Wie das Abwasser vor Corona warnt
Forscher haben Kläranlagen untersucht
- Kläranlagen als Frühwarnsystem für Corona-Infektionen? Im ersten Moment scheint der Zusammenhang vielleicht nicht ganz klar – ist aber doch logisch: Wer an Corona erkrankt ist, trägt die Viren im Körper und scheidet sie mit den Körperflüssigkeiten auch wieder aus. Und wo landen diese in aller Regel? In der Kläranlage. Der Abwasserverband Kempten hat in Anlehnung an Forschungsergebnisse der Technischen Universität München seit April immer wieder Stichproben aus den drei zur Kläranlage hinführenden Sammelkanalisationen aus Richtung Kempten, Altusried und Lauben entnommen – und will dies künftig noch intensivieren.
Zunächst habe ihn die Frage umgetrieben, ob seine Mitarbeiter gefährdet sind, sich in der Kläranlage anzustecken, sagt Geschäftsleiter Franz Beer. Dann hörte er von der Arbeit der Wissenschaftler, die einen Zusammenhang zwischen der Viruslast im Abwasser und den Inzidenzen suchten. Einer der beteiligten Ärzte erklärte in einem Fernsehbeitrag vergangenen Oktober, dass Patienten das Virus ausscheiden, bevor sie Symptome bekommen. „Den Ansatz fanden wir sehr interessant.“
Also entnahm das Labor des Abwasserverbands Ende April Proben aus dem Hauptsammler, die Aufschluss über die Lage in Kempten und den südlich angeschlossenen Gemeinden wie Sulzberg oder Waltenhofen geben sollten. Weitere Proben wurden aus Sammlern von Altusried und Lauben entnommen.
Die Auswertung zeige, dass die im Abwasser gemessene Viruslast den vom Robert-Koch-Institut (RKI) erfassten Neuinfektionen etwa zehn Tage voraus sei, sagt Beer. Anhand von Vergleichswerten anderer Kläranlagen, die vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig untersucht worden waren, wurde an der Viruslast abgelesen, wie hoch die Sieben-Tage-Inzidenz sein müsste. Auf diese Weise ergab die Messung am 28. April einen InzidenzWert – abhängig von den für die Berechnung zugrunde gelegten Vergleichswerten – zwischen 135 und 230 in Kempten. Laut RKI lag der Wert an diesem Tag bei 230. Die Prognose lautete: Die Neuinfektionen sind rückläufig. Tatsächlich meldete das RKI zwölf Tage später, am 10. Mai, eine Inzidenz von 185. Die Prognose hatte sich bestätigt. In den Proben der Kläranlage sei das Covid-19-Virus an diesem Tag schon nicht mehr nachweisbar gewesen, sagt Beer. Wiederum zehn Tage später, am 20. Mai, lag die Inzidenz laut RKI bei 94 in Kempten, war also erneut gesunken. „Wenn die Werte unter 30 bis 50 sind, sieht man in der Regel nichts mehr.“Allerdings variiere das von Kläranlage zu Kläranlage. Wo genau die Nachweisgrenze der Anlage in Kempten liege, wolle man deshalb als Nächstes herausfinden.
Der Abwasserverband will seine Untersuchungen weiter intensivieren und seine Daten aus künftigen Messungen auch dem Gesundheitsamt zur Verfügung stellen, sagt Beer. Möglicherweise dienten die Untersuchungen dem Pandemie-Management. Ärzte könnten beispielsweise für einen bevorstehenden Anstieg der Neuinfektionen sensibilisiert werden, zudem könnte die Ausbreitung neuer Virusvarianten früher entdeckt werden.
Die Abwasser-Daten seien spannend – hilfreich aber nur bedingt, sagt Brigitte Klöpf von der Pressestelle des Landratsamts Oberallgäu, in dem auch das Gesundheitsamt für den Landkreis und Kempten beheimatet ist. Auch wenn erkennbar sei, dass es in einem bestimmten Teil der Kanalisation positive Proben gibt, ließen sich die konkret betroffenen Personen damit nicht erkennen. Dies gehe nur mit Schnell- oder PCRTests.