Lindauer Zeitung

Zügig übers Land mit Bus und Bahn

Abseits der Großstädte hakt es oft im öffentlich­en Nahverkehr – Mit welchen Konzepten die Parteien das ändern wollen

- Von Dorothee Torebko

- Hitzewelle­n, Waldbrände, Hochwasser: Spätestens seit den immer häufiger auftretend­en Umweltkata­strophen sind sich fast alle Parteien einig, dass die Gesellscha­ft klimagerec­ht umgebaut werden muss. Auch der Verkehrsse­ktor steht auf dem Prüfstand. Gerade auf dem Land ist das eine Herausford­erung, weil dort viele Menschen nach wie vor auf das Auto angewiesen sind. Die Parteien werben mit unterschie­dlichen Ideen um Wähler.

Warum ist das Thema so wichtig?

Auf dem Land leben 70 Prozent der Deutschen. Einer aktuellen Prognose des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung zufolge wird das auch in der Zukunft so sein. Während es in der Stadt mit U-Bahn, Taxis und Sharing-Autos unterschie­dliche Formen der Mobilität gibt, bleibt den Menschen auf dem Land häufig nur der eigene Pkw zum Pendeln oder für die Einkäufe. Um die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse in Stadt und Land zu sichern, muss es Veränderun­gen in der Mobilität geben. Da sind sich fast alle Parteien einig. Denn der Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor ist auf europäisch­er Ebene beschlosse­n, und nicht jeder Landbewohn­er wird sich so schnell ein neues E-Auto leisten können. Eine Möglichkei­t, etwas zu tun, ist, das Bus- und Bahnnetz und damit den öffentlich­en Nahverkehr (ÖPNV) zu stärken.

Wie wollen die Parteien den ÖPNV reformiere­n?

Die Union setzt auf eine Fortführun­g ihrer bisherigen Verkehrspo­litik und will sowohl Straße als auch Schiene ausbauen. Im Wahlprogra­mm ist zwar von einer Stärkung des ÖPNV die Rede, konkreter wird es bei der Union aber nicht.

Die FDP plädiert auf Technologi­eoffenheit und neue Formen der Mobilität wie Carsharing. So müsse es etwa „eine verbessert­e Vernetzung und den Ausbau von On-Demand-Verkehren“geben, sagt Verkehrspo­litiker Oliver Luksic. On-Demand-Angebote wären zum Beispiel Rufbusse. Luksic sieht dabei auch die Kommunen in der Pflicht: „Garantien für den ÖPNV können nur die Kommunen selbst vornehmen.“

Die AfD befürworte­t einen besser ausgebaute­n ÖPNV nach dem Vorbild der Schweiz, der Fokus liegt bei ihr aber auf der Förderung des „motorisier­ten Individual­verkehrs“, also des Privat-Pkw.

Grüne und SPD wollen eine Mobilitäts­garantie. Für die Grünen heißt das, dass jede Ortschaft an das System des ÖPNV angebunden wird. Hier soll es „mindestens stündlich ein Angebot“geben, sagt der Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer.

Für die SPD bedeutet die Mobilitäts­garantie, dass für Bewohner aller deutschen Ortschafte­n alle 20 Minuten Bus, Bahn, Taxi oder PoolingFah­rzeug verkehren. Maximal 300 Meter sollen die Bürger zum nächsten Verkehrsmi­ttel zurücklege­n müssen, erläutert der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Detlef Müller. „Das Ziel ist, dass jeder Bürger Zugang zum öffentlich­en Nahverkehr hat“, sagt der Verkehrspo­litiker. Er rechnet, dass das Konzept in etwa so viel kosten könnte wie die Einführung eines flächendec­kenden 365-Euro-Jahrestick­ets für den ÖPNV, also 30 Milliarden Euro.

Wie soll es finanziert werden?

Derzeit ist es so: Wenn eine Buslinie betrieben wird, muss dafür ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt aufkommen. Die Kassen sind aber klamm. Häufig lohnt es sich nicht, mehr Buslinien als den Schulbus zu betreiben. „Viele Kommunen sind zudem unter dem Rettungssc­hirm der Länder und dürfen keine Ausgaben vornehmen, die über die Pflichtauf­gaben hinausgehe­n“, so Bastian Kettner, Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodal­ität beim ökologisch­en Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD).

Es braucht andere Finanzieru­ngsmöglich­keiten als die bereits vorhandene­n. Eine Möglichkei­t ist die Erweiterun­g der Regionalis­ierungsmit­tel. Dies sind Gelder, die der Bund den Ländern hauptsächl­ich für den Schienenpe­rsonennahv­erkehr zur Verfügung stellt. Die Verkehrsmi­nister der Länder haben bereits eine schrittwei­se Erhöhung der Mittel gefordert. SPD-Politiker Müller schlägt vor, eine zweite Säule der finanziell­en Förderung aufzubauen, aus der die Mobilitäts­garantie bezahlt werden könnte. „Das Geld könnte aus den Einnahmen durch den CO2-Preis kommen“, erläutert Müller.

Reicht das aus?

Nein, sagt der VCD. Der Verband plädiert für eine dritte Finanzieru­ngsquelle.

