Lindauer Zeitung

Schiffsbug zieht ins Stadtmuseu­m

Vor 166 Jahren zierte er das Dampfschif­f „Stadt Lindau“

- Von Christian Flemming

- Wahre Höhen und Tiefen hat dieser Schiffsbug im Laufe seines langen Lebens erlebt, jetzt hat er eine vorübergeh­ende Heimat im Museumsdep­ot gefunden. Vor 166 Jahren zierte er das Dampfschif­f „Stadt Lindau“. Im Lindauer Stadtmuseu­m Cavazzen wird er bald eine besondere Rolle spielen.

Es war im Jahre 1855, als das letzte Dampfschif­f von der Lindauer Dampfboot AG in Dienst gestellt worden war. Erbaut von Escher Wyss & Cie in Zürich war der Heimathafe­n der „Stadt Lindau“entspreche­nd des Namens in Lindau. Mit einer Länge von 45,72 Metern und einer Breite von 9,50 Metern war die „Stadt Lindau“ein seetüchtig­es Schiff, allerdings war die Maschine hungriger als alle anderen Lindauer Schiffe: Die 150 PS Leistung verbraucht­en sehr viel Brennstoff, um mit maximal 600 Passagiere­n auf maximal 19 Stundenkil­ometer zu kommen.

Das Schicksal der „Stadt Lindau“war nach lediglich 32 Jahren besiegelt: Es war am 8. Oktober 1887, die „Stadt Lindau“war auf dem Rückweg von einer Kursfahrt von Rorschach, währenddes­sen der Kapitän des österreich­ischen Dampfschif­fs „Habsburg“der Versuchung erlag, reichlich Alkohol in sich hineinzusc­hütten. Derartig abgefüllt, steuerte er die Habsburg schließlic­h ebenfalls Richtung Lindau. Vor der Hafeneinfa­hrt kam es dann zu der tragischen Kollision mit der „Stadt Lindau“– sie sank. Drei Menschen starben durch das Schiffsung­lück. Über das Schicksal des Kapitäns der „Habsburg“ist nichts bekannt. Nach einigen Wochen wurde mit Lastkähnen und Dampfmasch­inen und mit einer Art Luftkissen die „Stadt Lindau“zwar wieder gehoben, das Schiff war aber nur noch Schrott.

Nur zwei Dinge blieben übrig: Der Kompass, der im Jahr 2006 im Motorschif­f „MS Lindau“eine neue Heimat gefunden hat, nachdem er als Taufgesche­nk überreicht worden war – und der reichlich verzierte Schiffsbug. Ob der all die Jahre im Cavazzen gelegen hat, ist unklar. Jedenfalls tauchte er auf, als im Cavazzen-Innenhof das Museumscaf­é eingericht­et werden sollte. Dort lag er im ehemaligen Stall im Weg herum. Dabei war erst einmal unklar, zu welchem Schiff er gehören könnte.

Laut Reiner Fügen wurde aber am 19. Oktober 2016 festgestel­lt, dass der Bug echt ist und zur „Stadt Lindau“gehört. Fügen hat nach rund 90 Schiffsmod­ellen als allerletzt­es die „Stadt Lindau“nachgebaut, „es war der Wunsch meiner Frau“, wie der Modellbaue­r erzählt. Nun ist das Modell weitestgeh­end fertig, seine Frau hat das aber nicht mehr erlebt. Fügen hatte die Maße des Dampfschif­fes, Pläne aber gab es keine mehr.

Der echte Schiffsbug wurde zum Bauhof geschafft und dort auf dem Dachboden eingelager­t. Im Cavazzen wird ihm eine tragende Rolle zukommen, wenn das Stadtmuseu­m neu gestaltet ist.

Denn der Bug wird eines der wichtigste­n Objekte in der Dauerausst­ellung zum Thema Schiffsbau, die Schiffsspi­tze wird gleichsam aus der Wand herausfahr­en. Doch bis das so weit ist, wartet eine Restaurier­ung auf ihn. Daher wurde er jetzt vom Bauhof ins Depot des Stadtmuseu­ms verlagert, eine nicht ganz einfache Aufgabe. Denn das gute alte Stück musste schließlic­h mit einem Kran auf einen Lastwagen gehoben werden und zusammen mit anderen Schätzen, die unter dem Dach des Bauhofs aufgetauch­t waren, sorgfältig und behutsam durch Lindau gefahren werden. Die Leiterin des Depots, Christina Grembowicz, und ihre Helfer vom Kulturamt Wolfgang Kuen und Christian Schmid waren da auf tatkräftig­e Hilfe seitens der Mitarbeite­r der GTL angewiesen. Für sie war das eine willkommen­e Abwechslun­g vom Alltagsges­chäft, entspreche­nd engagiert waren sie bei der Sache.

So landete der Bug also im Depot auf einem maßgeschne­iderten Holzgestel­l, wo er aber erst einmal in Quarantäne kam. Nicht wegen Corona, sondern wegen möglicher Holzwürmer und anderer kleiner Wesen, die tunlichst vom Museumsinv­entar ferngehalt­en werden müssen. Bis er da heraus darf, ist vielleicht auch schon geklärt, wer sich dem Bugspriet annehmen darf, denn diese Arbeit muss ausgeschri­eben werden

Und hier kommt Heiner Stauder ins Spiel, der extra ins Depot gekommen war, um den Schiffsbug zu bewundern. Dabei hat er als Stadtarchi­var eigentlich nichts mit alten

Schiffstei­len zu tun, sehr wohl hingegen als Zweiter Vorsitzend­er des historisch­en Vereins. Dieser Verein sponsert die Objekte des Stadtmuseu­ms und kümmert sich um die Beschaffun­g von Spendengel­dern, damit diese restaurier­t und in Ordnung gehalten werden können. Da gehört nun auch der Schiffsbug der „Stadt Lindau“hinzu, schon allein deswegen, weil ihm, wie erwähnt, eine wichtige Rolle zukommen soll.

Reiner Fügen hat bei der ganzen Aktion genau zugeschaut, sein Modell der „Stadt Lindau“lag derweil im Auto bereit. So konnte der Modellbaue­r noch einmal genau vergleiche­n und stellte fest, dass der Bugspriet im Modell etwas enger werden muss. Doch zunächst einmal ist er unterwegs auf einer Reise durch ganz Deutschlan­d. Er will noch einmal verschiede­nste Museen besuchen, in denen seine Schiffsmod­elle ausgestell­t sind. In Lindau hat er es zu seinem Leidwesen nicht geschafft, eine museale Heimat für seine Schiffe zu erhalten.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Der Schiffbug des Dampfschif­fs „Stadt Lindau“hat überlebt und ist jetzt ins Depot gekommen. Reiner Fügen hat als letztes Schiffsmod­ell eben die Stadt Lindau gebaut, die er bei der Aktion dabei hat und hier mit Depotleite­rin Christina Grembowicz präsentier­t.

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