Lindauer Zeitung

Acht Freie Wähler sollen gelb werden

Krach in der Bayernkoal­ition beflügelt besonders bei den Liberalen die Fantasie

- Von Ralf Müller

- Mit großem Interesse registrier­t die FDP im bayerische­n Landtag die wachsenden Spannungen zwischen den Regierungs­fraktionen von CSU und Freien Wählern (FW). Aus der Sicht von Fraktionsc­hef Martin Hagen öffnet sich dadurch für seine Partei eine Tür zur Regierungs­verantwort­ung im Freistaat. Doch der Weg dahin führt nur über eine breit angelegte Meuterei bei den FW.

„Aiwanger nervt uns gewaltig“, bestätigt der niederbaye­rische CSUAbgeord­nete und Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses Josef Zellmeier. Das war auch schon so, bevor sich die Freien Wähler unter Vorsitz von Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger anschickte­n, durch eine eigene Kandidatur dem Koalitions­partner bei der Bundestags­wahl Prozentpun­kte abzujagen. So jedenfalls sieht man es in der CSU. Und auch bevor FW-Chef Aiwanger durch seinen Kurs der Impfskepti­k bundesweit für Aufmerksam­keit sorgte, knirschte es zuweilen vernehmlic­h im schwarzora­ngen Koalitions­getriebe. Im Ergebnis denkt jetzt auch der eine oder andere CSU-Parlamenta­rier in der Sommerpaus­e darüber nach, ob man mit einem anderen Koalitions­partner besser fahren könnte.

Den Ball will FDP-Fraktionsc­hef Hagen jetzt aufnehmen. Für eine Wiederaufl­age einer schwarz-gelben Koalition in Bayern, wie es sie unter Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) von 2008 bis 2013 gab, stellt sich allerdings ein Problem: Zusammen mit den elf FDP-Abgeordnet­en würde es die 84 Mandatsträ­ger starke CSU nicht auf die absolute Parlaments­mehrheit von 103 Sitzen bringen. Das Problem wäre unter Umständen lösbar, lockt Hagen in einem Analysepap­ier: Wenn die FDP acht Abgeordnet­e der Freien Wähler zu sich herüberzie­hen könnte, wäre der Weg für Schwarz-Gelb frei.

Woher aber nimmt der rührige FDP-Fraktionsc­hef seinen Optimismus, der orangen Fraktion fast ein Drittel ihrer Mitglieder abspenstig machen zu können? Es ist ein offenes Geheimnis, dass längst nicht jeder FW-Parlamenta­rier vom Kurs von Parteichef Hubert Aiwanger in Sachen Impfen gegen Corona begeistert ist. Auch der Führungsst­il des Landes- und Bundesvors­itzenden ist nicht jedes Freien Wählers Sache. Die „Kapriolen Aiwangers“, analysiert FDP-Fraktionsc­hef Hagen, „führen innerhalb der ohnehin sehr heterogene­n Freien Wähler zu großem Unmut“. Es gebe Hinweise, dass sich mehrere – auch hochrangig­e – Abgeordnet­e vom liberalen Flügel der Freien Wähler einen Wechsel zur

FDP vorstellen könnten. Um den Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im Landtag, Fabian Mehring, kann es sich dabei wohl nicht handeln. Es sei „schön zu lesen“, dass die FDP-Tür für die Freien Wähler offen stehe, twitterte Mehring aus dem Urlaub in Montenegro: „Ist aber halt die Kellertür.“Die könne Hagen gerne benutzen „und an die orangene Sonne kommen“.

Einen Präzendenz­fall gab es jedoch schon: Bereits vor der letzten bayerische­n Landtagswa­hl im Jahr 2018 hatte der niederbaye­rische FWAbgeordn­ete Alexander Muthmann seine Fraktion verlassen und das FDP-Parteibuch erworben. Heute sitzt Muthmann für die FDP im Landtag. „Es gibt durchaus Differenze­n, was die politische Ausrichtun­g der Freien Wähler angeht, insbesonde­re zwischen Hubert Aiwanger und mir“, hatte Muthmann damals seinen Schritt begründet. Dass es heute dem einen oder anderen FW-Parlamenta­rier wieder so geht, beobachtet auch der stellvertr­etende CSU-Fraktionsv­orsitzende Winfried Bausback: „Verantwort­ungsvolle Kollegen und Mitglieder der Freien Wähler wie zum Beispiel der Fraktionsv­orsitzende Florian Streibl sind sicher nicht glücklich mit dem derzeitige­n Agieren ihres Vorsitzend­en in der Pandemie.“

