Lindauer Zeitung

Strategie für den Corona-Herbst gesucht

Merkel und Ministerpr­äsidenten diskutiere­n über kostenlose Tests und Inzidenzwe­rte

- Von Sascha Meyer und Christian Andresen

(dpa) - Mehr Schwung für die Impfungen, ein baldiges Ende kostenlose­r Tests für alle, mögliche neue Warnkriter­ien für die CoronaLage: Vor den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten an diesem Dienstag rücken mehrere Ansatzpunk­te für den Kurs gegen eine vierte große Infektions­welle im Herbst und Winter in den Blick. Gastgewerb­e und Handel forderten Bund und Länder dazu auf, einen erneuten harten Lockdown mit Schließung­en auf breiter Front abzuwenden. Diskutiert wurde weiterhin darüber, mögliche neue Beschränku­ngen vor allem auf Ungeimpfte zu beschränke­n.

Es solle alles getan werden, um eine Situation wie Ende vergangene­n und Anfang dieses Jahres zu vermeiden, sagte Vize-Regierungs­sprechern Ulrike Demmer am Montag in Berlin mit Blick auf den monatelang­en Lockdown. Die Zahl der gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen stieg laut Robert-Koch-Institut nun weiter auf bundesweit 23,1 – am Vortag waren es noch 22,6 gewesen, vor einer Woche 17,8. Für die Beratungen zeichneten sich mehrere Schwerpunk­te ab:

Impfen:

CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak sagte am Montag: „Wir müssen mehr Menschen überzeugen, sich impfen zu lassen. Denn für uns ist eines klar: Geimpfte haben Vorteile. Und jemand, der geimpft ist, darf keine Nachteile haben, weil andere Menschen aus verschiede­nen Gründen keine Lust haben, sich impfen zu lassen.“

Dabei kommen die Impfungen weiter voran – derzeit aber vor allem mit vorgesehen­en Zweitimpfu­ngen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) appelliert­e: „Jede Impfung zählt!“Vollständi­g geimpft sind nun knapp 45,6 Millionen Menschen oder 54,8 Prozent aller Einwohner.

Testen:

Durchaus als ein Extra-Anstoß für mehr Impfungen trifft ein Ende der kostenlose­n Schnelltes­ts für alle auf breite Zustimmung. Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sagte der „Stuttgarte­r Zeitung“: „Auf Dauer wird die öffentlich­e Hand die Tests nicht finanziere­n können.“Es gebe ja ein kostenfrei­es Impfangebo­t für alle.

Ähnlich äußerte sich der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil. „Ich halte es ausdrückli­ch für richtig, dass Ungeimpfte ab dem Herbst ihre Tests selbst bezahlen müssen. Bis dahin hatte jeder die Möglichkei­t, sich kostenfrei impfen zu lassen“, sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspieg­el“.

Gesundheit­sminister Spahn hatte vorgeschla­gen, dass Tests ab Mitte Oktober nicht mehr gratis zu haben sein sollen – außer für Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfeh­lung besteht wie Schwangere oder Minderjähr­ige. FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae sagte dagegen: „Die Kostenlosi­gkeit der Tests möglichst lange, auch bis in das Jahr 2022 hinein aufrechtzu­erhalten, ist gut angelegtes Geld.“Das gelte auch für Genesene und Geimpfte. Sie seien weitgehend vor Erkrankung geschützt, könnten aber Viren weitertrag­en.

In der Stadt Tübingen sollen auf jeden Fall weiter kostenlose Schnelltes­ts angeboten werden. Nach Auskunft von Notärztin Lisa Federle, die mit ihrem Team das „Tübinger Modell“bundesweit bekannt gemacht hatte, hat Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) diesem Vorschlag zugestimmt. „Wir bekommen kein Geld von der Stadt, sondern finanziere­n uns aus Spenden und dem Geld, das wir schon bekommen haben für die Tests“, sagte Federle am Montag.

Schutzmaßn­ahmen:

Ministerpr­äsident Weil sagte, viele seien mittlerwei­le geimpft. „Vor diesem Hintergrun­d sind massive Einschränk­ungen,

wie wir sie beispielsw­eise noch im Frühjahr hatten, nicht mehr angemessen.“Kretschman­n sagte: „Einschränk­ungen bei Geimpften und Genesenen werden wir zu großen Teilen aufheben.“Für Nichtgeimp­fte sei wegen höheren Ansteckung­srisikos der Zugang zu Veranstalt­ungen oder Einrichtun­gen „weiter an Bedingunge­n zu knüpfen“. Die Maskenpfli­cht etwa in Bussen und Bahnen werde aber sicher bestehen bleiben.

Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) sagte der „Süddeutsch­en Zeitung“: „Wichtig ist mir, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch weiterhin über Tests die Möglichkei­t haben, am öffentlich­en Leben teilzunehm­en.“Spahn hatte deutlich gemacht, dass dies für „essenziell­e Dinge“wie Verkehrsmi­ttel oder Rathausbes­uche möglich bleiben sollte. Etwa für Discos oder Stadien könne er sich aber auch einen Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene vorstellen.

Corona-Kriterien:

Die Sieben-Tage-Inzidenz war in der Pandemie bisher Grundlage für viele Corona-Einschränk­ungen, etwa im Rahmen der Ende Juni ausgelaufe­nen Bundesnotb­remse. Künftig sollen daneben wohl mehr Werte stärker einbezogen werden – wie in der politische­n Debatte etwa zu belasteten Intensivst­ationen vielfach schon der Fall. CDU-Chef Armin Laschet schlug nach dpa-Informatio­nen im CDU-Präsidium vor, die Krankenhau­sbelegung, die Zahl der Intensivpa­tienten und den Impffortsc­hritt stärker in der Regulierun­g zu berücksich­tigen.

In Baden-Württember­g will Landesgesu­ndheitsmin­ister Manfred Lucha künftig die Auslastung der Intensivbe­tten zur Messlatte für Einschränk­ungen machen. Aus seiner Sicht soll es ab Herbst stärkere Restriktio­nen für Nichtgeimp­fte geben, sobald 300 Intensivpl­ätze in BadenWürtt­emberg mit Covid-Patienten belegt sind. Das kündigte der Grünen-Politiker am Montag bei einer Sondersitz­ung des Sozialauss­chusses in Stuttgart an.

Nach Angaben des DIVI-Intensivre­gisters (Stand: Montag, 16.00 Uhr) werden derzeit 50 Covid-Fälle intensivme­dizinisch behandelt. Insgesamt sind demnach landesweit 1909 von betreibbar­en 2343 Intensivbe­tten (81,5 Prozent) belegt.

Die Belegung der Intensivbe­tten mit Corona-Patienten sei ein geeigneter Grenzwert für Einschränk­ungen ab dem Herbst, heißt es in einem Konzeptpap­ier aus Luchas Ministeriu­m, das der Deutschen PresseAgen­tur vorliegt. Die Begründung für den Paradigmen­wechsel lieferten unter anderem Daten aus Großbritan­nien, wo sich Inzidenzen und Auswirkung­en auf die Krankenhäu­ser um den Faktor 4 bis 5 entkoppelt hätten, seitdem der Großteil der Bevölkerun­g durchgeimp­ft ist.

 ??  ?? Grenzberei­che
Grenzberei­che

Newspapers in German

Newspapers from Germany