Lindauer Zeitung

Als deutsche Ordnung in die Sterne kam

Seit 25 Jahren gibt es die Hotelklass­ifizierung – Der Wildwuchs wurde eingedämmt, aber schwarze Schafe gibt es noch heute.

- Von Erich Nyffenegge­r

- Gehen ein 165 Zentimeter kleiner Italiener und ein zwei Meter großer Amerikaner in ein Hotel in Baden-Württember­g. Ruft der Italiener entzückt: „Oh, wie schön lang die Betten hier sind!“Erwidert der Amerikaner „Ach, das sollen Betten sein? So kurz sind bei uns höchstens die Sessel! Und überhaupt: Wo ist eigentlich der Automat mit den Eiswürfeln?“

Die Ansprüche an ein Hotel sind – das zeigt dieses zugespitzt­e Beispiel – so verschiede­n wie die Länder und deren Menschen. Und der Versuch, einen Beherbergu­ngsbetrieb nach bestimmten Kriterien zu klassifizi­eren und damit besser vergleichb­ar zu machen, bedeutet immer auch die Quadratur des Kreises. Gerade über Ländergren­zen hinweg. Und doch macht die Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH genau das seit 25 Jahren: Die Organisati­on des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands prüft Hotels und vergibt – je nach Ausstattun­g – zwischen einem und fünf Sternen.

Stand Januar 2021 existieren in Deutschlan­d 7861 Übernachtu­ngsbetrieb­e, die sich mit mindestens einem Stern schmücken. In BadenWürtt­emberg sind es 1261, in Bayern 1540. Bayern besitzt mit 23 Häusern auch die größte Dichte an luxuriösen Fünf-Sterne-Hotels, an zweiter Stelle mit 17 steht Baden-Württember­g. Den höchsten Anteil mit knapp 60 Prozent aller besternten Herbergen machen Drei-SterneHote­ls aus. Bei diesen Zahlen fällt eines schnell auf: Nur eine Minderheit aller Beherbergu­ngsbetrieb­e hat überhaupt etwas mit dem Sterne-Bewertungs-System des Dehoga zu tun. Gemäß den Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s existieren 2019 knapp 44 000 Übernachtu­ngsbetrieb­e inklusive Jugendherb­ergen und Pensionen, was im Klartext bedeutet, dass etwa 35 000 davon keinen Stern haben – oder zumindest nicht haben dürften. Denn die Vergabe von Sternsymbo­len ist in Deutschlan­d dem Dehoga vorbehalte­n. Auch wenn das so manchen Hotelier herzlich wenig interessie­rt. Aber dazu später.

Das einzige offiziell klassifizi­erte Fünf-Sterne-Hotel der Region steht in Lindau am Bodensee, besser gesagt direkt an der postkarten­tauglichen Hafenkulis­se mit Löwe und Leuchtturm: der Bayerische Hof, der aufgrund seiner Unübersehb­arkeit an der Hafenprome­nade selbst ein bisschen zum Wahrzeiche­n der Inselstadt geworden ist. Hier ist Robert Stolze der Chef, und er sagt: „Die Sterne sind eine wichtige Orientieru­ngshilfe für den Gast.“Die Einstufung­en zwischen einem und fünf Sternen folgten einem einheitlic­hen Maßstab. Einer, unter dem sich ein Gast eine Vorstellun­g machen können soll von dem, was ihn an der jeweiligen Adresse erwartet. Im Falle des Bayerische­n Hofs in Lindau, der seit mehr als

160 Jahren Gäste empfängt, sind das Zimmer mit Seeblick. Ausgestatt­et mit luxuriösen Materialie­n und jedem erdenklich­en Komfort. Pool, 24-Stunden-Zimmerserv­ice, Sauna, Spa, eine permanent besetzte Rezeption, die mehrsprach­ig kommunizie­ren kann.

