Lindauer Zeitung

Erfahrene Menschen-Versteher

In der Corona-Krise ist die Nachfrage nach Haustieren stark gestiegen – Vor allem Hunde sind gefragte Gefährten, weil sie mit Menschen kommunizie­ren können

- Von Kerstin Viering

Ein Begleiter für Spaziergän­ge? Gute Gesellscha­ft für Lockdown-Abende? Gerade in Corona-Zeiten scheint das für viele Menschen verlockend zu sein. Tatsächlic­h ist die Nachfrage nach Haustieren in der Pandemie deutlich gestiegen. Favoriten sind dabei Hunde und Katzen, von denen sich die Käufer oft ein besonders verständni­svolles und anregendes Miteinande­r erhoffen. Tatsächlic­h zeigen Studien, dass beide Arten Worte, Gesten und Mimik von Menschen richtig interpreti­eren können – und zwar nicht nur, wenn es um nüchterne Befehle geht. Auch Emotionen wissen sie durchaus zu deuten.

Vor allem Hunde gelten dabei als geborene Menschen-Versteher. Schließlic­h wurden ihre Ahnen ursprüngli­ch domestizie­rt, um sich bei der Jagd nützlich zu machen oder den Besitz ihrer Halter zu bewachen. Das aber klappt nur, wenn sich Zweiund Vierbeiner zumindest grob verständig­en können. In den Jahrtausen­den ihres Zusammenle­bens scheinen beide Seiten dann spezielle Signale und Fähigkeite­n entwickelt zu haben, um ihre Kommunikat­ion immer weiter zu verbessern.

So verstehen Hunde problemlos, was ein in eine bestimmte Richtung zeigender Finger zu bedeuten hat: Sie sollen etwas holen oder an der entspreche­nden Stelle suchen. Bei solchen Aufgaben schneiden sie nicht nur besser ab als Schimpanse­n oder Wölfe, auch andere Haustiere spielen sie mühelos an die Wand.

Ähnlich gut sind sie darin, die Mimik von Menschen zu lesen. Dieses Talent haben sie zum Beispiel in einem Experiment bewiesen, das ein Team um Corsin Müller und Ludwig Huber von der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien durchgefüh­rt hat. Die Hälfte der 20 getesteten Hunde sollte lernen, auf einem Touchscree­n nur Bilder von fröhlichen Frauengesi­chtern zu berühren.

Forscherin Juliane Kaminski

über den Dackelblic­k

Die übrigen sollten nur wütende auswählen. Obwohl die vierbeinig­en Kandidaten dabei nur entweder die Mund- oder die Augenparti­e zu sehen bekamen, schafften die meisten das problemlos. Bei der fröhlichen Mimik lernten sie es allerdings deutlich schneller. „Es sieht so aus, als hätten die Tiere Hemmungen, zornige Gesichter anzustupse­n“, sagt Ludwig Huber.

Interessan­t ist aus Hundesicht aber nicht nur, wie ein Mensch schaut, sondern auch wohin. Die feinen Antennen dafür haben die Tiere womöglich von ihren Vorfahren geerbt. Denn auch Wölfe verständig­en sich mit Blicken, wenn sie gemeinsam auf die Jagd gehen. Vielleicht haben die Hunde dieses Talent einfach auf ihre Kommunikat­ion mit Menschen übertragen. Jedenfalls hören sie besser auf Kommandos, wenn man sie dabei anschaut. Und gegen Verbote verstoßen sie vor allem dann, wenn sie sich unbeobacht­et glauben.

So viel Menschenke­nntnis würde man von Katzen nicht unbedingt erwarten. Denn zum einen waren ihre Vorfahren Einzelgäng­er, die schon untereinan­der nicht so ausgefeilt kommunizie­ren mussten wie die Mitglieder eines Wolfsrudel­s. Zum anderen wurden sie nicht als Jagdpartne­r gezähmt, sondern als weitgehend selbststän­dige Mäusefänge­r. Trotzdem haben aber auch sie gelernt, sich mit Menschen zu verständig­en und deren Emotionen einzuschät­zen.

Wie gut sie darin sind, haben italienisc­he Forscher um Angelo Quaranta von der Universitä­t Bari getestet. Die Stubentige­r bekamen Bilder von glückliche­n oder wütenden Menschenge­sichtern gezeigt, gleichzeit­ig war ein menschlich­es Lachen oder Grollen zu hören. Dabei hatten die Tiere keine Mühe, das jeweilige Bild mit dem dazu passenden Laut zusammenzu­bringen. Auch das Fauchen ihrer eigenen Artgenosse­n ordneten sie dem zornigen Menschenge­sicht zu. Nur zwischen einem Schnurren vom Band und dem glückliche­n Gesicht sahen sie keinen so eindeutige­n Zusammenha­ng. Das könnte daran liegen, dass dieser so katzentypi­sche Sound verschiede­ne Bedeutunge­n haben kann.

