Als deutsche Ordnung in die Sterne kam
Seit 25 Jahren gibt es die Hotelklassifizierung – Der Wildwuchs wurde eingedämmt, aber schwarze Schafe gibt es noch heute.
- Gehen ein 165 Zentimeter kleiner Italiener und ein zwei Meter großer Amerikaner in ein Hotel in Baden-Württemberg. Ruft der Italiener entzückt: „Oh, wie schön lang die Betten hier sind!“Erwidert der Amerikaner „Ach, das sollen Betten sein? So kurz sind bei uns höchstens die Sessel! Und überhaupt: Wo ist eigentlich der Automat mit den Eiswürfeln?“
Die Ansprüche an ein Hotel sind – das zeigt dieses zugespitzte Beispiel – so verschieden wie die Länder und deren Menschen. Und der Versuch, einen Beherbergungsbetrieb nach bestimmten Kriterien zu klassifizieren und damit besser vergleichbar zu machen, bedeutet immer auch die Quadratur des Kreises. Gerade über Ländergrenzen hinweg. Und doch macht die Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH genau das seit 25 Jahren: Die Organisation des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands prüft Hotels und vergibt – je nach Ausstattung – zwischen einem und fünf Sternen.
Stand Januar 2021 existieren in Deutschland 7861 Übernachtungsbetriebe, die sich mit mindestens einem Stern schmücken. In BadenWürttemberg sind es 1261, in Bayern 1540. Bayern besitzt mit 23 Häusern auch die größte Dichte an luxuriösen Fünf-Sterne-Hotels, an zweiter Stelle mit 17 steht Baden-Württemberg. Den höchsten Anteil mit knapp 60 Prozent aller besternten Herbergen machen Drei-SterneHotels aus. Bei diesen Zahlen fällt eines schnell auf: Nur eine Minderheit aller Beherbergungsbetriebe hat überhaupt etwas mit dem Sterne-Bewertungs-System des Dehoga zu tun. Gemäß den Zahlen des Statistischen Bundesamtes existieren 2019 knapp 44 000 Übernachtungsbetriebe inklusive Jugendherbergen und Pensionen, was im Klartext bedeutet, dass etwa 35 000 davon keinen Stern haben – oder zumindest nicht haben dürften. Denn die Vergabe von Sternsymbolen ist in Deutschland dem Dehoga vorbehalten. Auch wenn das so manchen Hotelier herzlich wenig interessiert. Aber dazu später.
Das einzige offiziell klassifizierte Fünf-Sterne-Hotel der Region steht in Lindau am Bodensee, besser gesagt direkt an der postkartentauglichen Hafenkulisse mit Löwe und Leuchtturm: der Bayerische Hof, der aufgrund seiner Unübersehbarkeit an der Hafenpromenade selbst ein bisschen zum Wahrzeichen der Inselstadt geworden ist. Hier ist Robert Stolze der Chef, und er sagt: „Die Sterne sind eine wichtige Orientierungshilfe für den Gast.“Die Einstufungen zwischen einem und fünf Sternen folgten einem einheitlichen Maßstab. Einer, unter dem sich ein Gast eine Vorstellung machen können soll von dem, was ihn an der jeweiligen Adresse erwartet. Im Falle des Bayerischen Hofs in Lindau, der seit mehr als
160 Jahren Gäste empfängt, sind das Zimmer mit Seeblick. Ausgestattet mit luxuriösen Materialien und jedem erdenklichen Komfort. Pool, 24-Stunden-Zimmerservice, Sauna, Spa, eine permanent besetzte Rezeption, die mehrsprachig kommunizieren kann.
Und sonst noch so? „Wenn wir ein Hotel klassifizieren, prüfen wir nach einem Kriterienkatalog, der 247 Punkte umfasst“, sagt Markus Luthe. Er ist Geschäftsführer der Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung
GmbH. Unter der Webadresse www.hotelstars.eu sind diese im Einzelnen einsehbar. In den ellenlangen Tabellen mit verschiedenen Punkten für bestimmten Komfort sind auch sogenannte Mindestkriterien verzeichnet. Also solche, ohne die ein Haus wie der Bayerische Hof keine fünf Sterne bekommen könnte. Dazu gehört zum Beispiel die Mindestgröße der Zimmer, oder dass es ein Restaurant geben muss, das auch jeden Tag geöffnet hat. Oder einen „Badezimmerhocker auf Wunsch“. Wohingegen das Vorhalten einer Rolle Ersatzklopapier im Zimmer selbst für die Einstufung als Ein-SterneHotel obligatorisch ist. Aus den Mindestkriterien ergibt sich eine Mindestpunktzahl, die dann wiederum die Sternekategorie mitbestimmt. Ist die Punktzahl besonders hoch und erreicht ein definiertes Niveau, darf sich das jeweilige Hotel nicht nur der Sterne, sondern des Zusatzes „superior“erfreuen.
