Erfahrene Menschen-Versteher
In der Corona-Krise ist die Nachfrage nach Haustieren stark gestiegen – Vor allem Hunde sind gefragte Gefährten, weil sie mit Menschen kommunizieren können
Ein Begleiter für Spaziergänge? Gute Gesellschaft für Lockdown-Abende? Gerade in Corona-Zeiten scheint das für viele Menschen verlockend zu sein. Tatsächlich ist die Nachfrage nach Haustieren in der Pandemie deutlich gestiegen. Favoriten sind dabei Hunde und Katzen, von denen sich die Käufer oft ein besonders verständnisvolles und anregendes Miteinander erhoffen. Tatsächlich zeigen Studien, dass beide Arten Worte, Gesten und Mimik von Menschen richtig interpretieren können – und zwar nicht nur, wenn es um nüchterne Befehle geht. Auch Emotionen wissen sie durchaus zu deuten.
Vor allem Hunde gelten dabei als geborene Menschen-Versteher. Schließlich wurden ihre Ahnen ursprünglich domestiziert, um sich bei der Jagd nützlich zu machen oder den Besitz ihrer Halter zu bewachen. Das aber klappt nur, wenn sich Zweiund Vierbeiner zumindest grob verständigen können. In den Jahrtausenden ihres Zusammenlebens scheinen beide Seiten dann spezielle Signale und Fähigkeiten entwickelt zu haben, um ihre Kommunikation immer weiter zu verbessern.
So verstehen Hunde problemlos, was ein in eine bestimmte Richtung zeigender Finger zu bedeuten hat: Sie sollen etwas holen oder an der entsprechenden Stelle suchen. Bei solchen Aufgaben schneiden sie nicht nur besser ab als Schimpansen oder Wölfe, auch andere Haustiere spielen sie mühelos an die Wand.
Ähnlich gut sind sie darin, die Mimik von Menschen zu lesen. Dieses Talent haben sie zum Beispiel in einem Experiment bewiesen, das ein Team um Corsin Müller und Ludwig Huber von der Veterinärmedizinischen Universität Wien durchgeführt hat. Die Hälfte der 20 getesteten Hunde sollte lernen, auf einem Touchscreen nur Bilder von fröhlichen Frauengesichtern zu berühren.
Forscherin Juliane Kaminski
über den Dackelblick
Die übrigen sollten nur wütende auswählen. Obwohl die vierbeinigen Kandidaten dabei nur entweder die Mund- oder die Augenpartie zu sehen bekamen, schafften die meisten das problemlos. Bei der fröhlichen Mimik lernten sie es allerdings deutlich schneller. „Es sieht so aus, als hätten die Tiere Hemmungen, zornige Gesichter anzustupsen“, sagt Ludwig Huber.
Interessant ist aus Hundesicht aber nicht nur, wie ein Mensch schaut, sondern auch wohin. Die feinen Antennen dafür haben die Tiere womöglich von ihren Vorfahren geerbt. Denn auch Wölfe verständigen sich mit Blicken, wenn sie gemeinsam auf die Jagd gehen. Vielleicht haben die Hunde dieses Talent einfach auf ihre Kommunikation mit Menschen übertragen. Jedenfalls hören sie besser auf Kommandos, wenn man sie dabei anschaut. Und gegen Verbote verstoßen sie vor allem dann, wenn sie sich unbeobachtet glauben.
So viel Menschenkenntnis würde man von Katzen nicht unbedingt erwarten. Denn zum einen waren ihre Vorfahren Einzelgänger, die schon untereinander nicht so ausgefeilt kommunizieren mussten wie die Mitglieder eines Wolfsrudels. Zum anderen wurden sie nicht als Jagdpartner gezähmt, sondern als weitgehend selbstständige Mäusefänger. Trotzdem haben aber auch sie gelernt, sich mit Menschen zu verständigen und deren Emotionen einzuschätzen.
