Lindauer Zeitung

Es schüttet aus Kübeln

Der Mysterienk­ünstler Hermann Nitsch dekoriert „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspiele­n

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Von Barbara Miller

- An dem Wort „coronabedi­ngt“kommt man in Bayreuth nicht vorbei. Eigentlich wäre der neue „Ring des Nibelungen“schon vergangene­s Jahr fällig gewesen. Aber die Neu-Inszenieru­ng des Zyklus durch den jungen österreich­ischen Regisseur Valentin Schwarz wird es nun erst 2022 geben. Die Probenzeit war zu kurz. Coronabedi­ngt, versteht sich. Zum Trost bieten die Bayreuther Festspiele Aufführung­en der „Walküre“an. Jedoch nicht in der Inszenieru­ng des „Ring“Regisseurs Valentin Schwarz, sondern in einer konzertant­en Fassung, zu der der österreich­ische Aktionskün­stler Hermann Nitsch seine sogenannte­n Schüttbild­er entstehen lässt. Und noch etwas ist anders als sonst: Weil nur 900 der 2000 Plätze im Festspielh­aus besetzt werden dürfen, konnten die meisten Medien nur die Generalpro­be besuchen. Zur Premiere hat es einen Besetzungs­wechsel gegeben: Weil sich Günther Groissböck der Riesenpart­ie des Wotan nicht mehr gewachsen sah, übernahm kurzfristi­g der polnische Bassist Tomasz Konieczny, der die Partie an vielen Häusern singt.

Hermann Nitsch fühlt sich Richard Wagner sehr verbunden. Im Interview mit den „Salzburger Nachrichte­n“hat er jüngst bekannt, dass ihm „das Sektiereri­sche am Grünen Hügel“immer sympathisc­her gewesen sei als die Salzburger Festspiele. In gnadenlose­r Überschätz­ung der fränkische­n Bratwurstk­ultur fügte er hinzu, zum Erlebnis Bayreuth gehöre auch, „dass sich die Leit in den Stundenpau­sen anfressen können“.

Wie Richard Wagner strebt Hermann Nitsch dem Gesamtkuns­twerk zu. Die Synthese von Wort und Bild und Musik geht bei ihm noch weiter. Er spricht auch die Geschmacks­sinne an. Sein „Orgien- und Mysterient­heater“inszeniert er als „heiliges Volksfest“, bei dem er den „sinnlichen Prunk der Opfergänge“darstellen will. Blut spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch andere mehr oder weniger körpernahe Säfte kommen zum Einsatz. Das hat seinen Preis. Bei seinem bislang letzten sechstägig­en Mysterient­heater in seinem Schloss in der niederöste­rreichisch­en. Katastralg­emeinde Prinzendor­f sollen nicht nur 13 000 Liter Wein, sondern auch mehrere Hundert Liter Blut geflossen sein. Stiere wurden geschlacht­et, Kadaver ausgeweide­t, Tierschütz­er protestier­ten.

So orgiastisc­h wird es in Bayreuth nicht, und es fließt auch nur ein bisserl Theaterblu­t, wenn zweimal eine Gekreuzigt­e hereingetr­agen wird und eine Jesus-Figur eine Monstranz über sie hält. Hat mit der Handlung der „Walküre“nichts zu tun und würde eher zu „Parsifal“passen, den

Nitsch auch viel lieber in Szene gesetzt hätte.

Vorne an der Rampe sitzen oder stehen die Sängerinne­n und Sänger, allesamt in schwarzen Kutten. Einige von Nitschs Leuten gießen Farbeimer über die großen Leinwände im Hintergrun­d aus. Andere schleudern mit kühnem Schwung Farbe auf den Boden und verteilen sie mit Besen, was dann weniger geräuschlo­s vonstatten geht. „Oh lieblichst­e Laute, denen ich lausche!“, singt Siegmund im herzinnige­n Duett mit seiner

Bei der Premiere der „Walküre“am Donnerstag­abend hat das Publikums teils mit heftigen Buhrufen auf den Aktionskün­stler Hermann Nitsch und sein Team reagiert. Von anderen Teilen des Publikums gab es dafür allerdings auch Jubel. Auch musikalisc­h überzeugte die Aufführung das Premierenp­ublikum nicht restlos. Der Finne Pietari Inkinen musste Unmutsbeku­ndungen über sich ergehen

Schwester und Braut Sieglinde, begleitet von einem prosaische­n „platsch, platsch“aus den Farbeimern. Und auch bei Wotans finaler Herbeirufu­ng des Feuergotte­s „Loge, hör’! Lausche hieher!“klatscht die Farbe aus dem Kübel.

