THW geschockt von Zustand im Katastrophengebiet
Lindauer THW-Zugführer berichtet vom Einsatz in der zerstörten Stadt Sinzig
- Die vier THWEinsatzkräfte aus Lindau fahren euphorisch zu ihrem Einsatz in Ahrweiler. Sie sind froh, helfen zu können. Doch sie schaffen es nicht bis in das vorgegebene Gebiet, denn plötzlich hört die Straße im Nichts auf. Die Brücke, die sie passieren müssten, ist weg. Die vier Lindauer haben im Katastrophengebiet Bilder gesehen, die sie so nie in Deutschland erwartet hätten.
„Uns ist sehr schnell klar geworden, dass das nicht so einfach werden wird, in diese fremden, zerstörten Umgebung.“Thomas Waldek, der von diesem Einsatz erzählt, ist einer von vier THWlern aus Lindau, die in der vergangenen Woche in das Katastrophengebiet gerufen wurden.
Die Anfrage, ob das THW Lindau in der Lage sei, im Katastrophengebiet zu helfen, kam am Freitag, 23. Juli. Schon am folgenden Samstag folgt der Einsatzauftrag. Es wurde speziell die Führungseinheit des THW Lindau angefordert, um die Lage und das Schadbild zu erkunden und eine Einsatzleitung aufzubauen. Anna Fels, Thomas Waldek, Dirk Sander und Markus Gomoluch packen ihre Sachen – was bedeutet, eine lange technische Checkliste abzuarbeiten und gleichzeitig an die eigene Versorgung zu denken. „Wir hatten Feldbetten, Verpflegung und Sprit für die ganze Woche dabei – wir wussten nicht, ob wir in unserem Einsatzgebiet unterkommen und ob die Infrastruktur ausreicht“, sagt Thomas Waldek.
Ihr erstes Ziel ist die große Sammelstelle am Nürburgring – auch Bereitstellungsraum genannt – wo alle anreisenden Kräfte registriert werden. Die Einsatzleitungen in den Schadensgebieten rufen dort an, um benötigte Einsatzkräfte anzufordern. Die erste Nacht schlafen die Lindauer
im Zelt auf dem Nürburgring, schon am nächsten Tag geht es weiter nach Sinzig, eine Stadt an Rhein und Ahr gelegen. Dort werden die vier in einer Grundschule gemeinsam mit BRK und Feuerwehr einquartiert.
Die zerstörte Region sei der unsrigen recht ähnlich, sagt Waldek. Er habe bei der Anfahrt noch gedacht, „wow, hier ist es ja gerade so schön wie bei uns in Lindau“. Ländlich, alte Häuser, Weinberge – eine richtige Urlaubsregion. Ein paar Straßenzüge weiter tut sich jedoch ein Abgrund auf. Das verstöre umso mehr, sagt Waldek, wenn man sich bewusst mache, dass es hier vor Kurzem noch so schön ausgesehen haben muss.
Der Schock, als sie ihr Einsatzgebiet zum ersten Mal sehen, ist groß. „Wir wussten, wir fahren in ein Katastrophengebiet, in dem eine Überschwemmung war. Wir waren auf schlimme Bilder vorbereitet – aber das, was wir vorgefunden haben, hat unsere Vorstellungen weit getoppt. Die Zerstörung hat ein viel größeres Ausmaß, als wir das bisher von anderen Hochwasserlagen gekannt haben. Was diese Welle hier angerichtet hat, ist erschreckend“, sagt Waldek.
Ganze Häuser sind laut Waldek weggespült oder eingestürzt. Straßen und Brücken – einfach weg. Überall Schlamm – in den Häusern, den Gärten und in den Straßen. Überall Müll, Bäume und Wurzeln – es herrscht eine extreme Verwüstung.
Außerdem schwebe ein modriger Geruch über allem, beschreibt der Zugführer die Situation. In den Häusern beginnt es wegen der Überflutung zu schimmeln. Gleichzeitig wird der Schlamm auf den Straßen extrem staubig – Atemschutz ist nötig, weil mit dem Staub schädliche Erreger aufgewirbelt werden. Dazu die Menschen, die verzweifelt nach ihrem Hab und Gut suchen, mit Schaufeln im Schlamm graben. Dazwischen in Weiß, Rot und Blau die freiwilligen Helfertrupps vom Deutschen Roten Kreuz, von Feuerwehr, THW, Malteser, Arbeitersamariterbund und Johanniter. Die helfen den Menschen, Keller auszupumpen, Häuser vom Schlamm zu befreien, die Straßen zu räumen und die Rettungswege frei zu machen.
Baufachberater seien gekommen, um einzuschätzen, ob man die Häuser überhaupt betreten darf, berichtet Waldek. Die wenigen Einheimischen, die nicht betroffen sind, kochen für andere. „Es herrscht eine beeindruckende Hilfsbereitschaft. Jeder versucht jedem zu helfen. Das hat mich sehr berührt“, sagt Waldek. Die Leute seien traumatisiert und dankbar für die Unterstützung, die sie erfahren. „Wir haben aus der Bevölkerung oft gehört, wie froh sie sind, dass die Rettungskräfte bei ihnen sind, dass sie Hilfe erhalten, in ihrer Hilflosigkeit.“Die gesamte Infrastruktur sei zerstört, das werde noch viele Wochen dauern, bis die Folgen der Katastrohe gemildert werden, schätzt Waldek. In den ersten beiden Tagen ihres Einsatzes sind die Lindauer THWler unterwegs, um die Schadenslage zu erkunden, Ergebnisse zu sammeln, damit sie gezielt das notwendige Einsatzmaterial und Hilfsmannschaften anfordern und vor Ort bringen können. Die letzten beiden Tage führen sie die Mannschaften, die sie über die übergeordnete Einsatzleitung angefordert haben – am Ende leiten sie sogar ein größeres Team. Nach einer Woche ist der Einsatz vorbei.
Macht es Angst, diese Auswirkungen von katastrophalen Wetterereignissen so hautnah zu erleben? „Angst nicht“, sagt Waldek. „Aber wir merken, dass die Abstände solcher Katastropheneinsätze kürzer werden, und sie werden in Zukunft nicht harmloser. Das ist auf der ehrenamtlichen Basis kaum mehr zu stemmen“, richtet er einen dringlichen Mahnruf an die Politik.
Die Arbeitgeber, die die ehrenamtlichen Helfer für ihre Dienste freistellen, lobt er. Aber auch die Familien, die ihre Väter und Mütter ins Katastrophengebiet ziehen lassen, dabei nicht nur auf gemeinsame Zeit verzichten, sondern sich auch Sorgen machen. „Wir gehen zwar keine Risiken ein und sind geschult, Gefahren zu erkennen. Aber ein Restrisiko bleibt immer.“