Er ist Azubi und 50 Jahre alt
Firmen im Allgäu setzen auf Weiterbildung und Umschulung
- Mit 50 Jahren noch einmal neu anfangen – Ergin Erdogan hat es sich getraut. Der DeutschTürke aus Kaufbeuren macht derzeit eine Ausbildung an der IHKAkademie zum Elektroniker für Betriebstechnik. Zuvor hatte er viele Jahre als Helfer in der Automobilbranche gearbeitet. Als er vor zwei Jahren seinen Job verlor, war er an einem Tiefpunkt.
Doch dann kam eine überraschende Wende: Die Arbeitsagentur bot dem gelernten milchwirtschaftlichen Laboranten eine Umschulung zum Elektroniker an. „Für mich ist das eine Riesen-Chance. Ich will arbeiten. Zuhause rumsitzen ist nichts für mich“, sagt Erdogan. Ähnliche Beispiele gibt es immer häufiger im Allgäu.
Zur verkürzten Ausbildung zählt ein mehrmonatiges Praktikum, das der 50-Jährige bei „Hawe Hydraulik“in seiner Heimatstadt absolviert. Dort gehört er dem Team der „Instandhaltung“um Leiter Philipp Portenlänger an, das insgesamt 800 maschinelle Anlagen in Schuss hält, darunter hochmoderne Roboter. „Ich staune manchmal, was heutzutage alles technisch machbar ist. Dann stelle ich viele Fragen“, sagt Erdogan und schmunzelt. Der „Azubi-Oldie“will stets genau wissen, wie die Dinge funktionieren und lernt jeden Tag dazu. Von diesem Wissensdurst ist sein Teamkoordinator Patrick Wolf beeindruckt: „Ergin ist super motiviert.“Abteilungsleiter Philipp Portenlänger ergänzt: „Herr Erdogan ist ein echtes Vorbild, auch für jüngere Kollegen im Haus. Die finden es richtig cool, wie er sich reinhängt.“
Die Arbeitsagentur fördert in bestimmten Fällen ältere Auszubildende und Betriebe, die diese Menschen in Ausbildung nehmen. Es handelt sich dabei um Männer und Frauen, die noch keinen Ausbildungsabschluss haben oder deren Ausbildung bereits so lange zurückliegt, dass diese nicht mehr verwertbar ist.
Allein von Dezember 2020 bis Juli 2021 haben allgäuweit mehr als 40 „lebensältere Personen“, wie es im Behördendeutsch heißt, eine von der Arbeitsagentur geförderte, betriebliche Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Derzeit befinden sich laut Agentur mindestens 25 weitere Personen in einer solchen Ausbildung. Zum Beispiel in der Altenpflege oder in der Lagerlogistik. Tendenz steigend. Viele Unternehmen schaffen es im Allgäu aktuell nicht, junge Menschen als Lehrlinge zu gewinnen. Es gibt deutlich mehr Stellen als Bewerber. Über 1400 Ausbildungsstellen werden heuer offen bleiben, schätzt die Agentur für Arbeit. Die Idee, ältere Azubis zu rekrutieren, gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung.
„Wir raten Unternehmen dazu, das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu überprüfen. Wer sich als Helfer oder Helferin über Jahre bewährt hat, kommt unter Umständen auch als Azubi infrage“, sagt Maria Amtmann,
Abteilungsleiter Philipp Portenlänger
Leiterin der Agentur für Arbeit Kempten-Memmingen. Für Motivation bei den „Azubi-Oldies“sorgt, dass sie bei einem erfolgreichen Abschluss als Fachkraft ein höheres Einkommen in Aussicht haben als beispielsweise als ungelernter Produktionshelfer.
„Ein guter Mensch bleibt Lehrling lebenslang.“Dieses Zitat des römischen Dichters Martial scheint aktuell wie selten zuvor. „Die Annahme, Ältere seien weniger leistungsfähig oder häufiger krank als Jüngere, ist dagegen völlig falsch und wissenschaftlich schon längst widerlegt“, sagte Uwe-Matthias Müller, Geschäftsführer des Bundesverbands Initiative 50Plus, in einem Interview.
Ergin Erdogan hofft, dass er nach der Ausbildung zum Elektroniker bei „Hawe“einen Arbeitsplatz findet. „Aktuell würde ich sagen: Wir sind verlobt“, sagt er schmunzelnd. Seine Vorgesetzten nicken bestätigend. Ein „Happy End“ist in seinem Fall also in Sicht.
Ergin Erdogan dazu: „Auch wenn ich schon 50 bin: Bis zur Rente habe ich noch 17 Jahre vor mir. Das ist eine lange Zeit. Die möchte ich sinnvoll verbringen.“
„Herr Erdogan ist ein echtes Vorbild, auch für jüngere Kollegen im Haus. Die finden es richtig cool, wie er sich
reinhängt.“