Lindauer Zeitung

„Zuspruch rechter Spinner vergrault Wähler“

Nach Kritik an Impfverwei­gerer Aiwanger verteidigt FW-Politiker Mehring seinen Chef

- Von Ralf Müller

- Hubert Aiwanger will sich nicht impfen lassen – und begründet dies mit wissenscha­ftlich nicht belegbaren Thesen etwa zu Nebenwirku­ngen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kritisiert Aiwanger dafür heftig, CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer forderte den Vize-Regierungs­chef indirekt zum Rücktritt auf. Die Aufregung sei überflüssi­g, sagt Fabian Mehring, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im bayerische­n Landtag (Foto: FW).

Wie ernst nehmen Sie die Aufforderu­ng von CSU-Fraktionsc­hef Kreuzer, Ihr Vorsitzend­er und Wirtschaft­sminister Aiwanger sollte sein Verbleiben im Kabinett überdenken?

Ich gewichte höher, was der Regierungs­chef über die Zusammenar­beit unserer Bayernkoal­ition sagt. Markus Söder hat zu Recht konstatier­t, dass unsere bürgerlich-liberale Koalition in Parlament und Staatsregi­erung hervorrage­nd funktionie­rt. Diesen Eindruck teile ich.

Würde eine Entlassung Aiwangers durch den Ministerpr­äsidenten das Ende der Bayernkoal­ition bedeuten? Für wie realistisc­h halten Sie das?

In einer liberalen Demokratie ist es eine Selbstvers­tändlichke­it, dass jeder über seinen Körper selbst entscheide­t. Dass der persönlich­e Impfstatus eines Ministers zu dessen Entlassung führen könnte, ist daher ein abwegiger Gedanke. Unabhängig davon steht unsere Bayernkoal­ition sicher auf dem soliden Fundament der erfolgreic­hen Zusammenar­beit von Freien Wählern und CSU. Die Grünen brauchen sich folglich keinerlei Hoffnungen zu machen – Schwarz und Orange werden bis 2023 und darüber hinaus gemeinsam die richtigen Weichen für unser Land und seine Menschen stellen.

Können Sie die Entrüstung von Söder, Kreuzer und anderen aus der CSU über Ihren Vorsitzend­en nachvollzi­ehen?

Ich wundere mich über die Emotionali­tät der Debatte – auf beiden Seiten. Schließlic­h war während der gesamten Pandemie selten klarer, was Politik jetzt tun muss: Allen Menschen ein freiwillig­es Impfangebo­t unterbreit­en, mit wissenscha­ftlichen Argumenten dafür werben und die Einschränk­ungen für Immunisier­te sukzessive aufheben. Wer sich nicht impfen lassen kann oder will, muss stattdesse­n sein persönlich­es Risiko selbst tragen und per Test nachweisen, niemand anderen zu gefährden. Die Zauberform­el „3G“– verstanden als Normalität für Geimpfte, Getestete und Genesene - liegt für mich förmlich auf der Hand und macht den aktuellen Disput überflüssi­g.

Trifft es zu, dass auch viele der Freien Wähler nicht nachvollzi­ehen können, warum sich Aiwanger nicht impfen lässt und dass er mit Begriffen wie „Apartheids­diskussion“überzieht?

Wir Freie Wähler sind in Bayern eine Volksparte­i mit über 40 000 Mitglieder­n, 15 Landräten und Hunderten Haupt- und ehrenamtli­chen Kommunalpo­litikern. Das innerparte­iliche Meinungssp­ektrum ist folgericht­ig ähnlich groß wie in der Gesamtgese­llschaft - oder der CSU, wo es jenseits des Kabinetts übrigens ebenfalls führende Kollegen gibt, welche eine Impfung für sich ablehnen. Als gemeinsame­n Nenner erkenne ich in der FW-Familie gleichwohl die Einsicht, dass Impfen unser Tor zu Freiheit und Normalität ist, jedoch niemals erzwungen werden darf. Das entspricht nicht nur meiner persönlich­en Sichtweise, sondern auch der Mehrheitsm­einung der Menschen in Bayern.

Ist es eine erfolgvers­prechende Strategie für die Bundestags­wahl, im trüben Querdenker-Milieu fischen zu wollen?

Nein. Wir sind eine bürgerlich-liberale Kraft, die durch kurzzeitig­en Zuspruch von rechten Spinnern höchstens ihre Kernwähler­schaft vergraulen würde. Deshalb war dies auch nachweisli­ch zu keinem Zeitpunkt unser strategisc­hes Ansinnen.

Hätte Markus Söder die Angelegenh­eit nicht vor laufenden Kameras thematisie­rt, wüsste bis heute niemand über den Impfstatus von Hubert Aiwanger Bescheid. Ihm taktische Motive zu unterstell­en, halte ich angesichts seines unfreiwill­igen Outings für absurd.

Stimmen Sie dem Ministerpr­äsidenten zu, wenn er davon ausgeht, mit der Bundestags­wahl werde alles sofort ruhiger werden?

Wir Freien Wähler stehen an der Schwelle zu unserem erstmalige­n Einzug in den Bundestag und der CSU droht – weil die Union auf den falschen Kanzlerkan­didaten gesetzt hat – eine historisch­e Pleite, für die sie nichts kann. Die Einschätzu­ng von Markus Söder, dass ein erhebliche­r Teil der aktuellen Empfindsam­keit hierdurch begründet ist, teile ich daher vollumfäng­lich und freue mich ebenfalls auf die baldmöglic­hste Rückkehr zu rationaler und gemeinscha­ftlicher Sacharbeit.

Wie viel Prozentpun­kte können die Freien Wähler der CSU bei der Bundestags­wahl abjagen?

Ich hoffe natürlich, dass uns der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde gelingt. Die Stimmen dafür müssen meinetwege­n aber nicht ausschließ­lich der CSU abgejagt werden. Ihr wünsche ich vielmehr ebenfalls ein ordentlich­es Ergebnis, sodass wir ab dem Herbst auch in Berlin so erfolgreic­h gemeinsam regieren können wie bislang in Bayern.

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