„Ein mutiges und wegweisendes Projekt“
Kommission zur Erinnerungskultur soll die NS-Zeit in Kempten systematisch untersuchen
- Nun werden wichtige historische Ereignisse der Stadt Kempten genau untersucht und intensiv diskutiert: Am Montag tritt erstmals die „Kommission für Erinnerungskultur“zusammen, die aus 17 Stadträten, Geschichts-Experten und Wissenschaftlern besteht. Ein Hauptaugenmerk gilt dem 20. Jahrhundert, speziell der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945, sowie der Rolle damals führender Persönlichkeiten wie Oberbürgermeister Dr. Otto Merkt. „Wir werden uns unaufgeregt mit geschichtlichen Aspekten auseinandersetzen und am Ende daraus Lehren ziehen“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kiechle, der die Sitzung leiten wird.
Kiechle wie auch andere Mitglieder betonen, dass man sachlich und ruhig arbeiten möchte – im Gegensatz zur emotional aufgeladenen Debatte, die zur Einrichtung der Kommission führte. Ausgangspunkt war die 2018 aufgeworfene Frage, ob der Kemptener Lehrer und Forscher Dr. Richard Knussert, nach dem eine Straße in der Stadt benannt worden war, auch ein Hitler-Verehrer und Holocaust-Leugner war. Äußerst kontroverse Diskussionen entspannen sich zudem um einen Vortrag der Münchner Historikerin Dr. Martina Steber im Juni 2020. Darin hatte sie die Rolle Otto Merkts (1877 bis 1951), der in der NS-Zeit Kemptener Oberbürgermeister war, kritisch unter die Lupe genommen. OB Kiechle kündigte daraufhin an, eine Forschungsgruppe ins Leben zu rufen, um offene Fragen wissenschaftlich zu klären.
Kulturamtsleiter Martin Fink, der sich um die Besetzung der Kommission mit externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kümmerte, konnte Steber zum Mitmachen bewegen. „In diesen Prozess bringe ich mich gern ein“, sagte sie auf Anfrage unserer Zeitung. „Es ist ein mutiges und wegweisendes Projekt
der Stadt, sich mit einer zeitgemäßen demokratischen Erinnerungskultur auseinanderzusetzen.“Steber, die am Institut für Zeitgeschichte Berlin-München arbeitet, erhofft sich eine Debatte, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis, Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit gründet und zur Entpolitisierung des Themas NS-Zeit beiträgt.
Ähnlich äußern sich der Oberbürgermeister und andere Kommissions-Mitglieder. Markus Naumann etwa, der Vorsitzende des Heimatvereins Kempten, erwartet eine „systematische und wissenschaftliche Aufarbeitung“der NS-Zeit in der Stadt. Das sei bisher nur punktuell geschehen. Auch solle das Gremium Verstrickungen von Regionalhistorikern wie Josef Rottenkolber (1890 bis 1970) und Dr. Alfred Weinauer (1905 bis 1974) untersuchen. „Es gibt noch viele blinde Flecken“, sagt Naumann. Er freue sich, dass kompetente Fachhistoriker aus dem universitären Bereich mitmachen.
Und wundert sich zugleich über die große Zahl an Lokalpolitikern in der Kommission.
Was sie genau besprechen wird und wie sie dabei vorgeht, sollen die Mitglieder am Montag festlegen. Sicher scheint, dass sie Aufträge vergeben werden, um Themen und Persönlichkeiten genauer zu analysieren.
Wie lange der Prozess dauern wird, mag derzeit niemand zu prophezeien. Drei Jahre werden es wohl mindestens sein. Anfangs werde die Kommission nichtöffentlich tagen, erklärt OB Thomas Kiechle. Später sollen die Bürgerinnen und Bürger sowie Schulen oder Vereine mit einbezogen werden.
Alle sollen den selben Kenntnisstand haben wie die Gremiumsmitglieder, sagt Kiechle. Am Ende müsse die Stadtgesellschaft Erkenntnisse gewinnen zur Frage: Was ist unser historisches Erbe, und wie gehen wir damit um? Kiechles Fazit: „Das ist eine Riesenchance für uns.“