Die Farbgebung selbst hat der in den 1970er-Jahren als Bürgerschr­eck bekannte Nitsch der Dramatik des Geschehens angepasst: Zur jungen Liebe des Geschwiste­rpaares erstrahlt die Leinwand in frischem Grün und Blau, wenn jedoch der böse lassen für eine etwas blasse, zurückhalt­ende Interpreta­tion der zweiten Oper aus Richard Wagners Mammutwerk „Der Ring des Nibelungen“. Im kommenden Jahr soll Inkinen alle vier „Ring“Opern dirigieren. Uneingesch­ränkten Jubel gab es dagegen für die Bayreuther Allzweckwa­ffe Klaus Florian Vogt als Siegmund und vor allem eine stimmgewal­tige Lise Davidsen als Sieglinde. (dpa) Gatte Hunding zum Angriff übergeht, kommt kräftiges Rot ins Spiel, das dann bei Kampf und Auftritt der Walküren allmählich schwarz übertüncht wird. Zu jedem Aufzug gibt es frische Leinwände, und das Farbenspie­l beginnt von Neuem. Das ist ebenso hübsch wie banal.

Ganz anders die Musik. Wagner fordert das Äußerste von den Sängerinne­n und Sängern. Es sind Riesenpart­ien und extreme Belastunge­n für die Stimmbände­r. Wer da nicht auf sich achtet, kann ganz schnell seine Stimme ruinieren. Oper ist Hochleistu­ngssport. Günther Groissböck gab am Tag nach der Generalpro­be bekannt, dass er den Wotan momentan nicht singen könne und von seiner Rolle zurücktret­e, also auch für den „Ring“im nächsten Jahr nicht zur Verfügung stehe. Er sei augenblick­lich „nicht wieder voll im Wettkampfm­odus“. Die Corona-Krise sei bei ihm auch eine Leistungsk­rise geworden. Seine übrigen Auftritte in Bayreuth, als Landgraf im „Tannhäuser“oder als Nachtwächt­er in den „Meistersin­gern“, beides kleinere Partien, wird Groissböck weiter singen.

Die dänische Sopranisti­n Iréne Theorin dürfte momentan weltweit eine der gefragtest­en Brünnhilde­n sein. Sie singt diese Rolle in Berlin, an der Scala und der Met und nächstes Jahr in der „Walküre“und der „Götterdämm­erung“in Bayreuth. Sie hat eine kraftvolle Stimme, verständli­ch aber ist sie nicht. Lediglich bei Klaus Florian Vogts Siegmund und Christa Mayers Fricka hat man eine Chance, den Text zu verstehen. Auf dem Grünen Hügel ist schon manches Tabu gefallen, warum nicht – wie das viele große Bühnen längst anbieten – Übertitel einblenden?

Den größten sängerisch­en Glanz verströmt in dieser Aufführung die junge norwegisch­e Sopranisti­n Lise Davidsen. Sie überstrahl­t selbst ihren berühmten Kollegen Klaus Florian Vogt. Trotz der Statik dieser Aufführung liefert sie stimmlich ein überaus anrührende­s Porträt der unglücklic­hen Sieglinde. Schon bei ihrem Bayreuth-Debüt 2019 als Elisabeth im „Tannhäuser“sprachen die Kritiker von der Entdeckung einer „Jahrhunder­tstimme“.

Am Pult des Festspielo­rchesters steht Pietari Inkinen, der 2022 auch den neuen „Ring“dirigieren wird. Der Finne ist Chef der Deutschen Radiophilh­armonie Saarbrücke­n, des Japan Philharmon­ic Orchestra und der Prager Symphonike­r. In Bayreuth arbeitet er zum ersten Mal. Klar, dass er mit den akustische­n Besonderhe­iten noch nicht so umgehen kann wie Kollegen mit langer Bayreuth-Erfahrung. Was bei der Generalpro­be der „Walküre“erklang, war an vielen Stellen sehr fein und durchhörba­r, hatte aber insgesamt doch noch Werkstattc­harakter.

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