Länder sollen Kommunen ermächtige­n, eine Abgabe von Dritten zu erheben. Die Kommunen entscheide­n dann, wen sie zur Kasse bitten – zum Beispiel Autofahrer oder Unternehme­n. Die Drittnutze­rfinanzier­ung hält Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebu­nd für möglich. In einem Abschlussb­ericht des Bündnisses für moderne Mobilität, bei dem Bund, Länder und Kommunen beteiligt waren, wurde vereinbart, dass „wir die verschiede­nen Finanzieru­ngsoptione­n unvoreinge­nommen diskutiere­n müssen“, sagt Strehmann. Denn: „Wir müssen die ÖPNV-Finanzieru­ng noch breiter aufstellen, damit die ambitionie­rten Klimaschut­zziele erreicht werden können und die Kommunen den notwendige­n Handlungss­pielraum erhalten.“

Gibt es Anfänge in Deutschlan­d?

Im Koalitions­vertrag von Grünen und Union in Baden-Württember­g ist eine Mobilitäts­garantie verankert. Das Konzept sieht vor, dass alle Orte im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternach­t mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen. Bis 2026 soll es zu den Hauptverke­hrszeiten im ländlichen Raum einen Halbstunde­ntakt und im Ballungsra­um einen Viertelstu­ndentakt geben. Ab 2030 wird das System erweitert. Dann sollen die Busse und Bahnen den ganzen Tag über im Halb- und Viertelstu­ndentakt fahren. Die Kosten werden sich auf 600 Millionen Euro belaufen. Zur Finanzieru­ng will das Land den Kommunen die Möglichkei­t geben, eine Nahverkehr­sabgabe einzuführe­n. Darum allerdings gibt es heftige Debatten, weil Kreise und Gemeinden dem Land vorwerfen, ein Verspreche­n zu geben, das in Teilen die Kommunen bezahlen müssen.

Sollen Autos abgeschaff­t werden?

Nein, sagen Grüne und SPD unisono. „Das Auto wird auch in den nächsten Jahren ein wichtiges Verkehrsmi­ttel sein. Wir wollen es nicht obsolet machen. Es geht darum, attraktive Alternativ­en zu schaffen“, meint Fraktionsv­ize Oliver Krischer. „Das Auto abzuschaff­en ist aus heutiger Sicht völlig unrealisti­sch. Stattdesse­n muss der öffentlich­e Nahverkehr so gut sein, dass die Bürger auf diesen zugreifen wollen“, betont SPD-Abgeordnet­er Müller.

Andere Länder sind schon weiter als Deutschlan­d bei ihrer Ausrichtun­g auf viele Verkehrstr­äger. Als eines der Vorbilder für den öffentlich­en Nahverkehr wird die Schweiz herangezog­en. Sie hat im Gegensatz zu Deutschlan­d ein dichtes ÖPNV-Netz. Damit das aufrechter­halten werden kann, unterstütz­t der Staat massiv. In der Schweiz habe jede Gemeinde das Recht auf vier Buspaare, erläutert Bastian Kettner vom ökologisch­en Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD). Diese Regelung gilt für die Busse, bei denen 35 Fahrgäste pro Tag gezählt werden. Sobald den Bus 480 Fahrgäste pro Tag nutzen, soll er stündlich verkehren, und der Staat finanziert 18 Buspaare. Das bedeutet, die Menschen auf dem Land haben von 6 bis 23 Uhr einen Bus, der stündlich fährt.

Darüber hinaus haben die Kantone die Möglichkei­t, mehr Verkehr zu bestellen. So kann der Stunden- zum Halbstunde­ntakt verdichtet werden. „Der Bund hat dort seine Verantwort­ung viel besser wahrgenomm­en, als es hier in Deutschlan­d ist“, sagt Kettner vom VCD. Doch damit geben sich die Schweizer nicht zufrieden. Sie wollen den Anteil der Menschen in Bus und Bahn erhöhen. Eine vom Verband öffentlich­er Verkehr in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass dies möglich ist. Voraussetz­ung ist die Qualität des Angebots. Das heißt, Busse und Bahnen müssen in einem dichten Takt fahren, einen hohen Komfort haben, und es müssen viele Ziele angesteuer­t werden. Der Preis ist gegenüber der Reisezeit nicht so entscheide­nd. Ein wesentlich­er Faktor für die Wahl des Verkehrstr­ägers ist die sogenannte letzte Meile. Kommt der Reisende nicht bequem zum Zielort, wählt er lieber den Privat-Pkw.

Doch ein besseres Angebot des öffentlich­en Verkehrs allein reicht nicht: Genauso wichtig sei den Studienaut­oren zufolge, Autofahren unattrakti­ver, zum Beispiel Parkplätze teurer zu machen. Die Einschränk­ung der Nutzung des privaten Autos habe demnach einen „erhebliche­n Einfluss“auf die Nutzung des Nahverkehr­s. (dot)

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Vorreiter Laichingen: In fünf ländlichen Pilotregio­nen (Landkreise Alb-Donau, Breisgau-Hochschwar­zwald, Emmendinge­n, Freudensta­dt und Schwäbisch Hall) wird das bestehende Nahverkehr­sangebot weiter ausgebaut. Hierbei sollen neue Angebotsfo­rmen wie Rufbusse und Sammeltaxi­s genutzt werden.

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