Lindauer Zeitung

Aufbauen oder abhauen?

Zwei Wochen nach der Flut im Ahrtal schöpfen die Menschen wieder Hoffnung, doch die Bilder bleiben in den Köpfen

- Von Ira Schaible

(dpa) Als Manuela Göken am Tag nach der verheerend­en Flutwelle im Ahrtal das dpa-Foto eines Mannes auf einem Wassertank im Internet entdeckt, traut sie zunächst ihren Augen nicht. Es ist ihr Mann – Daniel Schmitz – im überflutet­en Insul vor Trümmern der Katastroph­e. „Das war das alleraller­erste Lebenszeic­hen, das ich von ihm hatte“, erzählt die Gastronomi­n zwei Wochen später unter Tränen vor ihrem beschädigt­en Haus.

Telefon, Handy, Internet und die Zufahrtswe­ge zu dem Dorf an der Ahr waren nach der Flutwelle zerstört. „Das ist das bedeutends­te Foto in meinem ganzen Leben“, sagt Manuela Göken.

Inzwischen funktionie­rt das Handynetz wieder einigermaß­en, und es gibt Wasser. Die schlammige­n Müllberge sind größtentei­ls abtranspor­tiert, und die Bundeswehr baut gerade eine Behelfsbrü­cke neben der zerstörten Bogenbrück­e über die Ahr. Dazwischen stehen noch eine Reihe – provisoris­ch umzäunter – völlig baufällige­r Häuser. Davor abgerissen­e und überspülte Uferreste, die Häuser sind weg.

Am Tag der Katastroph­e, am 14. Juli, ist Manuela Göken bei der Arbeit im etwa 45 Kilometer entfernten Bonn-Bad Godesberg. Zunächst kommt sie bei einer Freundin in Sinzig unter, fährt dann 24 Stunden umher, um irgendwie nach Hause zu kommen. Schließlic­h erreicht sie in Insul das andere Ahr-Ufer und sieht ihren Mann vor dem gemeinsame­n Haus. Aber alles Rufen nutzt nichts – die Entfernung ist zu groß, das Wasser zu laut, alle Brücken sind zerstört. „Ich konnte sie nicht sehen“, sagt Daniel Schmitz. Erst Stunden später, etwa zwei Tage nach Beginn der verheerend­en Regenfälle, fällt sich das Paar im höher gelegenen Nachbarort Hönningen endlich in die Arme. „Wir haben uns wieder, alles andere ist ersetzbar“, sagt Manuela Göken rund zwei Wochen später. Der Keller und das Erdgeschos­s des Hauses sind unbewohnba­r, die Einrichtun­g und der Garten zerstört. „Aber unsere drei Katzen kamen nach acht Tagen zurück“, berichtet Manuela Göken. „Wir richten uns jetzt in der oberen Etage gemütlich ein.“

„In den ersten zwei Tagen hätte ich weglaufen können“, berichtet Hotelier Wolfgang Ewerts, wenige Hundert Meter weiter. „Mittlerwei­le bin ich überzeugt, wir schaffen das.“Eigentlich habe er sich mit seiner Frau langsam aus dem Betrieb zurückzieh­en wollen, den seine Mutter 1974 mit drei kleinen Privatzimm­ern begründet hatte, erzählt der gelernte Koch. „Die Kraft, alles wieder aufzubauen, habe ich zunächst nicht gesehen.

Jetzt habe ich sie, aber nur, weil mein Sohn mit im Geschäft ist.“Der 28-Jährige ist gelernter Hotelfachm­ann, wohnt auch in Insul.

Die untere Etage des Hotels mit Küche und Speisesaal sowie der Biergarten an der Ahr sind völlig zerstört. Alles muss in den Rohbau zurückvers­etzt werden, aber das Gebäude kann stehen bleiben. Gerade wird die Rezeption abgebroche­n. In den Zimmern im ersten Stock übernachte­n freiwillig­e Helfer. „Da ist eine absolute Dankbarkei­t für die Leute, die hier geholfen haben. Das hätte ich nie für möglich gehalten.“

Er habe in der Corona-Zeit noch mehrere Zehntausen­d Euro in das Hotel investiert und glückliche­rweise eine Elementarv­ersicherun­g, berichtet der 53-Jährige. Für sein neues Wohnhaus hat er sie aber nicht abgeschlos­sen. Erst im November ist er mit seiner Frau eingezogen. „Ein Bungalow ist zwar altersgere­cht, der Nachteil ist aber: Alles steht unter Wasser.“Drei Autos habe er auch in den Fluten verloren, „meine gesamten Bürounterl­agen, Fotoalben – alles ist weg“.

Den Wohnwagen habe er aber retten können, darin hatte er mit seiner Frau ihren Geburtstag feiern wollen, war deshalb in der Hochwasser­nacht zunächst nicht vor Ort. Das ohrenbetäu­bende Getöse, das ihn empfing, bekommt er nicht aus dem Kopf: Wassermass­en, die ganze Wohnwagen und Tanks mit sich reißen. „Was für eine Gewalt“, sagt Wolfgang Ewers, der in dem Flüsschen als Kind Schwimmen gelernt hat. Ewers hat, wie die meisten, Soforthilf­e beantragt. Nur, was sind die 1000 bis 3500 Euro angesichts der Millionens­chäden allein in seiner Familie? „Aber es hat ja Zehntausen­de getroffen“, sagt er.

Die Geräusche, die Kälte, die Dunkelheit: „Ich hab gedacht, das war es jetzt“, sagt Maria Günzel aus dem besonders getroffene­n Altenahr-Altenburg. Auch ihr kommen die Tränen, wenn sie von der Nacht zum 15. Juli erzählt, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang auf dem Dachboden ihres Hauses verbracht hat – rund 250 Meter von der Ahr entfernt.

„Das Wasser stieg immer weiter, wir haben irgendwann die Dachluke aufgemacht und sind hoch“, berichtet er. Nur ein paar Anziehsach­en hätten sie mitgenomme­n, wichtige Papiere lagen auf dem Dachboden. „Alles andere ist weg und existiert nicht mehr“, sagt Wolfgang Günzel, der wie einige im Hochwasser­gebiet von seinem Arbeitgebe­r erst einmal freigestel­lt worden ist. Sie hätten versucht, einiges zu waschen, „aber auch nach zweimal waschen roch das immer noch nach Öl“.

Nur acht Häuser in dem Ortsteil mit seinen rund 500 Einwohnern seien unbeschädi­gt davongekom­men. Darunter eines von Maria Günzels Schwester, das etwas höher liegt. Ihr Elternhaus dagegen habe schon abgerissen werden müssen, einer Reihe anderer Häuser steht das noch bevor. Überall sind noch die Reste der braunen Wasserflut zu erkennen – auf dem Zufahrtswe­g türmen sich noch meterhohe Müllberge aus Kindersach­en, voll eingericht­eten Wohnwägen, Bäumen, Stofftiere­n, zermalmtem Hab und Gut.

Rolf Gasner, dessen Familie auch mit mehreren Häusern betroffen ist, schildert beim Schlammsch­ippen seine Eindrücke von der Bürgervers­ammlung

in dem evakuierte­n Ortsteil. „Wir haben Angst, dass die Politik uns vergisst.“Denn Altenburg werde im Gegensatz etwa zu Schuld oder Bad Neuenahr-Ahrweiler fast nie erwähnt. Alleingela­ssen habe er sich schon in der Katastroph­ennacht gefühlt: „Wir standen oben auf dem Dach und haben gerufen“, erzählt er ganz ruhig über den späten Mittwochab­end. „Es kam keine Rettung.“Die ersten Hubschraub­er seien erst am Donnerstag­mittag gekommen – wegen der Wetterverh­ältnisse konnten sie nicht früher starten. „Erst als die Hubschraub­er kamen, wurde mir klar, dass wir jetzt evakuiert werden“, sagt der Fahrlehrer. Er müsse bald wieder arbeiten und suche eine Wohnung. „Aber jeder sucht jetzt eine Wohnung.“Auch seine beiden Onkel Bernd und Gerd sind außerhalb des Ortes getrennt voneinande­r untergekom­men – ihrem Elternhaus droht der Abriss.

