Glänzende Geschäfte
Corona-Impfstoffe lassen Biontech-Gewinn erneut steigen – Pharma-Spezialist hält dritte Impfung für notwendig
- Das Mainzer Biopharmaunternehmen erntet die Früchte seiner Impfstoffanstrengungen. Im Quartal von April bis Juni ist der Gewinn auf 2,7 Milliarden Euro gestiegen, teilte das Unternehmen am Montag in einer Online-Präsentation mit. Der gesamte Betrag geht auf Zahlungen für die Covid-19Impfstoffe des Unternehmens zurück; einen Großteil davon hat der US-Partner Pfizer in den USA eingespielt. Im Vorjahr stand hier wegen der Forschungsausgaben und der Abwesenheit marktfähiger Produkte noch ein Verlust.
Der Umsatz kletterte auf 5,3 Milliarden Euro. „Die Marge liegt etwas über dem, was in der Branche üblich ist“, sagt Analyst Elmar Kraus von der DZ Bank. Biontech müsse im Vergleich zu klassischen Biopharmazieunternehmen noch fast keinen Marketingaufwand betreiben. Schließlich sind die Hauptansprechpartner die Regierungen, was die Situation sehr übersichtlich macht. Außerdem stemmt der große Partner für viele Weltgegenden die Vermarktung.
Der aktuelle Milliardengewinn ist erst der Anfang. Biontech erwartet mit den bisher eingegangenen Aufträgen für Covid-Impfungen einen Umsatz von 15,9 Milliarden Euro. Es handelt sich nach eigenen Angaben um das größte Bündel von Aufträgen für ein Einzelmedikament in der Geschichte der Pharmaindustrie. Im kommenden Jahr will Biontech noch einmal deutlich mehr Impfstoff liefern als 2021.
Ein wichtiges Thema bei der Präsentation war daher die mögliche Lieferung einer dritten Impfdosis für die Bevölkerung der wohlhabenden Abnehmerländer. Das Drängen des Unternehmens auf die dritte Impfung hat jedoch zuletzt einen Verdacht geweckt: Zwei statt drei Dosen für einen Großteil der Bevölkerung, das bedeutet auch ein Drittel mehr Umsatz für die Anbieter. Da Biontech gleichzeitig darauf pocht, dass die vollständige Impfung gut vor Delta schützt, könnten hier Gewinninteressen im Vordergrund stehen.
Biontech weist diese Interpretation jedoch von sich. Das Unternehmen führt wissenschaftliche Gründe für die Auffrischung an: Sowohl bei älteren als auch bei jüngeren Studienteilnehmern nahm die Zahl der Antikörper ein halbes Jahr nach der vollständigen Impfung bereits deutlich ab. Bei den über 65-Jährigen fiel er sogar unter die Nachweisgrenze.
„Für diese Zielgruppen empfehlen wir eine dritte Dosis sieben bis neun Monate nach der zweiten Dosis zur Auffrischung“, sagte Mitgründerin Özlem Türeci.
Unterstützung hält die Forscherin dabei von ihrem Aufsichtsrat. Helmut Jeggle, seit 2008 Vorsitzender des Kontrollgremiums des Unternehmens, wendet sich vehement gegen die Unterstellung, dass das Unternehmen vor allem an den Gewinn denkt. „Nach meinem Verständnis benötigt man die dritte Impfung, den sogenannten Booster, um das Immunsystem wieder mit einem Antikörperspiegel zu versorgen, welcher vor schweren Verläufen schützt“, sagt Jeggle der „Schwäbischen Zeitung“. „Ob eine Auffrischungsimpfung möglich ist und welche Vorteile sie bieten würde, ist eine Frage, die Biontech als Impfstoffentwickler mit den klinischen Studien beantworten muss.“Bisher habe das Unternehmen bewiesen, dass es in erster Linie „von wissenschaftlichen und medizinischen Prinzipien geleitet“wird. „Wie und wo die Dosen im Rahmen der Zulassungen eingesetzt werden, ist eine Frage für die Politik“, sagt Jeggle.
