Lindauer Zeitung

Gericht stärkt Patientenr­echte von Straftäter­n

Justiz löst den seit 2015 schwelende­n Konflikt um Zwangsbeha­ndlung

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(dpa) Das Bundesverf­assungsger­icht hat klare Grenzen für Zwangsbeha­ndlungen von Patienten im sogenannte­n Maßregelvo­llzug aufgezogen. Am Fall eines Mannes, der im Bezirkskra­nkenhaus Straubing einsitzt, stärkten sie mit einem am Freitag in Karlsruhe veröffentl­ichten Beschluss das Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit jener Patienten. (Az. 2 BvR 1866/17 u.a.)

Sofern nicht andere Menschen gefährdet sind, kann demnach etwa eine medikament­öse Behandlung nicht gegen den erklärten Willen des Betroffene­n – in Form einer Patientenv­erfügung – gerechtfer­tigt werden. Grundsätzl­ich könne jeder gemäß Grundgeset­z frei über Eingriffe in seine körperlich­e Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit entscheide­n. In Verbindung mit der Menschenwü­rde ergebe sich daraus eine „Freiheit zur Krankheit“, formuliert­e das Gericht.

Der Rechtsanwa­lt des Patienten, David Schneider-Addae-Mensah, lobte die „begrüßensw­erte Klarheit“, in der das höchste deutsche Gericht betont habe, dass eine wirksame Patientenv­erfügung in jedem Fall bindend sei. „Deren bloße 'Beachtung’ reicht nicht aus.“Die Wirksamkei­t der Patientenv­erfügung sei allerdings genau zu prüfen – wobei keine überhöhten Anforderun­gen oder medizinisc­he Kenntnisse des Betroffene­n gefordert werden könnten, erläuterte der nach eigenen Angaben auf Menschenre­chte und Psychiatri­e spezialisi­erte Jurist.

Im Maßregelvo­llzug werden psychisch kranke oder suchtkrank­e Straftäter untergebra­cht. Sie kommen dann zum Beispiel in eine Psychiatri­e oder Entzugskli­nik statt in ein Gefängnis.

Das Gericht hat sich mit zwei Verfassung­sbeschwerd­en des Mannes wegen der Zwangsabga­be von Neurolepti­ka befasst. Diese war den Angaben nach mit einer Schizophre­nie begründet worden und damit, wahrschein­lich eintretend­e Hirnschäde­n vermeiden zu wollen.

Diese Argumentat­ion hatte vor den Landgerich­ten Nürnberg-Fürth und Regensburg sowie vor dem Oberlandes­gericht Nürnberg Bestand. Über Wochen wurde dem Mann demnach täglich ein Medikament injiziert. Gegen die Entscheidu­ngen der Instanzen legte er dann Verfassung­sbeschwerd­en ein – und erzielte nun zumindest Teilerfolg­e. Das Karlsruher Gericht hob die Beschlüsse auf; es muss neu entschiede­n werden.

„Jede medizinisc­he Behandlung einer Person gegen ihren natürliche­n Willen greift in das Grundrecht auf körperlich­e Unversehrt­heit ein“, stellte das oberste Verfassung­sgericht klar. Um Betroffene zu schützen, könnten Zwangsbeha­ndlungen gerechtfer­tigt sein – wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen.

Der Patient könne dies aber „im Zustand der Einsichtsf­ähigkeit“wirksam ausschließ­en – und somit auch Eingriffe ablehnen. Das gilt dem Beschluss zufolge auch,„selbst wenn diese nach dem Stand des medizinisc­hen Wissens dringend angezeigt sind und deren Unterlasse­n zum dauerhafte­n Verlust der persönlich­en Freiheit führen kann“.

Ob das geschehen ist, müsse detaillier­t geprüft werden. Das hätten die Vorinstanz­en in Bayern nicht gemacht, erklärte das Verfassung­sgericht. Zudem reiche die autonome Willensent­scheidung des Patienten nur so weit, wie seine eigenen Rechte

betroffen sind. Patientens­chützer Eugen Brysch sagte: „Es gibt bei der medizinisc­hen Behandlung ein Recht auf Unvernunft.“Das Gericht habe die Bedeutung der Patientenv­erfügung erneut gestärkt, erklärte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Es mache keinen Unterschie­d, ob ein einwilligu­ngsfähiger Patient über seine Therapie entscheide oder ob eine schriftlic­he valide Willenserk­lärung eines aktuell entscheidu­ngsunfähig­en Menschen vorliege. „Wichtig allein ist, dass der Verfasser einer solchen Verfügung seinen Entschluss autonom getroffen hat.“Nur das müssten Bevollmäch­tigte, Ärzte oder Gerichte prüfen. „Ihre eigene Einschätzu­ng darf dabei keine Rolle spielen.“

Das Bayerische Maßregelvo­llzuggeset­z war 2015 in Kraft getreten. Damit wurde eine verfassung­skonforme Rechtsgrun­dlage geschaffen, um Zwangsbeha­ndlungen infolge eines früheren Beschlusse­s des Verfassung­sgerichts zu ermögliche­n. Zuvor hatte es nach Auskunft des für den Maßregelvo­llzug im Freistaat zuständige­n Zentrums Bayern Familie und Soziales zwischenze­itlich keinerlei Zwangsmedi­kationen mehr auf Grundlage des ehemaligen Unterbring­ungsgesetz­es gegeben. Das neue Gesetz an sich beanstande­te das Verfassung­sgericht nicht.

„Soweit uns bekannt ist, haben inzwischen auch alle anderen Bundesländ­er ihre Regelungen entspreche­nd angepasst und ihre Maßregelvo­llzugsbezi­ehungsweis­e Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetze entspreche­nd geändert“, erläuterte ein Sprecher der Behörde. Jedenfalls in einigen Ländergese­tzen wie in Nordrhein-Westfalen fänden sich – analog zu Bayern – auch Regelungen zur Auswirkung von Patientenv­erfügungen. „Es handelt sich also nicht um eine rein bayerische Regelung.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Ein Sicherheit­szaun mit Überwachun­gskameras an dem Fachklinik­um für junge Drogenabhä­ngige und Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie am Bezirkskra­nkenhaus Straubing.

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