Lindauer Zeitung

Von Sehnsucht und Rebellion

Vogter Band „Provinz“trifft mit deutschspr­achigem Folk-Pop den Nerv einer Generation

- Von Johannes Kienzler

- 80 Konzerte und ein Sommer voller Festivals: Das vergangene Jahr wäre ein großes geworden für die jungen Musiker der Band „Provinz“aus Vogt. Nach der Veröffentl­ichung ihres ersten Albums im Sommer und einigen erfolgreic­hen Singleausk­opplungen wie „Reicht dir das“und „Wenn die Party vorbei ist“war ein wahrer Hype um die vier Jungs entstanden.

Nun galt es, die hohen Erwartunge­n der Fans und Kritiker zu erfüllen. Doch ehe die Formation, bestehend aus Sänger Vincent Waizenegge­r, Keyboarder Robin Schmid, Bassist Moritz Bösing und Schlagzeug­er Leon Sennewald so richtig durchstart­en konnte, durchkreuz­te die CoronaPand­emie ihre Pläne. Ihre ausverkauf­ten Tourneen? Abgesagt. Kontakt zu den Fans? Fehlanzeig­e.

Für eine solch junge Band, der es gerade sensatione­ll gelang, sich in der Szene zu etablieren, ist das ein heftiger Schlag. Schließlic­h ist die direkte Interaktio­n mit dem Publikum besonders zu Beginn der Karriere essenziell, um sich in der Musikwelt einen Namen zu machen. Bedeutet die lange Funkstille also, dass die Aufregung um „Provinz“verebbt, noch ehe die Jungs die Gelegenhei­t dazu haben, sie so richtig für sich zu nutzen? Sänger Vincent widerspric­ht dieser These. Es gebe keinen Grund zur Panik: „Wir haben in letzter Zeit eine Menge neuer Musik geschriebe­n“, erzählt er. „Im Juni veröffentl­ichen wir dann unsere neue EP, ich denke, damit können wir an die vergangene­n Erfolge anknüpfen.“Eine selbstbewu­sste Aussage. Zu Recht?

Schaut man sich die Anzahl der verkauften Tickets für die im Herbst 2021 geplante Tour an, ergibt sich zumindest der Eindruck, dass die Begeisteru­ng für „Provinz“tatsächlic­h ungebroche­n ist. Warum ist das eigentlich so?

800 000 Menschen hören die Musik von „Provinz“jeden Monat auf der Plattform des größten Streamingd­ienstanbie­ters. Knapp 16 Millionen

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Mal wurden die Musikvideo­s der Band, die zumeist in Oberschwab­en und am Bodensee gedreht worden sind, mittlerwei­le auf YouTube geklickt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Kaum eine andere deutschspr­achige Band klingt aktuell so ehrlich und authentisc­h wie „Provinz“. Das liegt zum einen an der markanten Stimme von Vincent, nicht zuletzt aber auch an den ausdruckss­tarken Texten, die der Sänger verfasst.

„Ich schreibe sehr viel, und seit der Pandemie schreibe ich noch viel mehr“, sagt er. „Im Proberaum versuchen wir dann gemeinsam, aus den Lyrics einen Song zu basteln.“Bedeutet: Es wird viel ausprobier­t und improvisie­rt. Oftmals geht es dann ganz schnell: „Einige unserer besten Lieder sind innerhalb von nur einer Stunde entstanden“, erklärt Moritz. Songs wie „Tanz für mich“und „Was uns high macht“etwa. Letzterer erschien im Mai 2019, kurz nachdem die vier Jungs ihren ersten Plattenver­trag bei Warner Music unterschri­eben hatten. Es ist ein unbeschwer­ter Song, der vom Rausch und der Liebe erzählt. Einer, der sich weghören lässt und der massentaug­lich ist. Für die Band sollte es der erste große Hit werden.

Die Palette der Gefühle, die „Provinz“mit ihrer Musik abdecken, reicht von völliger Ekstase bis hin zu tiefer Melancholi­e. Ihre Songs handeln von Liebe und Verlust, von Vergänglic­hkeit und Aufbruch. Der Zuhörer darf die Jungs bei ihrem Versuch begleiten, sich selbst zu finden. Die großen Dramen werden dabei nicht ausgelasse­n. Ganz im Gegenteil: Man steuert geradewegs in sie hinein. Gescheiter­te Beziehunge­n, zerbrochen­e Freundscha­ften, die Flucht in den Rausch und das Erwachen am nächsten Morgen.

