Lindauer Zeitung

Wenn Eltern schwierige Entscheidu­ngen treffen

Schuldgefü­hle helfen nicht weiter, wenn es um für Kinder schwer Verdaulich­es wie Umzug oder Trennung geht

- Von Eva Dignös

(dpa) - Kinder kann das unglücklic­h machen: Ohne Mitbestimm­ung haben Eltern eine Entscheidu­ng getroffen. In der Folge verändert sich das Leben für die ganze Familie.

Grund dafür kann ein Umzug sein, weil die Wohnung im anderen Stadtviert­el größer und günstiger ist, aber leider zu weit entfernt von der bisherigen Grundschul­e. Ein lukratives Jobangebot in einer anderen Stadt oder die Entsendung für einige Jahre an einen Firmenstan­dort im Ausland. Oder Eltern müssen erkennen, dass ihre Beziehung als Paar nicht mehr funktionie­rt und sie sich trennen sollten – mit allen damit verbundene­n Konsequenz­en für die gemeinsame­n Kinder.

Die meisten Eltern wägen lange ab. Was ist wichtiger – das eigene Glück oder das der Kinder? „Die allermeist­en Eltern wollen doch im Prinzip immer das Beste für ihr Kind“, sagt Psychologe Claus Koch, der unter anderem erforscht, wie Bindungen zwischen Eltern und Kindern entstehen und was sie beeinfluss­t. Sein Kind traurig zu machen, passt nicht in dieses Konzept. Und ist doch manchmal nicht zu umgehen.

Eltern falle es zunehmend schwerer, in solche Situatione­n zu gehen, beobachtet Mathias Voelchert. Er ist Gründer und Leiter von Familylab, einem Beratungsz­entrum für Familidem en. „Sie haben eine furchtbare Angst davor, sich bei ihren Kindern unbeliebt zu machen.“Doch sie sollten als eine Art Sparringsp­artner zu einer Entscheidu­ng stehen, findet Voelchert. Das sei vergleichb­ar mit „einem Trainingsp­artner, der möglichst viel Widerstand leistet und möglichst wenig Schaden anrichtet.“

Das heißt auch: die Reaktionen der Kinder gelassen aushalten, selbst wenn Tränen fließen und Türen knallen. Das gelingt am besten, wenn die Eltern mit sich und ihrer Entscheidu­ng im Reinen sind. „Es ist wichtig, dass sie ihren Kindern ihre Gründe plausibel, wohlwollen­d und optimistis­ch darlegen“, sagt Claus Koch.

Das bedeute nicht, dass den Kindern keinerlei Mitsprache eingeräumt werden dürfe. Denn es gibt immer Spielräume in der Ausgestalt­ung, wenn beispielsw­eise die Entscheidu­ng für den Umzug in eine andere Stadt gefallen ist. „Man kann sie in die Entscheidu­ng über die Wohnung in der neuen Stadt einbeziehe­n“, sagt Mathias Voelchert. Oder regelmäßig­e Wochenenda­usflüge in die alte Heimat vereinbare­n.

Besonders viel verändert sich am gewohnten Umfeld, wenn es mit der Familie für einige Jahre ins Ausland gehen soll, möglicherw­eise in einen ganz anderen Kulturkrei­s. Die Psychother­apeutin Stefanie Guth betreut online vor allem Kinder und Jugendlich­e, die sich schwer tun mit

Psychologe Claus Koch

Wechsel in ein anderes Land. „Je jünger die Kinder sind, desto leichter fällt ihnen der Ortswechse­l, weil sie noch sehr eng an die Eltern gebunden sind“, sagt sie.

Jugendlich­e dagegen steckten „mitten im Ablöseproz­ess“. Während eines Auslandsau­fenthalts rücke man als Familie aber oft enger zusammen, weil man gemeinsam fremd sei und neue Freundscha­ften erst mühsam aufgebaut werden müssten. „Die Jugendlich­en fragen sich oft, was ihnen noch bleibt, wenn sie sich von der Familie lösen“, sagt die Psychologi­n.

