Der Himmel gehört den Träumern
Heute vor 125 Jahren starb der Flugpionier Otto Lilienthal bei einem Absturz
(KNA) - Er flog sich in die Geschichte der Luftfahrt, in die Herzen flugbegeisterter Menschen und in die Musik. Am Ende flog er in den Tod. Am 10. August 1896 starb der deutsche Luftfahrtpionier Otto Lilienthal. Er war bei einem seiner Flugversuche aus rund 15 Metern Höhe abgestürzt. Seine Forschungen bildeten die Grundlage für den Bau moderner Flugzeuge. Viele seiner Erkenntnisse haben bis heute Gültigkeit.
Verblichen sind sie und ein bisschen unscharf. Und doch sind sie eine Sensation, die Fotos von Carl Kassner auf Kollodium- oder Albuminpapier. Der Berliner Meteorologe war der erste Mensch, der einen fliegenden Menschen fotografierte: Karl Wilhelm Otto Lilienthal – in einer Zeit, als auch die Fotografie noch in Kinderschuhen steckte.
Fast 20 Jahre lang beobachtete Lilienthal zuvor Vögel und studierte akribisch ihren Flug. Die Wölbung der Flügel hatten andere vor ihm beobachtet, er jedoch untermauerte die Beobachtungen mit Daten: Die Luftbewegung unter den Vögeln ist langsamer als über ihnen. Damit entsteht Auftrieb – eine entscheidende Erkenntnis und die theoretische Grundlage, auf der Lilienthal seine Experimente aufbaute.
Ein Dilemma erkannte Lilienthal früh. Man könne das Fliegen nur lernen, wenn man es übe. Es zu üben, „ohne den Hals zu brechen“, das gelinge aber nur, „wenn man das Fliegen versteht“. Er löste das Problem mit einer Formel, die als „vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug“überliefert ist: Zunächst übte er stehend gegen den Wind, dann mit Sprüngen von einem Sprungbrett in seinem Garten, bevor er sich an den ersten Abhang wagte – und rund 20 Meter durch die Luft glitt.
Mehr als 2000 Flugversuche absolvierte Lilienthal. Auf bis zu 250 Meter und Geschwindigkeiten von bis zu 50 Stundenkilometern brachte er es bis zu jenem 9. August 1896. In Flanellhemd und an den Knien gepolsterten Knickerbocker steigt Lilienthal einmal mehr auf den 110 Meter hohen Gollenberg im Havelland, den er seit ein paar Jahren für seine Erprobungsflüge nutzt. Einmal mehr hat er seinen „Normalsegelapparat“dabei, den von ihm entwickelten Gleitflieger aus stoffbespanntem Weidenholz mit einer Spannweite von 6,70 Metern. Der Gleiter fasziniert Wissenschaftler als erstes seriell produziertes Flugzeug bis heute.
Lilienthals Flieger ist perfekt, aber er unterschätzte das Wetter an diesem sonnigen Sommersonntag.
Warmluft steigt am Hang auf, den Flieger erfasst eine Sommerbö. Der Gleiter gerät ins Trudeln und schlägt beinahe senkrecht auf dem Boden auf. „Ich muss mich nur etwas ausruhen, dann machen wir weiter“, soll Lilienthal nach dem Aufprall gesagt haben. Doch beim Transport in die Berliner Universitätsklinik fällt er ins Koma und stirbt am folgenden Tag.
In manchem war Lilienthal seiner Zeit voraus. Als Arbeitgeber etwa setzte er in seiner Fabrik für Dampfkessel in Berlin bereits 1890 auf eine Gewinnbeteiligung für seine Arbeiter. Das Berliner Ostend-Theater unterstützte er als Mäzen und wandelte es in eine Volksbühne um, weil sich ein jeder Arbeiter den Theaterbesuch leisten können müsse.
Fliegen, das war für Lilienthal auch ein Sich-Beweisen. „Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n, Dir ewig den Flug zu versagen!“, lässt er den Storch in seiner Abhandlung „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“sagen. In der Eroberung der Lüfte lag für ihn der Weg zu grenzenlosem Frieden. „Das zwingende Bedürfnis, die Streitigkeiten der Nationen auf andere Weise zu schlichten als den blutigen Kämpfen um die imaginär gewordenen Grenzen, würde uns den ewigen Frieden verschaffen“, lauten seine berühmt gewordenen Worte.
Weniger bekannt sind die Worte, mit denen Lilienthal sein nie aufgeführtes Bühnenstück „Moderne Raubritter – Bilder aus dem Berliner Leben“enden ließ: „Als ich vorhin hier unten über’n Hof komme, da stürzt von hier oben vier Treppen hoch wat aus das Flurfenster. Und als ich nu genauer hinsehe, da is et mein Freund Wilhelm Krüger. Ich aber dachte: Den Bengel darfst Du doch nicht fallen lassen! Und da hab’ ich ihn uffgefangen.“Ein ähnliches Happy End blieb dem Autor verwehrt.