Gefährliches Tauwetter in Russland
Wie Permafrostböden und Klimawandel zusammenhängen
- Die Böden des Nordens tauen auf. Immer schneller und mit unterschiedlichen Folgen. Eine davon: Die Erde erwärmt sich noch schneller.
Wladimir Putin ist besorgt. Und weil er es nicht gewohnt ist, Entscheidungen kollektiver Weisheit zu überlassen, ordnete er an, ab sofort im Norden seines riesigen Landes die Gebäude überwachen zu lassen. Es geht allerdings nicht um Geheimdienstarbeit, sondern um Statik. „Dort leben Millionen von Menschen. Es ist deshalb wichtig, in diesen Gebieten ein Überwachungssystem aufzubauen“, sagte der Präsident Anfang des Monats. Der Grund für Putins Sorge und für seine Anordnung ist die Erwärmung der Region und das damit verbundene Auftauen des Permafrostbodens.
„Die direkten Folgen können sehr gefährlich sein“, sagt Jan Nitzbon, Klimaforscher vom Alfred-WegenerInstitut in Potsdam. „Wenn das Eis im Boden schmilzt, sinkt er ab. Kommt dann noch ein Gefälle hinzu, sind Gebäude akut bedroht. Aber auch auf eher ebenem Gelände sind Häuser, Straßen, Pipelines und andere kritische Infrastruktur in Gefahr.“Immer wieder versinken auf Pfählen stehende Gebäude in dem neuerdings matschigen Boden. Im Juni vergangenen Jahres kippte in Norilsk,
nördlich des Polarkreises, ein gewaltiger Tank um. 17 500 Tonnen Dieselöl flossen in die Natur. Der Betreiber verwies auf den Untergrund, der den Tank nicht mehr gehalten habe. Was ihn nicht von der Verantwortung freispricht, die sich verändernden Bedingungen nicht beachtet zu haben.
Eigentlich sind fast zwei Drittel der Fläche Russlands dauerhaft gefroren. Aber weil die Temperaturen dort deutlich schneller steigen als im globalen Durchschnitt, erfolgt ein gigantisches Auftauen dessen, was eigentlich wie ein Kühlschrank des Planeten wirkt.
Die unmittelbaren Folgen für die Menschen in den russischen Nordregionen
sind differenziert. Neben einstürzenden Häusern, gefährdeten Pipelines und der Zerstörung der Lebensgrundlagen für nomadisierende Völker, gibt es auch andere Effekte. Beispielsweise gibt das aufweichende Erdreich Elfenbein von Millionen konservierter Mammuts frei. Elfenbein im Wert von bis zu 150 Milliarden Dollar soll noch im Permafrostboden liegen. Eine andere Wirkung des Tauwetters ist die ständige Erweiterung landwirtschaftlicher Anbaugebiete. In den vergangenen vier Jahren hat Russland den Weizenexport um 100 Prozent auf 44 Millionen Tonnen gesteigert – mehr als die USA oder die EU exportiert haben. Russland könnte zur Kornkammer des Planeten werden.
Die globalen Auswirkungen der sich wandelnden Permafrostböden gehen aber weit über die Nahrungsmittelproduktion hinaus. Sie betreffen das Klima selbst. „Bislang wurden die Effekte, die vom Permafrostboden ausgehen, bei den Modellen des Weltklimarates nicht vollständig berücksichtigt“sagt der Klimaforscher Jan Nitzbon. Unumstritten ist, dass die Böden des Nordens zunehmend Kohlendioxid ausstoßen und das zumindest kurzfristig noch verheerender in der Atmosphäre wirkende Methan. Letzteres wird von bislang im Erdreich gefrorenen Pflanzen freigesetzt. In eher trockenen Gebieten des Nordens gibt das
Erdreich Kohlenstoffdioxid frei, in feuchten, sumpfigen Arealen hingegen Methan. Auch in Kalkstein findet sich Methan und könnte freigesetzt werden, wenn die Erwärmung immer tiefere Schichten erreicht.
Unklar ist, wie schnell die Böden auftauen und auch wie genau sich die Prozesse im arktischen Raum auf das Klima auswirken. So taut der Boden in den südlicheren Regionen der Arktis vollständig auf, weiter nördlich erwärmt er sich erst einmal nur oder taut im Sommer teilweise. Insgesamt sinkt der Wasserspiegel, die Landoberfläche wird trockener, was eine isolierende Wirkung auf den Permafrostboden hat, allerdings auch Brände begünstigt.
Wie genau die jeweiligen Prozesse wirken, ist Gegenstand umfangreicher Forschungen. Vorerst geht die Mehrheit der Wissenschaftler davon aus, dass das Schwinden der Permafrostböden mit 0,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zur Erderwärmung beitragen wird. Der Beitrag der Menschheit ist derzeit deutlich größer. Aber das, was die Böden des Nordens freigeben, kommt eben noch hinzu, sagt Jan Nitzbon. „Und vor allem: Sind die Böden erst einmal aufgetaut, ist der Ausstoß von Treibhausgasen nicht mehr aufzuhalten. Während wir den menschengemachten Ausstoß natürlich reduzieren können.“