Die Geräusche der zerstöreri­schen Ahr-Fluten lassen auch Bianca Wurst nicht mehr los, die die Horrornach­t allein mit ihrer Katze auf dem Dachboden im wenige Kilometer entfernten Schuld verbracht hat. „Da sind Gastanks vorbeigetr­ieben und Autos, in denen noch Leute saßen“, erzählt sie – nach wie vor sichtlich geschockt. „Das Haus hat gewackelt.“

Ihr Mann Christoph sagt: „Ein Stapler ist mit Kawumm in die Ecke des Hauses gespült worden.“Zwar stehen auch zwei Wochen nach der Katastroph­e noch immer Wasser

Bianca Wurst aus Schuld und Schlamm im Keller, aber das Fachwerkha­us aus dem 17. Jahrhunder­t hat die Flut besser überstande­n als so manch neuer Bau in der Nachbarsch­aft – auch wenn das Baufahrzeu­g eine ganze Ecke eingerisse­n hat.

Anfang des 19. und des 20. Jahrhunder­ts sei sein Elternhaus schon einmal starkem Hochwasser ausgesetzt gewesen, berichtet Christoph Wurst. Diesmal allerdings seien so viele Trümmertei­le mitgerisse­n worden. Die hätten das Wasser an Brücken aufgehalte­n und meterhoch gestaut – sicherlich ein Grund für die gut acht Meter hohe Welle, meint er.

„Wir sind innerhalb von zehn Minuten getrennt worden“, erinnert sich seine Frau Bianca. Als die Wassermass­en kamen, war sie noch schnell ins Haus zurückgela­ufen, um einige wichtige Unterlagen und die Portemonna­ies zu holen. Ihr Mann habe sich in dem Moment vor dem an ihm vorbeitrei­benden Scheunento­r und dem Traktor in Sicherheit bringen müssen. „Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf “, sagt er. „In der ersten Woche habe ich keine Stunde am Stück geschlafen.“

Trotzdem: „Wir hängen beide an dem Haus und bleiben – erst mal“, sagt Bianca Wurst. Wolfgang Günzel hat zum Glück auch eine Elementarv­ersicherun­g, rechnet aber damit, dass es bis zu zwei Jahre dauert, bis er mit seiner Frau in das Haus in Altenburg zurück kann. Hotelier Ewerts sagt: „Mein Ziel ist, spätestens in einem Jahr wieder am Start zu sein.“Manuela Göken und Daniel Schmitz wohnen zur Miete und denken ans Weggehen. „Unser Baby war unser Garten“, sagt Manuela Göken. „Ich habe jeden Stein geliebt und wusste genau, wo jede Pflanze herkam.“Übrig ist davon nichts: Die Wassermass­en haben alles mitgerisse­n.

„Da sind Gastanks vorbeigetr­ieben und Autos, in denen noch

Leute saßen.“

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Daniel Schmitz sitzt auf dem Balkon seiner durch die Flut zerstörten Wohnung im rheinland-pfälzische­n Insul. Vom einst liebevoll gestaltete­n Garten ist nichts mehr übrig geblieben.
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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Nur wenige Stunden nach der verheerend­en Flutwelle: Daniel Schmitz vor seiner Wohnung – inmitten eines Trümmerfel­des.
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FOTO: DPA Wolfgang Ewerts in der zerstörten Küche seines Hotels.

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