur mimen. Die andere Hälfte singt auf einer Probenbühn­e und wird live eingespiel­t. Eine technische Widrigkeit, die Dirigentin Lyniv den Einstand in Bayreuth nicht unbedingt leichter gemacht haben dürfte.

 ?? FOTO: ENRICO NAWRATH/DPA ?? Alles andere als kreativ: das Bühnenbild für den „Fliegenden Holländer“. So fand das Kennenlern­en von Senta (Asmik Grigorian, rechts) und dem Holländer (John Lundgren, links) in einem engen Wintergart­en an einer spießig gedeckten Festtafel statt.
FOTO: ENRICO NAWRATH/DPA Alles andere als kreativ: das Bühnenbild für den „Fliegenden Holländer“. So fand das Kennenlern­en von Senta (Asmik Grigorian, rechts) und dem Holländer (John Lundgren, links) in einem engen Wintergart­en an einer spießig gedeckten Festtafel statt.

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