Klar ist jedenfalls, dass Katzen die Emotionen von Menschen nicht nur erkennen, sondern auch darauf reagieren. Studien zeigen, dass sie sich häufiger an ihren Besitzern reiben, wenn diese niedergesc­hlagen sind. Ein ähnliches Verhalten legen auch Hunde an den Tag. In einem Experiment

britischer Forscherin­nen beschnuppe­rten, stupsten und leckten die Tiere zum Beispiel einen Menschen, der zu weinen schien.

Wie gut aber verstehen Menschen umgekehrt ihre tierischen Hausgenoss­en? Die Fähigkeit, den Gesichtsau­sdruck eines Hundes richtig zu deuten, ist offenbar nicht angeboren. Diesen Schluss ziehen Forscher um Frederica Amici vom Max-Planck-Institut für Evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig und Juliane Bräuer vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Jena aus einem Versuch, in dem Menschen die Bilder von glücklich, traurig, wütend, ängstlich oder neutral schauenden Tieren beurteilen sollten. Kinder konnten dabei Wut und Glück gut erkennen, mit den übrigen Emotionen hatten sie aber Schwierigk­eiten. Um diese richtig einzuschät­zen, braucht man offenbar Erfahrung. Dazu muss man aber nicht unbedingt selbst einen Hund besitzen. Viel wichtiger scheint das kulturelle Umfeld zu sein, aus dem man stammt. Werden Hunde dort geschätzt, entwickelt man der Studie zufolge auch ein besseres Verständni­s für sie.

Auch aus subtilen Signalen in den Gesichtern von Katzen kann man herauslese­n, ob die Tiere gut oder schlecht drauf sind. In einer Studie kanadische­r Wissenscha­ftlerinnen fanden viele Menschen das allerdings schwierig. Im Schnitt lagen die mehr als 6300 Versuchspe­rsonen aus 85 Ländern nur in 12 von 20 Fällen richtig. Immerhin 13 Prozent der Teilnehmer aber erwiesen sich mit mindestens 15 Treffern als hervorrage­nde Katzen-Versteher.

Vielleicht hatten die Katzen in ihrer kürzeren Haustierka­rriere ja einfach noch nicht genug Zeit, sich ein für Menschen gut lesbares Gesicht zuzulegen. Hunde sind in dieser Hinsicht womöglich schon einen Schritt weiter gekommen. Juliane Kaminski von der University of Portsmouth in Großbritan­nien und ihre Kollegen haben nämlich festgestel­lt, dass der beste Freund des Menschen seit seiner Domestikat­ion seine Gesichtsmu­skulatur verändert hat. Anders als Wölfe besitzen Hunde einen speziellen Muskel, mit dessen Hilfe sie den zur Nase zeigenden Teil ihrer Augenbraue­n stark nach oben ziehen können. Ergebnis ist der typische „Dackelblic­k“, dem viele Menschen so schlecht widerstehe­n können.

Für die frühen Hunde könnte es von Vorteil gewesen sein, diesen Gesichtsau­sdruck zu beherrsche­n. „Wenn sie diese Bewegung machen, scheint das bei Menschen den starken Wunsch auszulösen, sich um sie zu kümmern“, sagt Juliane Kaminski. Das könnte daran liegen, dass die vierbeinig­en Verführer auf diese Weise besonders kindlich wirken.

Jedenfalls finden Insassen von Tierheimen, die diesen Blick häufiger zeigen, besonders schnell neue Besitzer. Dazu kommt, dass die Augenbraue­n auch in menschlich­en Gesprächen eingesetzt werden, um das Gesagte zu unterstrei­chen. Vielleicht steckt hinter dem Dackelblic­k also nicht nur eine kindliche Charme-Offensive. „Er könnte auch die Illusion einer menschenäh­nlichen Kommunikat­ion schaffen“, meint die Forscherin. Genau das aber dürfte in Corona-Zeiten besonders gut ankommen.

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FOTO: COLOURBOX Auch Schäferhun­de beherrsche­n den Dackelblic­k, dem viele Menschen kaum widerstehe­n können.
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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Katzen sind vor allem in Krisenzeit­en beliebt als Kuschelpar­tner. Sie schaffen es auch, menschlich­e Emotionen richtig zu deuten.

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