Manche Kinder brauchen Unterstütz­ung, um mit der Veränderun­g klarzukomm­en. Die Anzeichen variieren: Einige werden stiller, andere suchen übertriebe­n die Aufmerksam­keit oder reagieren bei nichtigen Anlässen aggressiv. Koch rät für das Gespräch zu Ich-Botschafte­n: „Ich habe das Gefühl, dass du gerade sehr traurig bist. Kann ich dir dabei helfen, dich wieder besser zu fühlen?“Eine prompte Antwort sollte man nicht erwarten: „Oft dauert es ein paar Tage, bis die Kinder sich dann doch öffnen.“Viele Eltern plagen sich mit Schuldgefü­hlen, weil es ihren Kindern nicht gut geht. Das hilft denen aber nicht – wichtiger wäre es, die eigenen Gefühle zu reflektier­en, betont Stefanie Guth: „Manchmal übertragen Eltern ihre Sorgen auf die Kinder.“Vätern gelinge oft der sachlicher­e Blick, deshalb könne es helfen, sich zunächst als Paar auszutausc­hen, um dann den Kindern gegenüber einig aufzutrete­n. Die Eltern bei wichtigen Entscheidu­ngen uneins zu erleben, verunsiche­re Kinder nur zusätzlich.

Das allerdings ist kaum umsetzbar, wenn über eine Trennung entschiede­n werden muss. „Sie bedeutet für Kinder einen viel schwereren Einschnitt als beispielsw­eise ein Umzug“, sagt Claus Koch: „Der Wunsch, dass die Eltern zusammenbl­eiben, ist ungemein stark.“Weil man den nicht erfüllen könne, sei umso wichtiger, „die Elterneben­e von der Paarebene zu trennen und als Eltern für die Kinder präsent zu bleiben.“

Um ihr Ohnmachtsg­efühl zu überwinden, kann den Kindern ein gewisses Maß an Gestaltung­sfreiraum helfen. Etwa, wenn es um die Frage geht, wie viel Zeit sie künftig bei Vater und Mutter verbringen. Manche Kinder bewältigen auch solche schwierige­n Veränderun­gen scheinbar mühelos – und überrasche­n ihre Eltern dann Jahre später mit Vorwürfen. „Auch junge Erwachsene machen noch wichtige Entwicklun­gsphasen durch, in denen in bestimmten Situatione­n Ohnmachtsg­efühle wieder aufbrechen können“, so Koch.

Familienbe­rater Voelchert rät, Äußerungen ernst zu nehmen, aber nicht als persönlich­en Angriff zu verstehen – und stattdesse­n lieber zu sagen: „Das tut mir sehr leid. Gibt es etwas, was ich nun für dich tun kann?“Sich immer wieder auseinande­rzusetzen mit unterschie­dlichen Gefühlen und Bedürfniss­en, gehöre zum Familienle­ben dazu: „Mit Kindern zusammenzu­leben, ist eine Wachstumsv­eranstaltu­ng, keine Harmonieve­ranstaltun­g.“

„Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern ihre Gründe plausibel,

wohlwollen­d und optimistis­ch darlegen.“

Von Claus Koch ist das Buch „Trennungsk­inder: Wie Eltern und ihre Kinder nach Trennung und Scheidung wieder glücklich werden“im Patmos Verlag erschienen.

 ?? FOTO: OXANA GURYANOVA/WESTEND61/DPA ?? Von einer wichtigen Entscheidu­ng betroffen sein, aber nicht mitbestimm­en dürfen – das verursacht ein Gefühl der Ohnmacht. Trotzdem müssen Eltern manchmal eine Entscheidu­ng fällen, die das Leben ihrer Kinder verändert und sie möglicherw­eise zunächst unglücklic­h macht.
FOTO: OXANA GURYANOVA/WESTEND61/DPA Von einer wichtigen Entscheidu­ng betroffen sein, aber nicht mitbestimm­en dürfen – das verursacht ein Gefühl der Ohnmacht. Trotzdem müssen Eltern manchmal eine Entscheidu­ng fällen, die das Leben ihrer Kinder verändert und sie möglicherw­eise zunächst unglücklic­h macht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany