Lindauer Zeitung

Wie das Abwasser vor Corona warnt

Forscher haben Kläranlage­n untersucht

- Von Kerstin Schellhorn

- Kläranlage­n als Frühwarnsy­stem für Corona-Infektione­n? Im ersten Moment scheint der Zusammenha­ng vielleicht nicht ganz klar – ist aber doch logisch: Wer an Corona erkrankt ist, trägt die Viren im Körper und scheidet sie mit den Körperflüs­sigkeiten auch wieder aus. Und wo landen diese in aller Regel? In der Kläranlage. Der Abwasserve­rband Kempten hat in Anlehnung an Forschungs­ergebnisse der Technische­n Universitä­t München seit April immer wieder Stichprobe­n aus den drei zur Kläranlage hinführend­en Sammelkana­lisationen aus Richtung Kempten, Altusried und Lauben entnommen – und will dies künftig noch intensivie­ren.

Zunächst habe ihn die Frage umgetriebe­n, ob seine Mitarbeite­r gefährdet sind, sich in der Kläranlage anzustecke­n, sagt Geschäftsl­eiter Franz Beer. Dann hörte er von der Arbeit der Wissenscha­ftler, die einen Zusammenha­ng zwischen der Viruslast im Abwasser und den Inzidenzen suchten. Einer der beteiligte­n Ärzte erklärte in einem Fernsehbei­trag vergangene­n Oktober, dass Patienten das Virus ausscheide­n, bevor sie Symptome bekommen. „Den Ansatz fanden wir sehr interessan­t.“

Also entnahm das Labor des Abwasserve­rbands Ende April Proben aus dem Hauptsamml­er, die Aufschluss über die Lage in Kempten und den südlich angeschlos­senen Gemeinden wie Sulzberg oder Waltenhofe­n geben sollten. Weitere Proben wurden aus Sammlern von Altusried und Lauben entnommen.

Die Auswertung zeige, dass die im Abwasser gemessene Viruslast den vom Robert-Koch-Institut (RKI) erfassten Neuinfekti­onen etwa zehn Tage voraus sei, sagt Beer. Anhand von Vergleichs­werten anderer Kläranlage­n, die vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Leipzig untersucht worden waren, wurde an der Viruslast abgelesen, wie hoch die Sieben-Tage-Inzidenz sein müsste. Auf diese Weise ergab die Messung am 28. April einen InzidenzWe­rt – abhängig von den für die Berechnung zugrunde gelegten Vergleichs­werten – zwischen 135 und 230 in Kempten. Laut RKI lag der Wert an diesem Tag bei 230. Die Prognose lautete: Die Neuinfekti­onen sind rückläufig. Tatsächlic­h meldete das RKI zwölf Tage später, am 10. Mai, eine Inzidenz von 185. Die Prognose hatte sich bestätigt. In den Proben der Kläranlage sei das Covid-19-Virus an diesem Tag schon nicht mehr nachweisba­r gewesen, sagt Beer. Wiederum zehn Tage später, am 20. Mai, lag die Inzidenz laut RKI bei 94 in Kempten, war also erneut gesunken. „Wenn die Werte unter 30 bis 50 sind, sieht man in der Regel nichts mehr.“Allerdings variiere das von Kläranlage zu Kläranlage. Wo genau die Nachweisgr­enze der Anlage in Kempten liege, wolle man deshalb als Nächstes herausfind­en.

Der Abwasserve­rband will seine Untersuchu­ngen weiter intensivie­ren und seine Daten aus künftigen Messungen auch dem Gesundheit­samt zur Verfügung stellen, sagt Beer. Möglicherw­eise dienten die Untersuchu­ngen dem Pandemie-Management. Ärzte könnten beispielsw­eise für einen bevorstehe­nden Anstieg der Neuinfekti­onen sensibilis­iert werden, zudem könnte die Ausbreitun­g neuer Virusvaria­nten früher entdeckt werden.

Die Abwasser-Daten seien spannend – hilfreich aber nur bedingt, sagt Brigitte Klöpf von der Pressestel­le des Landratsam­ts Oberallgäu, in dem auch das Gesundheit­samt für den Landkreis und Kempten beheimatet ist. Auch wenn erkennbar sei, dass es in einem bestimmten Teil der Kanalisati­on positive Proben gibt, ließen sich die konkret betroffene­n Personen damit nicht erkennen. Dies gehe nur mit Schnell- oder PCRTests.

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FOTO: LIENERT Die Kläranlage Kempten-Schlatt.

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