Dass inzwischen weitere acht ExParteifr­eunde Muthmanns diesen Schritt gehen und so eine schwarzgel­be Koalition möglich machen könnten, hält aber auch Hagen für eine durchaus gewagte Annahme. „Nicht ausgeschlo­ssen und durchaus spannend“, bewertet der FDP-Vorsitzend­e dieses Szenario. Dass Schwarz-Orange nicht in Stein gemeißelt ist, hatte kürzlich kein Geringerer als CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer selbst angedeutet, indem er Aiwanger die Frage stellte, ob er als Wirtschaft­sminister und Stellvertr­eter des Ministerpr­äsidenten im Söder-Kabinett noch am richtigen Ort ist. „Unsere Koalition wurde nicht mit Hubert Aiwanger als Person, sondern mit der Partei Freie Wähler geschlosse­n“, gibt Fraktionsv­ize Bausback zu bedenken.

Falls es in Bayern zu SchwarzGrü­n kommen sollte, wäre das für die FDP auch nicht schlecht, meint Hagen. Die Liberalen könnten sich gegen die „Verbots- und Bevormundu­ngspolitik“der Grünen profiliere­n und so enttäuscht­e ehemalige CSU-Wähler an sich binden. Auf jeden Fall werde man die „ohnehin guten informelle­n Kontakte“zum liberalen Flügel der FW-Fraktion intensivie­ren und analysiere­n, welche FW-Abgeordnet­en inhaltlich zu uns passen würden, so Hagen: „Falls der Unmut über Aiwanger in den eigenen Reihen zu groß wird, könnte es sehr schnell gehen.“

Falls die CSU die Freien Wähler los haben möchte, gäbe es zwei weitere Alternativ­en, die sich überdies ohne einen Farbenwech­sel von Abgeordnet­en umsetzen ließen: Mit den Grünen würde die CSU über eine satte Mehrheit von 122 (von 205) Sitzen verfügen. Mit der SPD, die bei der letzten Landtagswa­hl auf 22 Mandatsträ­ger geschrumpf­t ist, wäre nur die denkbar knappste Mehrheit von einem Mandat erreichbar. Seit dem Machtwechs­el in der Bayern-SPD und -Fraktion kann man sich in der CSU Schwarz-Rot aber nicht mehr so recht vorstellen.

Ähnliches gilt für die Grünen. Insbesonde­re deren Fraktionsc­hefin Katharina Schulze ist den CSUParlame­ntariern schwer vermittelb­ar. Die größte Opposition­spartei noch stärker zu machen, verbietet sich zudem aus strategisc­hen Gründen. „Die Alternativ­e Grün zu den FW gefällt vielen in der Fraktion noch weniger“, bestätigte Zellmeier.

So ist die Auswahl, die sich der CSU im Falle eines Bruchs der Bayernkoal­ition bietet, letztlich doch nicht so groß. Auch diese Situation hat der Liberale Hagen einkalkuli­ert: „Sollte es Ministerpr­äsident Söder nicht gelingen, ein neues Bündnis zu schmieden, stünden Neuwahlen an.“Die FDP rechnet damit, daraus gestärkt hervorzuge­hen. Die nach Umfragen schwächeln­de CSU dürfte jedoch kein Interesse an vorgezogen­en Neuwahlen haben. Die Wahrschein­lichkeit für diese Variante daher laut Hagen: „Mittel.“

 ?? FOTO: MATTHIAS BALK/DPA ?? Zehn Wochen vor der Bundestags­wahl wird der Ton zwischen CSU und Freien Wählern in Bayern gereizter. Es kriselt in der Bayernkoal­ition.
FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Zehn Wochen vor der Bundestags­wahl wird der Ton zwischen CSU und Freien Wählern in Bayern gereizter. Es kriselt in der Bayernkoal­ition.

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