Acht Freie Wähler sollen gelb werden
Krach in der Bayernkoalition beflügelt besonders bei den Liberalen die Fantasie
- Mit großem Interesse registriert die FDP im bayerischen Landtag die wachsenden Spannungen zwischen den Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern (FW). Aus der Sicht von Fraktionschef Martin Hagen öffnet sich dadurch für seine Partei eine Tür zur Regierungsverantwortung im Freistaat. Doch der Weg dahin führt nur über eine breit angelegte Meuterei bei den FW.
„Aiwanger nervt uns gewaltig“, bestätigt der niederbayerische CSUAbgeordnete und Vorsitzende des Haushaltsausschusses Josef Zellmeier. Das war auch schon so, bevor sich die Freien Wähler unter Vorsitz von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger anschickten, durch eine eigene Kandidatur dem Koalitionspartner bei der Bundestagswahl Prozentpunkte abzujagen. So jedenfalls sieht man es in der CSU. Und auch bevor FW-Chef Aiwanger durch seinen Kurs der Impfskeptik bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte, knirschte es zuweilen vernehmlich im schwarzorangen Koalitionsgetriebe. Im Ergebnis denkt jetzt auch der eine oder andere CSU-Parlamentarier in der Sommerpause darüber nach, ob man mit einem anderen Koalitionspartner besser fahren könnte.
Den Ball will FDP-Fraktionschef Hagen jetzt aufnehmen. Für eine Wiederauflage einer schwarz-gelben Koalition in Bayern, wie es sie unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) von 2008 bis 2013 gab, stellt sich allerdings ein Problem: Zusammen mit den elf FDP-Abgeordneten würde es die 84 Mandatsträger starke CSU nicht auf die absolute Parlamentsmehrheit von 103 Sitzen bringen. Das Problem wäre unter Umständen lösbar, lockt Hagen in einem Analysepapier: Wenn die FDP acht Abgeordnete der Freien Wähler zu sich herüberziehen könnte, wäre der Weg für Schwarz-Gelb frei.
Woher aber nimmt der rührige FDP-Fraktionschef seinen Optimismus, der orangen Fraktion fast ein Drittel ihrer Mitglieder abspenstig machen zu können? Es ist ein offenes Geheimnis, dass längst nicht jeder FW-Parlamentarier vom Kurs von Parteichef Hubert Aiwanger in Sachen Impfen gegen Corona begeistert ist. Auch der Führungsstil des Landes- und Bundesvorsitzenden ist nicht jedes Freien Wählers Sache. Die „Kapriolen Aiwangers“, analysiert FDP-Fraktionschef Hagen, „führen innerhalb der ohnehin sehr heterogenen Freien Wähler zu großem Unmut“. Es gebe Hinweise, dass sich mehrere – auch hochrangige – Abgeordnete vom liberalen Flügel der Freien Wähler einen Wechsel zur
FDP vorstellen könnten. Um den Parlamentarischen Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring, kann es sich dabei wohl nicht handeln. Es sei „schön zu lesen“, dass die FDP-Tür für die Freien Wähler offen stehe, twitterte Mehring aus dem Urlaub in Montenegro: „Ist aber halt die Kellertür.“Die könne Hagen gerne benutzen „und an die orangene Sonne kommen“.
Einen Präzendenzfall gab es jedoch schon: Bereits vor der letzten bayerischen Landtagswahl im Jahr 2018 hatte der niederbayerische FWAbgeordnete Alexander Muthmann seine Fraktion verlassen und das FDP-Parteibuch erworben. Heute sitzt Muthmann für die FDP im Landtag. „Es gibt durchaus Differenzen, was die politische Ausrichtung der Freien Wähler angeht, insbesondere zwischen Hubert Aiwanger und mir“, hatte Muthmann damals seinen Schritt begründet. Dass es heute dem einen oder anderen FW-Parlamentarier wieder so geht, beobachtet auch der stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende Winfried Bausback: „Verantwortungsvolle Kollegen und Mitglieder der Freien Wähler wie zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Florian Streibl sind sicher nicht glücklich mit dem derzeitigen Agieren ihres Vorsitzenden in der Pandemie.“
Dass inzwischen weitere acht ExParteifreunde Muthmanns diesen Schritt gehen und so eine schwarzgelbe Koalition möglich machen könnten, hält aber auch Hagen für eine durchaus gewagte Annahme. „Nicht ausgeschlossen und durchaus spannend“, bewertet der FDP-Vorsitzende dieses Szenario. Dass Schwarz-Orange nicht in Stein gemeißelt ist, hatte kürzlich kein Geringerer als CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer selbst angedeutet, indem er Aiwanger die Frage stellte, ob er als Wirtschaftsminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten im Söder-Kabinett noch am richtigen Ort ist. „Unsere Koalition wurde nicht mit Hubert Aiwanger als Person, sondern mit der Partei Freie Wähler geschlossen“, gibt Fraktionsvize Bausback zu bedenken.
Falls es in Bayern zu SchwarzGrün kommen sollte, wäre das für die FDP auch nicht schlecht, meint Hagen. Die Liberalen könnten sich gegen die „Verbots- und Bevormundungspolitik“der Grünen profilieren und so enttäuschte ehemalige CSU-Wähler an sich binden. Auf jeden Fall werde man die „ohnehin guten informellen Kontakte“zum liberalen Flügel der FW-Fraktion intensivieren und analysieren, welche FW-Abgeordneten inhaltlich zu uns passen würden, so Hagen: „Falls der Unmut über Aiwanger in den eigenen Reihen zu groß wird, könnte es sehr schnell gehen.“
Falls die CSU die Freien Wähler los haben möchte, gäbe es zwei weitere Alternativen, die sich überdies ohne einen Farbenwechsel von Abgeordneten umsetzen ließen: Mit den Grünen würde die CSU über eine satte Mehrheit von 122 (von 205) Sitzen verfügen. Mit der SPD, die bei der letzten Landtagswahl auf 22 Mandatsträger geschrumpft ist, wäre nur die denkbar knappste Mehrheit von einem Mandat erreichbar. Seit dem Machtwechsel in der Bayern-SPD und -Fraktion kann man sich in der CSU Schwarz-Rot aber nicht mehr so recht vorstellen.
Ähnliches gilt für die Grünen. Insbesondere deren Fraktionschefin Katharina Schulze ist den CSUParlamentariern schwer vermittelbar. Die größte Oppositionspartei noch stärker zu machen, verbietet sich zudem aus strategischen Gründen. „Die Alternative Grün zu den FW gefällt vielen in der Fraktion noch weniger“, bestätigte Zellmeier.
So ist die Auswahl, die sich der CSU im Falle eines Bruchs der Bayernkoalition bietet, letztlich doch nicht so groß. Auch diese Situation hat der Liberale Hagen einkalkuliert: „Sollte es Ministerpräsident Söder nicht gelingen, ein neues Bündnis zu schmieden, stünden Neuwahlen an.“Die FDP rechnet damit, daraus gestärkt hervorzugehen. Die nach Umfragen schwächelnde CSU dürfte jedoch kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben. Die Wahrscheinlichkeit für diese Variante daher laut Hagen: „Mittel.“