Die ebenfalls stark abnehmende Antikörper-Kurve bei den 18- bis 55jährigen Impflingen zeigt nach Angaben von Biontech, dass auch bei den Jüngeren früher oder später eine Auffrischung nötig werde, um den Schutz zu erhalten. Immerhin: Nach der dritten Dosis steigt die Schutzwirkung gegen Delta noch einmal auf das fünf- bis elffache des Wertes nach der zweiten Dosis. Die Auffrischung gibt der Immunität also einen phänomenalen Schub. Forscher vermuten daher, dass die Abstände zur nächsten nötigen Auffrischung nach und nach länger werden. Die Immunität baue sich „treppenartig auf“, sagt der Immunologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité. Er hofft nach den ersten Auffrischungen eher auf Abstände von mehreren Jahren, so wie bei vielen anderen Impfungen.
Biontech plant, schon bald eine Zulassung für die Auffrischung zu beantragen. Das Unternehmen bereitet sich zwar auf die Entwicklung eines eigenen Wirkstoffs gegen Delta vor, hält das vorhandene Produkt jedoch grundsätzlich für völlig ausreichend. Es mag zwar nicht immer vor Infektion schützen, verhindert Türeci zufolge aber fast immer einen schweren Verlauf – auch bei Delta.
Wenn die Impfquote auf dem Planeten nicht so ungleich verteilt wäre, dann läge der Fall nun einfach. Auch Charité-Immunologe Sander befürwortet anlässlich der guten Verträglichkeit grundsätzlich eine Auffrischung, sobald der Impfschutz nachlässt – auch wenn mangels Erfahrung bisher keiner sagen kann, wann es so weit sein wird. Doch in den Ländern des Globalen Südens liegt die Impfquote erst um ein Prozent.
Nicht nur ethische Erwägungen sprechen jetzt dafür, die Impfdosen aus der Produktion der kommenden Monate erst den benachteiligten Ländern zur Verfügung zu stellen, bevor die reichen Länder sich den Total-Schutz gönnen. Solange Corona in den ärmeren Ländern wütet, sind sie Brutstätte für weitere Mutanten. Das weiß auch Biontech. „Um mit der Pandemie umzugehen, dehnen wir die Versorgung mit unserem Covid-19-Impfstoff auf Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen aus“, versprach Unternehmenschef Ugur Sahin am Montag. Das Unternehmen sei entschlossen, in den kommenden anderthalb Jahren zwei Milliarden Dosen in die benachteiligten Märkte zu liefern. „Wir planen den Aufbau von hochmodernen Produktionsstätten für mRNA-Impfstoffe in Afrika“, sagte Sahin im Hinblick auf geplante Mittel gegen Malaria und HIV.
Doch diese Anlagen sind noch längst nicht da, und so wird die Frage der Verteilung der existierenden Corona-Impfdosen für die Politik immer akuter. Die EU-Kommission hat bei Biontech 900 Millionen Dosen bestellt, um die Europäer wenn nötig ein drittes Mal impfen zu können. Dazu kommt eine Option auf weitere 900 Millionen Dosen. Bei einem kürzlich erst erhöhten Preis von 19,50 Euro pro Dosis bedeutet das rein rechnerisch eine Zahlung von 35 Milliarden Euro.
Doch lohnt sich diese Ausgabe? Immunologe Sander zufolge ist eine Auffrischung vorerst vor allem für gefährdete Gruppen „rational begründbar“. Es ergebe sich das „ethische Dilemma“, dass der Impfstoff in einkommensschwachen Ländern dringend gebraucht wird, während in Europa die Nachfrage nach dritten Dosen steigt. Doch die Abwägung, wo der Impfstoff am besten eingesetzt werde, sei nicht Sache der Wissenschaft, sondern der Politik.
Die künftig hergestellten Impfdosen werden aber mit Sicherheit ihre Abnehmer finden. Wenn die EU ihre Option auf die zweiten 900 Millionen Euro nicht nutzt, wird das dennoch Auswirkungen auf das Geschäft von Biontech haben. Denn für Lieferungen in einkommensschwächere Länder bietet zumindest der große Partner Pfizer günstigere Preise an als für die USA und die EU. Dennoch glaubt Analyst Kraus von der DZ Bank, dass Biontech aus der vorteilhaften Gewinnsituation heraus vorerst nur wachsen wird. Schließlich hat das Unternehmen auch Medikamente gegen Tumore, Malaria oder HIV in der Mache.