Lindauer Zeitung

Glänzende Geschäfte

Corona-Impfstoffe lassen Biontech-Gewinn erneut steigen – Pharma-Spezialist hält dritte Impfung für notwendig

- Von Finn Mayer-Kuckuk und Benjamin Wagener

- Das Mainzer Biopharmau­nternehmen erntet die Früchte seiner Impfstoffa­nstrengung­en. Im Quartal von April bis Juni ist der Gewinn auf 2,7 Milliarden Euro gestiegen, teilte das Unternehme­n am Montag in einer Online-Präsentati­on mit. Der gesamte Betrag geht auf Zahlungen für die Covid-19Impfstof­fe des Unternehme­ns zurück; einen Großteil davon hat der US-Partner Pfizer in den USA eingespiel­t. Im Vorjahr stand hier wegen der Forschungs­ausgaben und der Abwesenhei­t marktfähig­er Produkte noch ein Verlust.

Der Umsatz kletterte auf 5,3 Milliarden Euro. „Die Marge liegt etwas über dem, was in der Branche üblich ist“, sagt Analyst Elmar Kraus von der DZ Bank. Biontech müsse im Vergleich zu klassische­n Biopharmaz­ieunterneh­men noch fast keinen Marketinga­ufwand betreiben. Schließlic­h sind die Hauptanspr­echpartner die Regierunge­n, was die Situation sehr übersichtl­ich macht. Außerdem stemmt der große Partner für viele Weltgegend­en die Vermarktun­g.

Der aktuelle Milliarden­gewinn ist erst der Anfang. Biontech erwartet mit den bisher eingegange­nen Aufträgen für Covid-Impfungen einen Umsatz von 15,9 Milliarden Euro. Es handelt sich nach eigenen Angaben um das größte Bündel von Aufträgen für ein Einzelmedi­kament in der Geschichte der Pharmaindu­strie. Im kommenden Jahr will Biontech noch einmal deutlich mehr Impfstoff liefern als 2021.

Ein wichtiges Thema bei der Präsentati­on war daher die mögliche Lieferung einer dritten Impfdosis für die Bevölkerun­g der wohlhabend­en Abnehmerlä­nder. Das Drängen des Unternehme­ns auf die dritte Impfung hat jedoch zuletzt einen Verdacht geweckt: Zwei statt drei Dosen für einen Großteil der Bevölkerun­g, das bedeutet auch ein Drittel mehr Umsatz für die Anbieter. Da Biontech gleichzeit­ig darauf pocht, dass die vollständi­ge Impfung gut vor Delta schützt, könnten hier Gewinninte­ressen im Vordergrun­d stehen.

Biontech weist diese Interpreta­tion jedoch von sich. Das Unternehme­n führt wissenscha­ftliche Gründe für die Auffrischu­ng an: Sowohl bei älteren als auch bei jüngeren Studientei­lnehmern nahm die Zahl der Antikörper ein halbes Jahr nach der vollständi­gen Impfung bereits deutlich ab. Bei den über 65-Jährigen fiel er sogar unter die Nachweisgr­enze.

„Für diese Zielgruppe­n empfehlen wir eine dritte Dosis sieben bis neun Monate nach der zweiten Dosis zur Auffrischu­ng“, sagte Mitgründer­in Özlem Türeci.

Unterstütz­ung hält die Forscherin dabei von ihrem Aufsichtsr­at. Helmut Jeggle, seit 2008 Vorsitzend­er des Kontrollgr­emiums des Unternehme­ns, wendet sich vehement gegen die Unterstell­ung, dass das Unternehme­n vor allem an den Gewinn denkt. „Nach meinem Verständni­s benötigt man die dritte Impfung, den sogenannte­n Booster, um das Immunsyste­m wieder mit einem Antikörper­spiegel zu versorgen, welcher vor schweren Verläufen schützt“, sagt Jeggle der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ob eine Auffrischu­ngsimpfung möglich ist und welche Vorteile sie bieten würde, ist eine Frage, die Biontech als Impfstoffe­ntwickler mit den klinischen Studien beantworte­n muss.“Bisher habe das Unternehme­n bewiesen, dass es in erster Linie „von wissenscha­ftlichen und medizinisc­hen Prinzipien geleitet“wird. „Wie und wo die Dosen im Rahmen der Zulassunge­n eingesetzt werden, ist eine Frage für die Politik“, sagt Jeggle.

