Von Sehnsucht und Rebellion
Vogter Band „Provinz“trifft mit deutschsprachigem Folk-Pop den Nerv einer Generation
- 80 Konzerte und ein Sommer voller Festivals: Das vergangene Jahr wäre ein großes geworden für die jungen Musiker der Band „Provinz“aus Vogt. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums im Sommer und einigen erfolgreichen Singleauskopplungen wie „Reicht dir das“und „Wenn die Party vorbei ist“war ein wahrer Hype um die vier Jungs entstanden.
Nun galt es, die hohen Erwartungen der Fans und Kritiker zu erfüllen. Doch ehe die Formation, bestehend aus Sänger Vincent Waizenegger, Keyboarder Robin Schmid, Bassist Moritz Bösing und Schlagzeuger Leon Sennewald so richtig durchstarten konnte, durchkreuzte die CoronaPandemie ihre Pläne. Ihre ausverkauften Tourneen? Abgesagt. Kontakt zu den Fans? Fehlanzeige.
Für eine solch junge Band, der es gerade sensationell gelang, sich in der Szene zu etablieren, ist das ein heftiger Schlag. Schließlich ist die direkte Interaktion mit dem Publikum besonders zu Beginn der Karriere essenziell, um sich in der Musikwelt einen Namen zu machen. Bedeutet die lange Funkstille also, dass die Aufregung um „Provinz“verebbt, noch ehe die Jungs die Gelegenheit dazu haben, sie so richtig für sich zu nutzen? Sänger Vincent widerspricht dieser These. Es gebe keinen Grund zur Panik: „Wir haben in letzter Zeit eine Menge neuer Musik geschrieben“, erzählt er. „Im Juni veröffentlichen wir dann unsere neue EP, ich denke, damit können wir an die vergangenen Erfolge anknüpfen.“Eine selbstbewusste Aussage. Zu Recht?
Schaut man sich die Anzahl der verkauften Tickets für die im Herbst 2021 geplante Tour an, ergibt sich zumindest der Eindruck, dass die Begeisterung für „Provinz“tatsächlich ungebrochen ist. Warum ist das eigentlich so?
800 000 Menschen hören die Musik von „Provinz“jeden Monat auf der Plattform des größten Streamingdienstanbieters. Knapp 16 Millionen
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Mal wurden die Musikvideos der Band, die zumeist in Oberschwaben und am Bodensee gedreht worden sind, mittlerweile auf YouTube geklickt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Kaum eine andere deutschsprachige Band klingt aktuell so ehrlich und authentisch wie „Provinz“. Das liegt zum einen an der markanten Stimme von Vincent, nicht zuletzt aber auch an den ausdrucksstarken Texten, die der Sänger verfasst.
„Ich schreibe sehr viel, und seit der Pandemie schreibe ich noch viel mehr“, sagt er. „Im Proberaum versuchen wir dann gemeinsam, aus den Lyrics einen Song zu basteln.“Bedeutet: Es wird viel ausprobiert und improvisiert. Oftmals geht es dann ganz schnell: „Einige unserer besten Lieder sind innerhalb von nur einer Stunde entstanden“, erklärt Moritz. Songs wie „Tanz für mich“und „Was uns high macht“etwa. Letzterer erschien im Mai 2019, kurz nachdem die vier Jungs ihren ersten Plattenvertrag bei Warner Music unterschrieben hatten. Es ist ein unbeschwerter Song, der vom Rausch und der Liebe erzählt. Einer, der sich weghören lässt und der massentauglich ist. Für die Band sollte es der erste große Hit werden.
Die Palette der Gefühle, die „Provinz“mit ihrer Musik abdecken, reicht von völliger Ekstase bis hin zu tiefer Melancholie. Ihre Songs handeln von Liebe und Verlust, von Vergänglichkeit und Aufbruch. Der Zuhörer darf die Jungs bei ihrem Versuch begleiten, sich selbst zu finden. Die großen Dramen werden dabei nicht ausgelassen. Ganz im Gegenteil: Man steuert geradewegs in sie hinein. Gescheiterte Beziehungen, zerbrochene Freundschaften, die Flucht in den Rausch und das Erwachen am nächsten Morgen.
