Zu viel zu Hause
Laichinger Privatschule kämpft um Anerkennung – Niederlage vor Verwaltungsgerichtshof
- Eine Schule ohne Klassen, in der jedes Kind individuell und im eigenen Zuhause lernt – so sieht für Jonathan Erz aus Laichingen guter und zeitgemäßer Unterricht aus. Seit mehr als neun Jahren leitet Erz in Laichingen die Dietrich Bonhoeffer Internationale Schule (DBIS) nach dem sogenannten Uracher Plan. Nur: Eine staatliche Genehmigung hat die Schule nicht. Das hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim vergangene Woche noch einmal bestätigt. Knackpunkt ist der weitgehende Verzicht auf Präsenzunterricht.
Lange bevor die meisten Schüler im Land wegen der Corona-Pandemie in den Fernunterricht geschickt wurden, lernten die rund 25 Schüler an der DBIS schon weitgehend digital. Seit Jahren findet an der Schule im Laichinger Stadtteil Machtolsheim nur an einem Tag pro Woche Präsenzunterricht statt, an den anderen werden die Kinder über das Internet oder per Telefon betreut. Klassenverbände gibt es nicht. Jedes Kind soll individuell und selbst organisiert lernen, erklärt Schulleiter Erz. „Die Vorstellung, dass man nur in einem Betongebäude und auf unbequemen Stühlen lernen kann, ist doch völlig überholt.“
Inhaltlich orientiert sich die Schule am Bildungsplan des Landes, die Lehrer müssen eine anerkannte pädagogische Ausbildung vorweisen, Abschlussprüfungen werden an öffentlichen Schulen abgelegt, und die Schule unterstellt sich der Aufsicht der Behörden. Und doch ist vieles anders: „Wir unterstützen die Neugier, das Interesse und die Begabungsentwicklung vom Kind her“, erklärt Erz. Der Schüler bestimme etwa mit, wann er sich mit welchen Themen beschäftigen will, und dürfe so seine Bildungsbiografie selbst gestalten. Der Erfolg gebe dem Konzept recht, sagt Erz. Im Schnitt erreichen Schüler der DBIS bei Abschlussprüfungen eine Note von 2,0 und liegen damit deutlich über dem Landesschnitt. „Aber Noten stehen bei uns nicht im Mittelpunkt.“
Offiziell läuft die DBIS als Ergänzungsschule, also als Privatschule, die keine Entsprechung im öffentlichen Schulwesen hat. Ob Schüler an der Schule ihrer Schulpflicht nachkommen, ist nicht final entschieden. Immer wieder kommt es deshalb zu Gerichtsverfahren gegen Eltern, die ihre Kinder an die DBIS schicken – zuletzt auch gegen Erz selbst, der seinen Sohn nach Auffassung des Amtsgerichts Ulm nicht gesetzeskonform beschulen lässt. Einem Urteil des Sigmaringer Verwaltungsgerichts zufolge wird die Schulpflicht an der Schule jedoch erfüllt.
Laut Kultusministerium gibt es nur eine Ergänzungsschule im Land. Die 417 anderen allgemeinbildenden Privatschulen in Baden-Württemberg werden als Ersatzschulen bezeichnet – dazu gehören etwa Waldorfschulen oder Montessori-Schulen. Insgesamt werden an allgemeinbildenden Privatschulen im Land 110 000 Schüler unterrichtet. Deutlich mehr Privatschulen gibt es im Nachbarland Bayern: 1417. Rund 202 000 Schüler besuchen eine dieser bayerischen Privatschulen – allerdings umfasst diese Zahl nicht nur die allgemeinbildenden Schulen, sondern auch etwa die beruflichen.
Erz will, dass seine Schule vom Land Baden-Württemberg als Ersatzschule anerkannt wird. Nur als solche dürfte er eine staatliche Förderung beantragen. Immerhin einige
Hundert bis Tausend Euro könnten pro Schuljahr und Schüler zusammenkommen. Bisher finanziert sich die DBIS selbst, die Lehrer werden vor allem durch Spenden bezahlt.
Doch das Regierungspräsidium in Tübingen hatte die Genehmigung dieses Formats abgelehnt und mit seiner Auffassung vom Verwaltungsgericht Sigmaringen Recht bekommen. In der Berufung scheiterte Erz nun auch vor dem Verwaltungsgerichtshof. Eine auf Grundlage des reformpädagogischen Konzepts des „Uracher Plans“betriebene Grundschule beziehungsweise Haupt- und Werkrealschule erfülle nicht die Voraussetzungen für die Genehmigung des Betriebs als private Ersatzschule, heißt es in einer Mitteilung des Verwaltungsgerichtshofs schlicht.
Der Vorsitzende Richter Andreas Roth hatte Medienberichten zufolge schon bei der mündlichen Verhandlung am 15. Juli erkennen lassen, dass er Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit hat. Eine Privatschule könne als Ersatzschule nicht anerkannt werden, wenn ihre Strukturen zu stark von den öffentlichen Schulen abweichen, zitierte ihn etwa der Evangelische Pressedienst. Die Gleichrangigkeit staatlicher Erziehung mit elterlicher Erziehung sei bei nur einem Tag Präsenzunterricht nicht gewährleistet.
Die offizielle Urteilsbegründung steht noch aus. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Doch Schulleiter Erz kündigte bereits an, weiter für seine Schule zu kämpfen. Er will Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. Erz ist überzeugt, dass es in dem Streit um mehr geht als um seine Schule. „Im Kern geht es doch um den Schulbegriff, also die Frage, was Schule eigentlich ist“, sagt er. Auch das Verwaltungsgericht Sigmaringen habe bereits darauf verwiesen, dass es in der Sache verfassungsrechtliche Fragen zu klären gebe. Für Erz ist das kein Hindernis. Im Gegenteil, sagt er: „Ich bin bereit, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.“