Wie gut sie darin sind, haben italienische Forscher um Angelo Quaranta von der Universität Bari getestet. Die Stubentiger bekamen Bilder von glücklichen oder wütenden Menschengesichtern gezeigt, gleichzeitig war ein menschliches Lachen oder Grollen zu hören. Dabei hatten die Tiere keine Mühe, das jeweilige Bild mit dem dazu passenden Laut zusammenzubringen. Auch das Fauchen ihrer eigenen Artgenossen ordneten sie dem zornigen Menschengesicht zu. Nur zwischen einem Schnurren vom Band und dem glücklichen Gesicht sahen sie keinen so eindeutigen Zusammenhang. Das könnte daran liegen, dass dieser so katzentypische Sound verschiedene Bedeutungen haben kann.
Klar ist jedenfalls, dass Katzen die Emotionen von Menschen nicht nur erkennen, sondern auch darauf reagieren. Studien zeigen, dass sie sich häufiger an ihren Besitzern reiben, wenn diese niedergeschlagen sind. Ein ähnliches Verhalten legen auch Hunde an den Tag. In einem Experiment
britischer Forscherinnen beschnupperten, stupsten und leckten die Tiere zum Beispiel einen Menschen, der zu weinen schien.
Wie gut aber verstehen Menschen umgekehrt ihre tierischen Hausgenossen? Die Fähigkeit, den Gesichtsausdruck eines Hundes richtig zu deuten, ist offenbar nicht angeboren. Diesen Schluss ziehen Forscher um Frederica Amici vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Juliane Bräuer vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena aus einem Versuch, in dem Menschen die Bilder von glücklich, traurig, wütend, ängstlich oder neutral schauenden Tieren beurteilen sollten. Kinder konnten dabei Wut und Glück gut erkennen, mit den übrigen Emotionen hatten sie aber Schwierigkeiten. Um diese richtig einzuschätzen, braucht man offenbar Erfahrung. Dazu muss man aber nicht unbedingt selbst einen Hund besitzen. Viel wichtiger scheint das kulturelle Umfeld zu sein, aus dem man stammt. Werden Hunde dort geschätzt, entwickelt man der Studie zufolge auch ein besseres Verständnis für sie.
Auch aus subtilen Signalen in den Gesichtern von Katzen kann man herauslesen, ob die Tiere gut oder schlecht drauf sind. In einer Studie kanadischer Wissenschaftlerinnen fanden viele Menschen das allerdings schwierig. Im Schnitt lagen die mehr als 6300 Versuchspersonen aus 85 Ländern nur in 12 von 20 Fällen richtig. Immerhin 13 Prozent der Teilnehmer aber erwiesen sich mit mindestens 15 Treffern als hervorragende Katzen-Versteher.
Vielleicht hatten die Katzen in ihrer kürzeren Haustierkarriere ja einfach noch nicht genug Zeit, sich ein für Menschen gut lesbares Gesicht zuzulegen. Hunde sind in dieser Hinsicht womöglich schon einen Schritt weiter gekommen. Juliane Kaminski von der University of Portsmouth in Großbritannien und ihre Kollegen haben nämlich festgestellt, dass der beste Freund des Menschen seit seiner Domestikation seine Gesichtsmuskulatur verändert hat. Anders als Wölfe besitzen Hunde einen speziellen Muskel, mit dessen Hilfe sie den zur Nase zeigenden Teil ihrer Augenbrauen stark nach oben ziehen können. Ergebnis ist der typische „Dackelblick“, dem viele Menschen so schlecht widerstehen können.
Für die frühen Hunde könnte es von Vorteil gewesen sein, diesen Gesichtsausdruck zu beherrschen. „Wenn sie diese Bewegung machen, scheint das bei Menschen den starken Wunsch auszulösen, sich um sie zu kümmern“, sagt Juliane Kaminski. Das könnte daran liegen, dass die vierbeinigen Verführer auf diese Weise besonders kindlich wirken.
Jedenfalls finden Insassen von Tierheimen, die diesen Blick häufiger zeigen, besonders schnell neue Besitzer. Dazu kommt, dass die Augenbrauen auch in menschlichen Gesprächen eingesetzt werden, um das Gesagte zu unterstreichen. Vielleicht steckt hinter dem Dackelblick also nicht nur eine kindliche Charme-Offensive. „Er könnte auch die Illusion einer menschenähnlichen Kommunikation schaffen“, meint die Forscherin. Genau das aber dürfte in Corona-Zeiten besonders gut ankommen.