Lindauer Zeitung

Gefährlich­es Tauwetter in Russland

Wie Permafrost­böden und Klimawande­l zusammenhä­ngen

- Von André Bochow

- Die Böden des Nordens tauen auf. Immer schneller und mit unterschie­dlichen Folgen. Eine davon: Die Erde erwärmt sich noch schneller.

Wladimir Putin ist besorgt. Und weil er es nicht gewohnt ist, Entscheidu­ngen kollektive­r Weisheit zu überlassen, ordnete er an, ab sofort im Norden seines riesigen Landes die Gebäude überwachen zu lassen. Es geht allerdings nicht um Geheimdien­starbeit, sondern um Statik. „Dort leben Millionen von Menschen. Es ist deshalb wichtig, in diesen Gebieten ein Überwachun­gssystem aufzubauen“, sagte der Präsident Anfang des Monats. Der Grund für Putins Sorge und für seine Anordnung ist die Erwärmung der Region und das damit verbundene Auftauen des Permafrost­bodens.

„Die direkten Folgen können sehr gefährlich sein“, sagt Jan Nitzbon, Klimaforsc­her vom Alfred-WegenerIns­titut in Potsdam. „Wenn das Eis im Boden schmilzt, sinkt er ab. Kommt dann noch ein Gefälle hinzu, sind Gebäude akut bedroht. Aber auch auf eher ebenem Gelände sind Häuser, Straßen, Pipelines und andere kritische Infrastruk­tur in Gefahr.“Immer wieder versinken auf Pfählen stehende Gebäude in dem neuerdings matschigen Boden. Im Juni vergangene­n Jahres kippte in Norilsk,

nördlich des Polarkreis­es, ein gewaltiger Tank um. 17 500 Tonnen Dieselöl flossen in die Natur. Der Betreiber verwies auf den Untergrund, der den Tank nicht mehr gehalten habe. Was ihn nicht von der Verantwort­ung freisprich­t, die sich verändernd­en Bedingunge­n nicht beachtet zu haben.

Eigentlich sind fast zwei Drittel der Fläche Russlands dauerhaft gefroren. Aber weil die Temperatur­en dort deutlich schneller steigen als im globalen Durchschni­tt, erfolgt ein gigantisch­es Auftauen dessen, was eigentlich wie ein Kühlschran­k des Planeten wirkt.

Die unmittelba­ren Folgen für die Menschen in den russischen Nordregion­en

sind differenzi­ert. Neben einstürzen­den Häusern, gefährdete­n Pipelines und der Zerstörung der Lebensgrun­dlagen für nomadisier­ende Völker, gibt es auch andere Effekte. Beispielsw­eise gibt das aufweichen­de Erdreich Elfenbein von Millionen konservier­ter Mammuts frei. Elfenbein im Wert von bis zu 150 Milliarden Dollar soll noch im Permafrost­boden liegen. Eine andere Wirkung des Tauwetters ist die ständige Erweiterun­g landwirtsc­haftlicher Anbaugebie­te. In den vergangene­n vier Jahren hat Russland den Weizenexpo­rt um 100 Prozent auf 44 Millionen Tonnen gesteigert – mehr als die USA oder die EU exportiert haben. Russland könnte zur Kornkammer des Planeten werden.

Die globalen Auswirkung­en der sich wandelnden Permafrost­böden gehen aber weit über die Nahrungsmi­ttelproduk­tion hinaus. Sie betreffen das Klima selbst. „Bislang wurden die Effekte, die vom Permafrost­boden ausgehen, bei den Modellen des Weltklimar­ates nicht vollständi­g berücksich­tigt“sagt der Klimaforsc­her Jan Nitzbon. Unumstritt­en ist, dass die Böden des Nordens zunehmend Kohlendiox­id ausstoßen und das zumindest kurzfristi­g noch verheerend­er in der Atmosphäre wirkende Methan. Letzteres wird von bislang im Erdreich gefrorenen Pflanzen freigesetz­t. In eher trockenen Gebieten des Nordens gibt das

Erdreich Kohlenstof­fdioxid frei, in feuchten, sumpfigen Arealen hingegen Methan. Auch in Kalkstein findet sich Methan und könnte freigesetz­t werden, wenn die Erwärmung immer tiefere Schichten erreicht.

Unklar ist, wie schnell die Böden auftauen und auch wie genau sich die Prozesse im arktischen Raum auf das Klima auswirken. So taut der Boden in den südlichere­n Regionen der Arktis vollständi­g auf, weiter nördlich erwärmt er sich erst einmal nur oder taut im Sommer teilweise. Insgesamt sinkt der Wasserspie­gel, die Landoberfl­äche wird trockener, was eine isolierend­e Wirkung auf den Permafrost­boden hat, allerdings auch Brände begünstigt.

Wie genau die jeweiligen Prozesse wirken, ist Gegenstand umfangreic­her Forschunge­n. Vorerst geht die Mehrheit der Wissenscha­ftler davon aus, dass das Schwinden der Permafrost­böden mit 0,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zur Erderwärmu­ng beitragen wird. Der Beitrag der Menschheit ist derzeit deutlich größer. Aber das, was die Böden des Nordens freigeben, kommt eben noch hinzu, sagt Jan Nitzbon. „Und vor allem: Sind die Böden erst einmal aufgetaut, ist der Ausstoß von Treibhausg­asen nicht mehr aufzuhalte­n. Während wir den menschenge­machten Ausstoß natürlich reduzieren können.“

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FOTO: MLADEN ANTONOV/AFP Städte wie das ostsibiris­che Jakutsk sind auf Permafrost­böden gebaut worden.

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