Eine sentimentale Reise
Mit „Hugo Gardners neues Leben“ist Louis Begley noch einmal ein großer Wurf gelungen
Joghurt und Vitamintabletten“, antwortete Louis Begley schelmisch, als er gefragt wurde, woher er in seinem Alter die Energie zum Schreiben nehme. So mancher staunte nicht schlecht, als der Amerikaner mit 81 seinen ersten Krimi „Zeig dich, Mörder“(2015) hinlegte. Und noch größer war die Verwunderung dann, als er mit „Ein Leben für ein Leben“(2016) und „Killer’s Choice“(2019) das gleiche Buch noch zweimal schrieb. Keine Frage: Die Jack-Dana-Trilogie gehört nicht zu Begleys besten Werken. Doch vergeben und vergessen. Kehrt der mittlerweile 87-jährige Schriftsteller mit seinem feinsinnigen Gesellschaftsroman „Hugo Gardners neues Leben“jetzt doch in sein eigentliches Metier zurück und erzählt von den Verstrickungen eines wohlsituierten Lebens in der Upperclass der amerikanischen Ostküste.
Die Ausgangssituation ist bekannt und ähnelt der aus „About Schmidt“(1996) und „Erinnerungen an eine Ehe“(2013). Diesmal allerdings ist die Ehefrau nicht verstorben, sondern sie gibt ihrem Mann den Laufpass. Eines Tages bekommt der 84-jährige Hugo Gardner den Anruf eines Anwaltes, der ihm mitteilt, dass seine Ehefrau Valerie sich scheiden lassen will. Nach 40 gemeinsamen Jahren trifft das den ehemaligen Auslandskorrespondenten und Chefredakteur des „Time Magazine“völlig unverhofft. Glaubte Hugo doch immer, dass sie eine glückliche Ehe führen. Doch nicht genug. Seine zwei erwachsenen Kinder wussten von Valeries Affäre mit einem jüngeren Mann und erzählten ihrem Vater nichts davon. Ist das die Rache dafür, dass er nie Zeit für seine Kinder hatte?
Urplötzlich im Alter auf sich selbst zurückgeworfen, spielt Hugo, dem sein Urologe zu allem Überfluss auch noch Prostatakrebs attestiert, schon mit dem Gedanken, sich eine Französische Bulldogge als Gefährten anzuschaffen. Aber was wäre mit dem Hund, wenn er sein Herrchen überleben würde?
Die Arbeit an seinem neuen Buch über George W. Bush ist fast abgeschlossen. Also reist Hugo nach Paris und verguckt sich dort, eh er sich versieht, in seine Jugendliebe Jeanne, die er vor 60 Jahren sitzen ließ, als er Valerie heiratete. Jeanne scheint ihm verziehen zu haben und vertreibt sich die Zeit gerne mit Hugo, um für ein paar Momente ihrem pflegebedürftigen, völlig dementen Gatten zu entfliehen.
Das Ganze hat weniger etwas von Auflehnung gegen den Tod, wie bei Philip Roth, und ist kein Aphrodisiakum gegen das Alter. Vielmehr geht es Begley um die Erinnerung an die besseren, an die jungen Jahre. Den Tod hat dieser Hugo Gardner akzeptiert. Wenn es so weit ist, will er in die Schweiz fahren und eine Sterbeklinik konsultieren. Noch aber gilt es, das Beste aus dem Leben herauszuholen. Deswegen startet er seine sentimentale Reise nach Paris in die eigene Vergangenheit. „Ob meine Geschichte ein Happy End hat? Schauen Sie sich um: Jedes Leben nimmt ein mehr oder weniger schlimmes Ende. Warum sollte meines eine Ausnahme sein?“
Louis Begleys lakonische Sätze ziehen in ihren Bann. Die Handlung spielt 2015 vor den Präsidentschaftswahlen, aus denen Donald Trump als Sieger hervorgeht. Seinem Helden Hugo Gardner, dem er wie immer ein paar Züge von sich selbst mitgegeben hat, sieht man so manchen seiner Fehler nach. Er ist eine dieser Figuren, wie sie so typisch sind für diesen Schriftsteller: kultiviert, gutes Essen und edle Weine ebenso liebend wie die Kunst, moralisch nicht immer tadellos, aber trotzdem sympathisch.
Nachdem Saul Bellow, Richard Yates, John Updike und Philip Roth tot sind, ist Begley der letzte Große dieser begnadeten Generation von amerikanischen Realisten. 1933 im polnischen Stryj als Ludwik Begleiter geboren, floh er als Jude mit seiner Mutter vor den Nazis und emigrierte 1947 in die USA, wo er in Harvard Englische Literatur und später Jura studierte. Er war ein erfolgreicher Anwalt, bevor er als Spätberufener mit 58 seinen ersten Roman „Lügen
in Zeiten des Krieges“(1991) veröffentlichte. Mit „Hugo Gardners neues Leben“ist Begley noch einmal ein großer Wurf gelungen. Joghurt und Vitamintabletten sei Dank.
Louis Begley: Hugo Gardners neues Leben, Suhrkamp Verlag, 236 Seiten,
24 Euro.