Und warum der ganze Zinnober? Für Markus Luthe ist die Sache sternenklar: „Ein Hotel, das offiziell klassifiziert ist, hat einen deutlichen Vermarktungsvorteil.“Das Bewertungssystem des Dehoga – inzwischen haben sich in Europa 17 verschiedene Länder darauf verständigt – sorge dafür, dass ein Gast nicht die Katze im Sack kaufen müsse. „Sondern dass Gäste schon vor der Buchung darüber Bescheid wissen, was sie erwarten dürfen.“Und zwar aktuell länderübergreifend neben Deutschland in Österreich, Belgien, Tschechien, Dänemark, Estland, Griechenland, Ungarn, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Schweden, Slowenien und in der Schweiz. „Leider haben wir uns mit unserem System noch nicht überall durchsetzen können“, beklagt Luthe. Das liege zum Teil an den sehr unterschiedlichen Regelungen in einzelnen Ländern. Mal sei eine staatliche Behörde für die Vergabe und Kontrolle nationaler Sterne zuständig, mal sind es regionale. „In Italien haben Sie 21 verschiedene staatliche Klassifizierer, in Spanien 17“, rechnet Luthe vor. Ein unübersichtliches Chaos – jenem von vor 1996 in Deutschland nicht unähnlich. Denn die Regelung, wonach wer wie viele Sterne verdient, war damals nicht verbindlich festgelegt. Im Zweifel konnte sich ein gewitzter Gastgeber einfach selber großzügig auszeichnen – mit so vielen Sternen, wie es ihm gerade passte.
Der Versuch, Herbergen durch Symbole auf der einen Seite besser unterscheidbar und auf der anderen einfacher vergleichbar zu machen, reicht weit zurück. Gemäß der freien Enzyklopädie Wikipedia fanden die ersten Sterne im Florenz des 14. Jahrhunderts Erwähnung. Später hat der Deutsche Karl Baedecker – bekannt für seine Reiseführer mit knallrotem Einband – mit Sternen operiert. „International ist es heute so, dass eigentlich kein System mehr als fünf Sterne vergibt. Das ist das Maximum“, erklärt Markus Luthe. Aber was ist dann mit dem Burj Al Arab, dem bekanntesten Hotel Dubais, das sich selbst in der Werbung preist, mit ganzen sieben Sternen zu glänzen? „Es gibt kein Hotel auf der Welt, das offiziell mehr als fünf hat“, beharrt Luthe – weiß aber, dass er gegen Hoteliers im Ausland, die ohne nachvollziehbare Kriterien mit Sternen nur so um sich werfen, keine Handhabe hat. In Deutschland allerdings schon: „Es kommt immer wieder vor, dass Hotels sich selbst Sterne verleihen, die nicht durch uns klassifiziert worden sind“, erklärt Luthe. Allerdings würden es inzwischen weniger. Um diese schwarzen Schafe herauszufiltern, bedient sich Luthes Organisation einer Art Schleppnetzfahndung im Internet. Er betont, dass manche Gastgeber nicht aus böser Absicht, sondern aus Unwissenheit handelten. Mit einer Software prüft die Deutsche Hotelklassifizierung GmbH jährlich etwa 30 000 Webseiten deutscher Hotels auf versteckte oder offene Angaben zu Sternen, die die Häuser womöglich gar nicht haben. „Bei ungefähr drei Prozent werden wir fündig“, sagt Sternejäger Luthe. Diese würden dann auf ihren Fehler hingewiesen. Sollten sie darauf beharren, wandert die Angelegenheit zu den jeweiligeN Wettbewerbsbehörden, denn: „Mit Sternen zu werben, die man nicht hat, ist Verbrauchertäuschung.“Das haben Gerichte in verschiedenen Urteilen ähnlich gesehen – und verhängen auch schon mal Ordnungsgelder, wenn sich die vom Dehoga gerügten Gastgeber uneinsichtig zeigen. Die Landgerichte Münster und DessauRoßlau brummten Hoteliers 2018 5000 und 1500 Euro Strafen auf. Es können darüber hinaus auch Schadenersatzansprüche anderer Hoteliers mit regulären Sternen im
Raum stehen, die auf dem gleichen Markt um Gäste werben.
Warum viele Hotelbetreiber auf die offiziellen Sterne verzichten, könnte auch etwas mit den Kosten der Klassifizierung zu tun haben. In Baden-Württemberg schlägt die Erstklassifizierung für Hotels, deren Betreiber nicht Mitglied im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) sind, mit 790 Euro plus 10,50 Euro pro Zimmer zu Buche. Dazu kommt noch das offizielle Messingschild, das die Sterne zeigt. Kostenpunkt 65 Euro. Die Gültigkeit beläuft sich dann auf drei Jahre. Danach wird eine Wiederholungsklassifizierung fällig, die nur unwesentlich günstiger ist als die erste. Die Begutachtung wird jeweils von den Dehoga-Landesverbänden organisiert. Luthe sagt, es seien je nach Bundesland bis zu 50 überwiegend ehrenamtlich tätige Zertifizierer, die den Kriterienkatalog vor Ort in den Hotels abgleichen.