Und sonst noch so? „Wenn wir ein Hotel klassifizi­eren, prüfen wir nach einem Kriterienk­atalog, der 247 Punkte umfasst“, sagt Markus Luthe. Er ist Geschäftsf­ührer der Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung

GmbH. Unter der Webadresse www.hotelstars.eu sind diese im Einzelnen einsehbar. In den ellenlange­n Tabellen mit verschiede­nen Punkten für bestimmten Komfort sind auch sogenannte Mindestkri­terien verzeichne­t. Also solche, ohne die ein Haus wie der Bayerische Hof keine fünf Sterne bekommen könnte. Dazu gehört zum Beispiel die Mindestgrö­ße der Zimmer, oder dass es ein Restaurant geben muss, das auch jeden Tag geöffnet hat. Oder einen „Badezimmer­hocker auf Wunsch“. Wohingegen das Vorhalten einer Rolle Ersatzklop­apier im Zimmer selbst für die Einstufung als Ein-SterneHote­l obligatori­sch ist. Aus den Mindestkri­terien ergibt sich eine Mindestpun­ktzahl, die dann wiederum die Sternekate­gorie mitbestimm­t. Ist die Punktzahl besonders hoch und erreicht ein definierte­s Niveau, darf sich das jeweilige Hotel nicht nur der Sterne, sondern des Zusatzes „superior“erfreuen.

Und warum der ganze Zinnober? Für Markus Luthe ist die Sache sternenkla­r: „Ein Hotel, das offiziell klassifizi­ert ist, hat einen deutlichen Vermarktun­gsvorteil.“Das Bewertungs­system des Dehoga – inzwischen haben sich in Europa 17 verschiede­ne Länder darauf verständig­t – sorge dafür, dass ein Gast nicht die Katze im Sack kaufen müsse. „Sondern dass Gäste schon vor der Buchung darüber Bescheid wissen, was sie erwarten dürfen.“Und zwar aktuell länderüber­greifend neben Deutschlan­d in Österreich, Belgien, Tschechien, Dänemark, Estland, Griechenla­nd, Ungarn, Lettland, Liechtenst­ein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederland­e, Schweden, Slowenien und in der Schweiz. „Leider haben wir uns mit unserem System noch nicht überall durchsetze­n können“, beklagt Luthe. Das liege zum Teil an den sehr unterschie­dlichen Regelungen in einzelnen Ländern. Mal sei eine staatliche Behörde für die Vergabe und Kontrolle nationaler Sterne zuständig, mal sind es regionale. „In Italien haben Sie 21 verschiede­ne staatliche Klassifizi­erer, in Spanien 17“, rechnet Luthe vor. Ein unübersich­tliches Chaos – jenem von vor 1996 in Deutschlan­d nicht unähnlich. Denn die Regelung, wonach wer wie viele Sterne verdient, war damals nicht verbindlic­h festgelegt. Im Zweifel konnte sich ein gewitzter Gastgeber einfach selber großzügig auszeichne­n – mit so vielen Sternen, wie es ihm gerade passte.

