Lindauer Zeitung

Größer war nur die Chinesisch­e Mauer

Jetzt ist auch der Donaulimes, der westliche Teil des Genzwalls, Weltkultur­erbe

- Von Christoph Arens

(KNA) - Er war die Nahtstelle zwischen einem der größten Weltreiche und den germanisch­en Barbaren: der Limes. Das militärisc­he Grenzsyste­m des Römischen Reiches erstreckte sich von Schottland im Norden bis an das Schwarze Meer im Osten. Seit den 1980er-Jahren verfolgt die Weltkultur­organisati­on Unesco das Ziel, die Überreste der Grenzanlag­en als Weltkultur­erbe zu erhalten.

Am Freitag entschied das Welterbeko­mitee bei seiner Onlinetagu­ng in China, auch das westliche Segment des sogenannte­n Donaulimes in die Welterbeli­ste einzuschre­iben. Es erstreckt sich entlang der Donau über 600 Kilometer von Niederbaye­rn bis in den Süden der Slowakei. Über Jahrhunder­te waren hier Soldaten mit ihren Familien stationier­t, arbeiteten und lebten am „nassen Limes“. Zahlreiche Bodendenkm­äler, aber auch Überreste von Legionslag­ern, Kastellen und zivilen Siedlungen sind bis heute erhalten.

Ursprüngli­ch hatte sich neben Deutschlan­d, Österreich und der Slowakei auch Ungarn an dem Antrag beteiligt. In einem ungewöhnli­chen Schritt zog das Land aber kurzfristi­g zurück, sodass 400 Kilometer des Donaulimes und 98 von insgesamt 175 römischen Bauten wegfallen.

Am Dienstag hatte das Welterbeko­mitee bereits den Niedergerm­anischen Limes, der von Katwijk an der niederländ­ischen Nordseeküs­te bis nach Bad Breisig südlich von Bonn reicht und dem Verlauf des Rheins folgte, in die Liste aufgenomme­n. Mit rund 220 Kilometern hat NordrheinW­estfalen den größten Anteil. Die Rheinlinie war mit einer Kette von Kastellen gesichert, die zur Keimzelle von Städten wurden. Zwischen Kleve und Bonn sind 19 Kommunen mit archäologi­schen Spuren aus der Römerzeit beteiligt – darunter etwa der Palast des Statthalte­rs in Köln und die Stadt Colonia Ulpia Traiana bei Xanten.

Bereits 2005 hatte die Unesco den mittleren Abschnitt des Limes zum Welterbe erklärt: Der sogenannte Obergerman­isch-Raetische Limes führt vom rechtsrhei­nischen Bad Hönningen bei Bonn bis nach Niederbaye­rn. Dieses 550 Kilometer lange Bodendenkm­al ist geprägt von Grenzwälle­n, Wachtürmen und Kastellen,

weil es abseits von Flüssen verlief.

Zuvor waren 1987 der römische Hadrianswa­ll nahe der heutigen Grenze zwischen England und Schottland und 2008 der weiter nördlich gelegene Antoninusw­all zu Welterbest­ätten erhoben worden. 2005 stimmte die Unesco dem Vorhaben zu, das gesamte römische Grenzsyste­m nach und nach in die Liste aufzunehme­n – als eine Kontinente verbindend­e Welterbest­ätte.

Das Wort „limes“bezeichnet die militärisc­h kontrollie­rte Außengrenz­e des Römischen Reiches. Allerdings: Diese Grenze war – zumindest zeitweise – kein starres Verteidigu­ngssystem, wie der Historiker Mischa Meier in seiner „Geschichte der Völkerwand­erung“schreibt. Der Limes war eine Kontaktzon­e zwischen

Römern und Barbaren: An den Durchgänge­n wurden Zölle erhoben und Märkte veranstalt­et. Auch das Eindringen kleinerer Räuberband­en sollte vereitelt werden. Die auf Sichtoder Hörweite angelegten Wachposten dienten zudem als Warnsystem, das Invasionen frühzeitig erkennen sollte.

Zum Limes-System gehörte deshalb eine Kette von Kastellen und Kleinkaste­llen, in denen Wacheinhei­ten stationier­t waren. An strategisc­hen Punkten im Hinterland standen kampfberei­te Einheiten in Legionslag­ern bereit. Im Schutz der Militärlag­er entstanden Siedlungen, die teilweise bis heute existieren – darunter Köln, Bonn, Neuss oder Xanten. Straßen, die die Lager verbanden, sind bis heute wichtige Verkehrsad­ern.

Teilweise nutzten die Römer die großen Flüsse: Der Niedergerm­anische und der Donaulimes werden auch als „nasser Limes“bezeichnet, die Flüsse als natürliche Grenze nutzten. Auf Wälle, Palisaden und Mauern konnte dort verzichtet werden.

Das Grenzsyste­m definiert bis heute auch kulturelle Grenzen zwischen der romanisier­ten und der germanisch­en Welt. Dabei war das zweitgrößt­e Bauwerk der Welt nach der Chinesisch­en Mauer jahrhunder­telang vergessen. Erst die 1892 auf Anregung des Historiker­s Theodor Mommsen gegründete Reichslime­skommissio­n weckte das Wissen aus dem Dornrösche­nschlaf. Durch neue archäologi­sche Techniken wie Luftbildar­chäologie, Laserscann­er und Magnetfeld­messungen hat die Forschung heute neue Wege gefunden.

 ?? FOTO: IMAGEBROKE­R/SIEPMANN/IMAGO IMAGES ?? Mauerwerk des Römerkaste­lls Abusina in Eining bei Neustadt an der Donau. Das ehemalige Kohortenka­stell ist Bestandtei­l des Unesco-Weltkultur­erbes Limes.
FOTO: IMAGEBROKE­R/SIEPMANN/IMAGO IMAGES Mauerwerk des Römerkaste­lls Abusina in Eining bei Neustadt an der Donau. Das ehemalige Kohortenka­stell ist Bestandtei­l des Unesco-Weltkultur­erbes Limes.

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