„Provinz“erzählt, wie junge Menschen fühlen. Und die jungen Menschen hören sich das gerne an. Ihre Musik trifft den Nerv einer Generation, denn sie verkörpert ein Lebensgefühl, das man wohl nur fühlen kann, wenn man auf der Schwelle zwischen der Jugend und dem Erwachsenwerden
steht. Andere deutschsprachige Bands, wie „AnnenMayKantereit“, „Kraftklub“und „Von Wegen Lisbeth“, besingen ganz ähnliche Themen wie „Provinz“und begeistern damit schon seit Jahren ein Millionenpublikum. Das Genre ist also durchaus erfolgreich. Vincent und Co. gelten als die vielversprechenden Newcomer in dieser Szene, und es bleibt zu hoffen, dass es ihnen gelingt, sich dort langfristig zu etablieren. Der Grundstein dafür ist jedenfalls gelegt. Waren die großen Bands bis vor Kurzem noch ferne Idole, so bespielt man heute bereits dieselben Bühnen wie sie.
Ihren ersten Fernsehauftritt hatten „Provinz“im Juli 2019 in der Sendung „Inas Nacht“. Die Nervosität war den Jungs dabei deutlich anzumerken. Im Nachhinein erinnern die vier sich kaum noch an den Abend, so aufgeregt seien sie gewesen. Ein Jahr später, die Band ist erneut zu Gast bei „Inas Nacht“, sind die jungen Musiker kaum wiederzuerkennen:
Ihren Song „Verlier Dich“performen sie derart selbstsicher und überzeugend, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, nun nicht mehr die Jugendhäuser von Oberschwaben, sondern das ARD-Abendprogramm zu bespielen. Die Band wirkt an diesem Abend so, als sei sie endlich angekommen. Sie haben Spaß, wirken wie entfesselt, allen voran Sänger Vincent, dessen Stimme sich beinahe überschlägt, so befreit, wie er singt.
Diese starke Entwicklung ist kein Zufall, wie Moritz erzählt. „Am Anfang waren wir eine richtig schlechte Liveband“, erinnert sich der Bassist selbstkritisch. „Nach einem unserer Auftritte wurden wir von unserem Manager als charmante, aber rumpelige Schulband bezeichnet – das war ein richtiger Downer.“Für die Jungs stand in diesem Moment fest, sie müssen besser werden. Jede freie Minute wurde fortan im Proberaum verbracht – mit Erfolg:
Die Live-Performance von „Provinz“ist heute ausgereift und professionell – ihre Shows sind sehenswert.
Sänger Vincent ist der Regisseur dieser Konzerte. Er besitzt die Fähigkeit, sich in seinen Liedern völlig verlieren und im genau richtigen Moment wieder fangen zu können – und die Massen tun es ihm gleich. Im Zusammenspiel mit seinen Bandkollegen, die allesamt mitsingen, entsteht eine ganz besondere Energie.
Das letzte Puzzlestück, das den Erfolg von „Provinz“zu erklären vermag, ist ihr stimmiges Gesamtpaket. Sie sind die unscheinbaren Jungs vom Dorf – so vermarkten sie sich. Vom Namen über die Songzeilen bis hin zum Albumcover. Der Zuhörer kauft ihnen den Herzschmerz, ihre Sehnsucht und den Drang, gegen dieses triste, provinzielle Leben rebellieren zu müssen, ab. Damit hat die Band ihr Erfolgsrezept gefunden.
„Wenn man so ländlich aufwächst wie wir, entwickelt man irgendwann das Gefühl, hier rauszumüssen“, sagt Vincent. „Für unsere Musik ist das sehr wichtig.“Die Heimatprovinz der Jungs, die ihnen irgendwann zu klein geworden ist, beeinflusst ihr musikalisches Schaffen aber auch auf andere Art und Weise: „Ich glaube, dass man in Oberschwaben eher dazu neigt, etwas zeitlosere Musik zu machen. Wenn in Berlin ein neuer Hype entsteht, kommt er erst lange Zeit später zu uns. Dadurch rennt man nicht ständig irgendwelchen Trends hinterher, sondern hat Zeit, reflektierter über die Dinge nachzudenken.“
Die vier Musiker wissen die Tatsache, auf dem Land großgeworden zu sein, also durchaus zu schätzen, denn es hat sie zu den Personen gemacht, die sie heute sind. Nichtsdestotrotz haben sie nach all den Monaten des Wartens nun erst einmal genug von der Landluft: „Wir können es kaum erwarten, endlich wieder vor unseren Fans zu spielen!“, schwärmen Vincent und Moritz. „Die Leute können sich auf eine geile Show freuen, das garantieren wir!“
Die Jungs sind also bereit zu beweisen, dass das vergangene Jahr nur eine Verschnaufpause auf dem Weg bis ganz nach oben war.