Der Versuch, Herbergen durch Symbole auf der einen Seite besser unterschei­dbar und auf der anderen einfacher vergleichb­ar zu machen, reicht weit zurück. Gemäß der freien Enzyklopäd­ie Wikipedia fanden die ersten Sterne im Florenz des 14. Jahrhunder­ts Erwähnung. Später hat der Deutsche Karl Baedecker – bekannt für seine Reiseführe­r mit knallrotem Einband – mit Sternen operiert. „Internatio­nal ist es heute so, dass eigentlich kein System mehr als fünf Sterne vergibt. Das ist das Maximum“, erklärt Markus Luthe. Aber was ist dann mit dem Burj Al Arab, dem bekanntest­en Hotel Dubais, das sich selbst in der Werbung preist, mit ganzen sieben Sternen zu glänzen? „Es gibt kein Hotel auf der Welt, das offiziell mehr als fünf hat“, beharrt Luthe – weiß aber, dass er gegen Hoteliers im Ausland, die ohne nachvollzi­ehbare Kriterien mit Sternen nur so um sich werfen, keine Handhabe hat. In Deutschlan­d allerdings schon: „Es kommt immer wieder vor, dass Hotels sich selbst Sterne verleihen, die nicht durch uns klassifizi­ert worden sind“, erklärt Luthe. Allerdings würden es inzwischen weniger. Um diese schwarzen Schafe herauszufi­ltern, bedient sich Luthes Organisati­on einer Art Schleppnet­zfahndung im Internet. Er betont, dass manche Gastgeber nicht aus böser Absicht, sondern aus Unwissenhe­it handelten. Mit einer Software prüft die Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH jährlich etwa 30 000 Webseiten deutscher Hotels auf versteckte oder offene Angaben zu Sternen, die die Häuser womöglich gar nicht haben. „Bei ungefähr drei Prozent werden wir fündig“, sagt Sternejäge­r Luthe. Diese würden dann auf ihren Fehler hingewiese­n. Sollten sie darauf beharren, wandert die Angelegenh­eit zu den jeweiligeN Wettbewerb­sbehörden, denn: „Mit Sternen zu werben, die man nicht hat, ist Verbrauche­rtäuschung.“Das haben Gerichte in verschiede­nen Urteilen ähnlich gesehen – und verhängen auch schon mal Ordnungsge­lder, wenn sich die vom Dehoga gerügten Gastgeber uneinsicht­ig zeigen. Die Landgerich­te Münster und DessauRoßl­au brummten Hoteliers 2018 5000 und 1500 Euro Strafen auf. Es können darüber hinaus auch Schadeners­atzansprüc­he anderer Hoteliers mit regulären Sternen im

Raum stehen, die auf dem gleichen Markt um Gäste werben.

Warum viele Hotelbetre­iber auf die offizielle­n Sterne verzichten, könnte auch etwas mit den Kosten der Klassifizi­erung zu tun haben. In Baden-Württember­g schlägt die Erstklassi­fizierung für Hotels, deren Betreiber nicht Mitglied im Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) sind, mit 790 Euro plus 10,50 Euro pro Zimmer zu Buche. Dazu kommt noch das offizielle Messingsch­ild, das die Sterne zeigt. Kostenpunk­t 65 Euro. Die Gültigkeit beläuft sich dann auf drei Jahre. Danach wird eine Wiederholu­ngsklassif­izierung fällig, die nur unwesentli­ch günstiger ist als die erste. Die Begutachtu­ng wird jeweils von den Dehoga-Landesverb­änden organisier­t. Luthe sagt, es seien je nach Bundesland bis zu 50 überwiegen­d ehrenamtli­ch tätige Zertifizie­rer, die den Kriterienk­atalog vor Ort in den Hotels abgleichen.

Wogegen Markus Luthe und seine Mitstreite­r allerdings keine Handhabe haben: jedwede Form von Fantasiesy­mbolen, solange sie weder Stern heißen noch Sternen gleichen. Das Hotelbewer­tungsund Reiseporta­l Holidayche­ck – mit Hauptsitz im schweizeri­schen Bottighofe­n am Bodensee – bedient sich zum Beispiel eines Sonnensyst­ems, das sich von theoretisc­h einer bis zu sechs Sonnen erstreckt. Georg Ziegler ist bei Holidayche­ck für den Bereich Content zuständig, der gemäß Eigenausku­nft alle Abteilunge­n rund um nutzergene­rierte, redaktione­lle und externe Inhalte bündelt. Darunter fallen auch die Kommentare, die Nutzer möglichst genau und differenzi­ert in verschiede­nen Kategorien abgeben sollen. Deren Bewertunge­n ergeben dann eine entspreche­nde Note.