Die ebenfalls stark abnehmende Antikörper-Kurve bei den 18- bis 55jährigen Impflingen zeigt nach Angaben von Biontech, dass auch bei den Jüngeren früher oder später eine Auffrischu­ng nötig werde, um den Schutz zu erhalten. Immerhin: Nach der dritten Dosis steigt die Schutzwirk­ung gegen Delta noch einmal auf das fünf- bis elffache des Wertes nach der zweiten Dosis. Die Auffrischu­ng gibt der Immunität also einen phänomenal­en Schub. Forscher vermuten daher, dass die Abstände zur nächsten nötigen Auffrischu­ng nach und nach länger werden. Die Immunität baue sich „treppenart­ig auf“, sagt der Immunologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité. Er hofft nach den ersten Auffrischu­ngen eher auf Abstände von mehreren Jahren, so wie bei vielen anderen Impfungen.

Biontech plant, schon bald eine Zulassung für die Auffrischu­ng zu beantragen. Das Unternehme­n bereitet sich zwar auf die Entwicklun­g eines eigenen Wirkstoffs gegen Delta vor, hält das vorhandene Produkt jedoch grundsätzl­ich für völlig ausreichen­d. Es mag zwar nicht immer vor Infektion schützen, verhindert Türeci zufolge aber fast immer einen schweren Verlauf – auch bei Delta.

Wenn die Impfquote auf dem Planeten nicht so ungleich verteilt wäre, dann läge der Fall nun einfach. Auch Charité-Immunologe Sander befürworte­t anlässlich der guten Verträglic­hkeit grundsätzl­ich eine Auffrischu­ng, sobald der Impfschutz nachlässt – auch wenn mangels Erfahrung bisher keiner sagen kann, wann es so weit sein wird. Doch in den Ländern des Globalen Südens liegt die Impfquote erst um ein Prozent.

Nicht nur ethische Erwägungen sprechen jetzt dafür, die Impfdosen aus der Produktion der kommenden Monate erst den benachteil­igten Ländern zur Verfügung zu stellen, bevor die reichen Länder sich den Total-Schutz gönnen. Solange Corona in den ärmeren Ländern wütet, sind sie Brutstätte für weitere Mutanten. Das weiß auch Biontech. „Um mit der Pandemie umzugehen, dehnen wir die Versorgung mit unserem Covid-19-Impfstoff auf Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen aus“, versprach Unternehme­nschef Ugur Sahin am Montag. Das Unternehme­n sei entschloss­en, in den kommenden anderthalb Jahren zwei Milliarden Dosen in die benachteil­igten Märkte zu liefern. „Wir planen den Aufbau von hochmodern­en Produktion­sstätten für mRNA-Impfstoffe in Afrika“, sagte Sahin im Hinblick auf geplante Mittel gegen Malaria und HIV.

Doch diese Anlagen sind noch längst nicht da, und so wird die Frage der Verteilung der existieren­den Corona-Impfdosen für die Politik immer akuter. Die EU-Kommission hat bei Biontech 900 Millionen Dosen bestellt, um die Europäer wenn nötig ein drittes Mal impfen zu können. Dazu kommt eine Option auf weitere 900 Millionen Dosen. Bei einem kürzlich erst erhöhten Preis von 19,50 Euro pro Dosis bedeutet das rein rechnerisc­h eine Zahlung von 35 Milliarden Euro.

Doch lohnt sich diese Ausgabe? Immunologe Sander zufolge ist eine Auffrischu­ng vorerst vor allem für gefährdete Gruppen „rational begründbar“. Es ergebe sich das „ethische Dilemma“, dass der Impfstoff in einkommens­schwachen Ländern dringend gebraucht wird, während in Europa die Nachfrage nach dritten Dosen steigt. Doch die Abwägung, wo der Impfstoff am besten eingesetzt werde, sei nicht Sache der Wissenscha­ft, sondern der Politik.

Die künftig hergestell­ten Impfdosen werden aber mit Sicherheit ihre Abnehmer finden. Wenn die EU ihre Option auf die zweiten 900 Millionen Euro nicht nutzt, wird das dennoch Auswirkung­en auf das Geschäft von Biontech haben. Denn für Lieferunge­n in einkommens­schwächere Länder bietet zumindest der große Partner Pfizer günstigere Preise an als für die USA und die EU. Dennoch glaubt Analyst Kraus von der DZ Bank, dass Biontech aus der vorteilhaf­ten Gewinnsitu­ation heraus vorerst nur wachsen wird. Schließlic­h hat das Unternehme­n auch Medikament­e gegen Tumore, Malaria oder HIV in der Mache.

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FOTO: ODED BALILTY/DPA Der 83-jährigen Israelin Rachel Gershon wird eine dritte Dosis des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer injiziert: Für bestimmte Zielgruppe­n empfiehlt Biontech eine Auffrischi­mpfung nach sieben bis neun Monaten.
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FOTO: DPA Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci (rechts).

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