Wogegen Markus Luthe und seine Mitstreiter allerdings keine Handhabe haben: jedwede Form von Fantasiesymbolen, solange sie weder Stern heißen noch Sternen gleichen. Das Hotelbewertungsund Reiseportal Holidaycheck – mit Hauptsitz im schweizerischen Bottighofen am Bodensee – bedient sich zum Beispiel eines Sonnensystems, das sich von theoretisch einer bis zu sechs Sonnen erstreckt. Georg Ziegler ist bei Holidaycheck für den Bereich Content zuständig, der gemäß Eigenauskunft alle Abteilungen rund um nutzergenerierte, redaktionelle und externe Inhalte bündelt. Darunter fallen auch die Kommentare, die Nutzer möglichst genau und differenziert in verschiedenen Kategorien abgeben sollen. Deren Bewertungen ergeben dann eine entsprechende Note.
Ziegler hat nichts gegen die Sterne des Dehoga, sagt aber auch: „Wir sind ein internationales Portal, die Sternevergabe nach dem Muster des Dehoga finden Sie aber in Märkten wie Thailand, Ägypten oder der Türkei so nicht vor.“Die Mission von Holidaycheck sei es daher, auf ein Haus genau so drauf zu schauen, wie der Gast es tue. „Und der misst Qualität nicht unbedingt an der Frage, wie lange der Nachtportier Dienst schiebt und ob sein Hotelzimmer 24 oder 26 Quadratmeter hat.“Holidaycheck helfe dabei, die Erfahrungen, die reale Gäste gemacht haben, mit anderen zu teilen. „Im Vergleich mit anderen Portalen sind Kommentare bei uns verhältnismäßig lang“, sagt Ziegler. Doch damit gelinge ein breiteres und realistisches Bild auf der Basis subjektiver Eindrücke. Eines, auf das andere Menschen bei ihrer Reiseplanung dann bauen könnten.
Und Missbrauch? Holidaycheck setze ein ausgefeiltes Prüfsystem ein, damit ein Hotelier auf dem Portal nicht selbst mit Sonnen nur so um sich wirft, um sich in ein besseres Licht zu rücken und damit Gäste anzulocken. Georg Ziegler: „Holidaycheck ist ein selbstreinigendes System.“Falsch positive Bewertungen würden schnell durch die Erfahrungen anderer Gäste aufgedeckt. Damit liegt es in der Natur der Sache, dass Beurteilungen umso verlässlicher sind, je mehr davon ein Haus auf sich ziehen kann. „Wenn 3000 Leute unisono überwiegend positiv bewerten, kann das Hotel keine Bruchbude sein“, erklärt Ziegler, der gegen eine Vereinheitlichung von Kriterien gar nichts einzuwenden hätte – aber aufgrund eines internationalen Marktes nicht daran glaubt, dass ein System wie das der Dehoga in jedem Land der Welt einheitlich übernommen wird.
Wenn nun aber – wie Markus Luthe sagt – die Sterne eine starke Vermarktungshilfe sind, können Häuser ohne offizielle Sterne dann nicht auch erfolgreich sein? „Doch, das können sie“, sagt Jürgen Waizenegger, der das Biohotel Mohren im Deggenhausertal führt. Für ihn zählten vor allem Kriterien, die mit Regionalität und mit Nachhaltigkeit zu tun hätten. Punkte, die man im Dehoga-Katalog zur Sterneklassifizierung bislang vergeblich sucht.
Markus Luthe, der gerne noch viel mehr Länder vom System der Sterneklassifizierung des Dehoga überzeugen möchte, räumt am Ende des Gesprächs noch mit einem Mythos auf, der sich hartnäckig hält. Nämlich dass ein Hotel quasi abbruchreif sein könne – und trotzdem fünf Sterne halten dürfe, sofern der Kriterienkatalog stur erfüllt sei. „Das ist natürlich nicht so. Die Prüfer gehen nicht nur rein und haken einfach ab.“Der Erhaltungszustand sei sehr wichtig – es dürfe in einem Haus der Luxusklasse im Fünf-Sterne-Segment kein Renovierungs- und Investitionsstau erkennbar sein.
Und doch bleibt das Empfinden darüber, was Luxus, was sterneverdächtig und was Holzklasse ist, eine zutiefst subjektive Angelegenheit. Das ist auch der Grund, warum Sterne allein noch nichts über die Beliebtheit einzelner Häuser aussagen. Das Hotel Arthus in Aulendorf rangiert bei Holidaycheck auf Platz 13 der beliebtesten Häuser in ganz Deutschland – und hat vier offizielle Sterne. Auf Platz eins steht das Landhaus Meine Zeit im bayerischen Bodenmais – und zwar gänzlich ohne Dehoga-Stern.
Markus Luthe,
Chef der Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH
„Ein Hotel, das offiziell klassifiziert ist, hat einen deutlichen Vermarktungsvorteil.“