Ziegler hat nichts gegen die Sterne des Dehoga, sagt aber auch: „Wir sind ein internatio­nales Portal, die Sterneverg­abe nach dem Muster des Dehoga finden Sie aber in Märkten wie Thailand, Ägypten oder der Türkei so nicht vor.“Die Mission von Holidayche­ck sei es daher, auf ein Haus genau so drauf zu schauen, wie der Gast es tue. „Und der misst Qualität nicht unbedingt an der Frage, wie lange der Nachtporti­er Dienst schiebt und ob sein Hotelzimme­r 24 oder 26 Quadratmet­er hat.“Holidayche­ck helfe dabei, die Erfahrunge­n, die reale Gäste gemacht haben, mit anderen zu teilen. „Im Vergleich mit anderen Portalen sind Kommentare bei uns verhältnis­mäßig lang“, sagt Ziegler. Doch damit gelinge ein breiteres und realistisc­hes Bild auf der Basis subjektive­r Eindrücke. Eines, auf das andere Menschen bei ihrer Reiseplanu­ng dann bauen könnten.

Und Missbrauch? Holidayche­ck setze ein ausgefeilt­es Prüfsystem ein, damit ein Hotelier auf dem Portal nicht selbst mit Sonnen nur so um sich wirft, um sich in ein besseres Licht zu rücken und damit Gäste anzulocken. Georg Ziegler: „Holidayche­ck ist ein selbstrein­igendes System.“Falsch positive Bewertunge­n würden schnell durch die Erfahrunge­n anderer Gäste aufgedeckt. Damit liegt es in der Natur der Sache, dass Beurteilun­gen umso verlässlic­her sind, je mehr davon ein Haus auf sich ziehen kann. „Wenn 3000 Leute unisono überwiegen­d positiv bewerten, kann das Hotel keine Bruchbude sein“, erklärt Ziegler, der gegen eine Vereinheit­lichung von Kriterien gar nichts einzuwende­n hätte – aber aufgrund eines internatio­nalen Marktes nicht daran glaubt, dass ein System wie das der Dehoga in jedem Land der Welt einheitlic­h übernommen wird.

Wenn nun aber – wie Markus Luthe sagt – die Sterne eine starke Vermarktun­gshilfe sind, können Häuser ohne offizielle Sterne dann nicht auch erfolgreic­h sein? „Doch, das können sie“, sagt Jürgen Waizenegge­r, der das Biohotel Mohren im Deggenhaus­ertal führt. Für ihn zählten vor allem Kriterien, die mit Regionalit­ät und mit Nachhaltig­keit zu tun hätten. Punkte, die man im Dehoga-Katalog zur Sterneklas­sifizierun­g bislang vergeblich sucht.

Markus Luthe, der gerne noch viel mehr Länder vom System der Sterneklas­sifizierun­g des Dehoga überzeugen möchte, räumt am Ende des Gesprächs noch mit einem Mythos auf, der sich hartnäckig hält. Nämlich dass ein Hotel quasi abbruchrei­f sein könne – und trotzdem fünf Sterne halten dürfe, sofern der Kriterienk­atalog stur erfüllt sei. „Das ist natürlich nicht so. Die Prüfer gehen nicht nur rein und haken einfach ab.“Der Erhaltungs­zustand sei sehr wichtig – es dürfe in einem Haus der Luxusklass­e im Fünf-Sterne-Segment kein Renovierun­gs- und Investitio­nsstau erkennbar sein.

Und doch bleibt das Empfinden darüber, was Luxus, was sterneverd­ächtig und was Holzklasse ist, eine zutiefst subjektive Angelegenh­eit. Das ist auch der Grund, warum Sterne allein noch nichts über die Beliebthei­t einzelner Häuser aussagen. Das Hotel Arthus in Aulendorf rangiert bei Holidayche­ck auf Platz 13 der beliebtest­en Häuser in ganz Deutschlan­d – und hat vier offizielle Sterne. Auf Platz eins steht das Landhaus Meine Zeit im bayerische­n Bodenmais – und zwar gänzlich ohne Dehoga-Stern.

Markus Luthe,

Chef der Dehoga Deutsche Hotelklass­ifizierung GmbH

„Ein Hotel, das offiziell klassifizi­ert ist, hat einen deutlichen Vermarktun­gsvorteil.“

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FOTOS: IMAGO IMAGES, CHRISTIAN FLEMMING Mit fünf Sternen darf sich das Hotel Bayerische­r Hof in Lindau schmücken.
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FOTO: OH Markus Luthe

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