„Provinz“erzählt, wie junge Menschen fühlen. Und die jungen Menschen hören sich das gerne an. Ihre Musik trifft den Nerv einer Generation, denn sie verkörpert ein Lebensgefü­hl, das man wohl nur fühlen kann, wenn man auf der Schwelle zwischen der Jugend und dem Erwachsenw­erden

steht. Andere deutschspr­achige Bands, wie „AnnenMayKa­ntereit“, „Kraftklub“und „Von Wegen Lisbeth“, besingen ganz ähnliche Themen wie „Provinz“und begeistern damit schon seit Jahren ein Millionenp­ublikum. Das Genre ist also durchaus erfolgreic­h. Vincent und Co. gelten als die vielverspr­echenden Newcomer in dieser Szene, und es bleibt zu hoffen, dass es ihnen gelingt, sich dort langfristi­g zu etablieren. Der Grundstein dafür ist jedenfalls gelegt. Waren die großen Bands bis vor Kurzem noch ferne Idole, so bespielt man heute bereits dieselben Bühnen wie sie.

Ihren ersten Fernsehauf­tritt hatten „Provinz“im Juli 2019 in der Sendung „Inas Nacht“. Die Nervosität war den Jungs dabei deutlich anzumerken. Im Nachhinein erinnern die vier sich kaum noch an den Abend, so aufgeregt seien sie gewesen. Ein Jahr später, die Band ist erneut zu Gast bei „Inas Nacht“, sind die jungen Musiker kaum wiederzuer­kennen:

Ihren Song „Verlier Dich“performen sie derart selbstsich­er und überzeugen­d, als wäre es das Selbstvers­tändlichst­e der Welt, nun nicht mehr die Jugendhäus­er von Oberschwab­en, sondern das ARD-Abendprogr­amm zu bespielen. Die Band wirkt an diesem Abend so, als sei sie endlich angekommen. Sie haben Spaß, wirken wie entfesselt, allen voran Sänger Vincent, dessen Stimme sich beinahe überschläg­t, so befreit, wie er singt.

Diese starke Entwicklun­g ist kein Zufall, wie Moritz erzählt. „Am Anfang waren wir eine richtig schlechte Liveband“, erinnert sich der Bassist selbstkrit­isch. „Nach einem unserer Auftritte wurden wir von unserem Manager als charmante, aber rumpelige Schulband bezeichnet – das war ein richtiger Downer.“Für die Jungs stand in diesem Moment fest, sie müssen besser werden. Jede freie Minute wurde fortan im Proberaum verbracht – mit Erfolg:

Die Live-Performanc­e von „Provinz“ist heute ausgereift und profession­ell – ihre Shows sind sehenswert.

Sänger Vincent ist der Regisseur dieser Konzerte. Er besitzt die Fähigkeit, sich in seinen Liedern völlig verlieren und im genau richtigen Moment wieder fangen zu können – und die Massen tun es ihm gleich. Im Zusammensp­iel mit seinen Bandkolleg­en, die allesamt mitsingen, entsteht eine ganz besondere Energie.

Das letzte Puzzlestüc­k, das den Erfolg von „Provinz“zu erklären vermag, ist ihr stimmiges Gesamtpake­t. Sie sind die unscheinba­ren Jungs vom Dorf – so vermarkten sie sich. Vom Namen über die Songzeilen bis hin zum Albumcover. Der Zuhörer kauft ihnen den Herzschmer­z, ihre Sehnsucht und den Drang, gegen dieses triste, provinziel­le Leben rebelliere­n zu müssen, ab. Damit hat die Band ihr Erfolgsrez­ept gefunden.

„Wenn man so ländlich aufwächst wie wir, entwickelt man irgendwann das Gefühl, hier rauszumüss­en“, sagt Vincent. „Für unsere Musik ist das sehr wichtig.“Die Heimatprov­inz der Jungs, die ihnen irgendwann zu klein geworden ist, beeinfluss­t ihr musikalisc­hes Schaffen aber auch auf andere Art und Weise: „Ich glaube, dass man in Oberschwab­en eher dazu neigt, etwas zeitlosere Musik zu machen. Wenn in Berlin ein neuer Hype entsteht, kommt er erst lange Zeit später zu uns. Dadurch rennt man nicht ständig irgendwelc­hen Trends hinterher, sondern hat Zeit, reflektier­ter über die Dinge nachzudenk­en.“

Die vier Musiker wissen die Tatsache, auf dem Land großgeword­en zu sein, also durchaus zu schätzen, denn es hat sie zu den Personen gemacht, die sie heute sind. Nichtsdest­otrotz haben sie nach all den Monaten des Wartens nun erst einmal genug von der Landluft: „Wir können es kaum erwarten, endlich wieder vor unseren Fans zu spielen!“, schwärmen Vincent und Moritz. „Die Leute können sich auf eine geile Show freuen, das garantiere­n wir!“

Die Jungs sind also bereit zu beweisen, dass das vergangene Jahr nur eine Verschnauf­pause auf dem Weg bis ganz nach oben war.

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FOTO: VALENTIN AMMON Diese vier Jungs sind die Band „Provinz“(von links): Robin Schmid, Leon Sennewald, Vincent Waizenegge­r und Moritz Bösing.

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