Zurück bleibt nur die Sehnsucht
Von Rüdiger Suchsland
Diese Liebesgeschichte ist zum Verzweifeln, gleichzeitig aber immer pragmatisch, nie melodramatisch, eher echt und zeitgemäß: „Fabian oder der Gang vor die Hunde“, der neue Kinofilm des Münchner Regisseurs Dominik Graf, ist ein überraschend zärtlicher und intimer Film und alles andere als eine typische Literaturverfilmung.
„Fabian“basiert auf dem berühmten und zugleich für seine Zeit ziemlich ungewöhnlichen Roman von Erich Kästner. Er erzählt von einem jungen Mann, dem Verfasser wohl nicht unähnlich, der optimistisch und positiv denkt, zugleich aber verzweifelt in diesem Optimismus. Dieser Fabian (Tom Schilling) versucht im Berlin der späten Weimarer Republik, mitten in der Weltwirtschaftskrise, zu überleben. Die Verhältnisse sind schwierig, und sie werden noch schwieriger, als Fabian, der zunächst als Werbetexter arbeitet, arbeitslos wird.
Doch gleichzeitig verliebt sich Fabian – und diesmal meint er es ernst. In Cornelia (Saskia Rosendahl), eine Juristin, was der nützlichere Beruf ist in einer Zeit, in der selbst die Liebe noch zum Vertragsverhältnis wird. So wie in der Szene, in der eine fremdgehende Ehefrau dem Liebhaber vor dem Geschlechtsverkehr einen die Folgen regelnden Vertrag zur Unterschrift präsentiert.
Cornelia arbeitet in der Rechteabteilung eines großen Filmstudios in Babelsberg, aber auch sie träumt von Höherem: Sie möchte Filmschauspielerin werden. Und ihr Chef macht ihr Hoffnungen, wenn auch, wie sie sofort durchschaut, vielleicht nur aus Eigennutz und Interesse an ihren äußeren Reizen. Und dann ist da noch Labude (Albrecht Schuch), Dr. Stephan Labude, Fabians bester Freund, der einen reichen Rechtsanwalt zum schlechten Vater hat, wieder ein Jurist. Labude hat gerade seine germanistische Habilitation über Lessing beendet, ebenso eine Verlobung in Hamburg. Jetzt ist er, hin -und hergerissen zwischen Weltschmerz und Utopie, doppelt Aktivist: tagsüber kommunistisch, und nachts hedonistisch.
Labudes Idealismus, Cornelias Pragmatik und Fabians Ironie bilden den inneren Dreiklang dieser Geschichte. Sie bestimmen zugleich die freundschaftliche Spannung, die zwischen den Figuren herrscht, die sie zusammenhält und doch immer wieder voneinander entfernt.
Kästners Roman „Fabian“war in seiner Zeit äußerst ungewöhnlich, in seiner Bedeutung wurde er unterschätzt. Für Grafs Film liefert er dennoch nur das Material zu etwas ganz
Eigenem. Das Glück des Tages und grundsätzliche Verzweiflung vermischen sich so zu einem schlechthin bezaubernden, bittersüßen Porträt einer vergangenen Epoche, die der unsrigen im Guten wie im Schlechten ziemlich ähnlich sieht.
Die vielleicht größte Kunst des Filmemachers Dominik Graf ist es, die Vergangenheit greifbar und somit gegenwärtig zu machen. Nie sieht irgendetwas aus wie Kulisse. Immer ist es haptisch, materiell. Die Ausstattung ist überzeugend, aber es wird nie mit ihr geprotzt.
Die Kameraarbeit von Hanno Lentz tut ein Übriges mit ihren Tempiwechseln, die pulsierend auf das, was sie beobachten, eingehen. Die Kamera tanzt mit den Figuren und den Objekten, ständig in leichter, nie aufdringlicher Bewegung. Dazu gehören Passagen auf Super-8, die den Bildern für ein paar Augenblicke etwas Raues, Grobes, eine vom Asphalt der Straßen durchzogene beiläufige Atmosphäre geben – analog zu den sogenannten Asphaltfilmen
dieser Zeit. Die überzeugende Montage von Claudia Wolscht verknüpft Lentz’ Bilder organisch mit kurzen dokumentarischen Einschüben, für die sie sich aus dem bekannten Archivmaterial bedienen konnte.
Irgendwann geht für Fabian bergab, oder, wie es im Romantitel heißt „vor die Hunde“. Am Ende sehen wir ein Feuer. Ein kleiner Junge wärmt seine nassen Klamotten mit dem Heft, in dem Fabian, der gerade ertrunken ist, seine Notizen gemacht hat. Wir haben dieses Heft über den Film hinweg oft gesehen. Jetzt sehen wir das Feuer, in dem alles, was notiert wurde, alle Gedanken, alle Gefühle, alle Empfindungen verschwinden.
Was bleibt ist die Sehnsucht. Die Sehnsucht von Cornelia, die zur gleichen Zeit im Café sitzt, wo sie Fabian erwartet. Sie werde jetzt jeden Tag kommen, um 3 Uhr, sagt sie zum Kellner voller Gewissheit, dass eines Tages der Geliebte zu dieser Zeit den Raum betritt. Sie weiß noch nicht, wie alle Menschen damals noch nicht wussten, sondern bestenfalls ahnen und fürchten konnten, dass wenige Monate später nicht nur die Notizen eines nicht besonders erfolgreichen Werbetexters verbrannt wurden, sondern dass das Feuer größer wurde, es Bücher erfasste, Häuser, Menschen, ein ganzes Land und ganz Europa.
Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Regie: Dominik Graf. Mit Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Meret Becker, Albrecht Schuch. Deutschland/Österreich 2020. 176 Minuten. FSK ab 12 Jahren.