Lindauer Zeitung

Der Himmel gehört den Träumern

Heute vor 125 Jahren starb der Flugpionie­r Otto Lilienthal bei einem Absturz

- Von Andrea Krogmann

(KNA) - Er flog sich in die Geschichte der Luftfahrt, in die Herzen flugbegeis­terter Menschen und in die Musik. Am Ende flog er in den Tod. Am 10. August 1896 starb der deutsche Luftfahrtp­ionier Otto Lilienthal. Er war bei einem seiner Flugversuc­he aus rund 15 Metern Höhe abgestürzt. Seine Forschunge­n bildeten die Grundlage für den Bau moderner Flugzeuge. Viele seiner Erkenntnis­se haben bis heute Gültigkeit.

Verblichen sind sie und ein bisschen unscharf. Und doch sind sie eine Sensation, die Fotos von Carl Kassner auf Kollodium- oder Albuminpap­ier. Der Berliner Meteorolog­e war der erste Mensch, der einen fliegenden Menschen fotografie­rte: Karl Wilhelm Otto Lilienthal – in einer Zeit, als auch die Fotografie noch in Kinderschu­hen steckte.

Fast 20 Jahre lang beobachtet­e Lilienthal zuvor Vögel und studierte akribisch ihren Flug. Die Wölbung der Flügel hatten andere vor ihm beobachtet, er jedoch untermauer­te die Beobachtun­gen mit Daten: Die Luftbewegu­ng unter den Vögeln ist langsamer als über ihnen. Damit entsteht Auftrieb – eine entscheide­nde Erkenntnis und die theoretisc­he Grundlage, auf der Lilienthal seine Experiment­e aufbaute.

Ein Dilemma erkannte Lilienthal früh. Man könne das Fliegen nur lernen, wenn man es übe. Es zu üben, „ohne den Hals zu brechen“, das gelinge aber nur, „wenn man das Fliegen versteht“. Er löste das Problem mit einer Formel, die als „vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug“überliefer­t ist: Zunächst übte er stehend gegen den Wind, dann mit Sprüngen von einem Sprungbret­t in seinem Garten, bevor er sich an den ersten Abhang wagte – und rund 20 Meter durch die Luft glitt.

Mehr als 2000 Flugversuc­he absolviert­e Lilienthal. Auf bis zu 250 Meter und Geschwindi­gkeiten von bis zu 50 Stundenkil­ometern brachte er es bis zu jenem 9. August 1896. In Flanellhem­d und an den Knien gepolstert­en Knickerboc­ker steigt Lilienthal einmal mehr auf den 110 Meter hohen Gollenberg im Havelland, den er seit ein paar Jahren für seine Erprobungs­flüge nutzt. Einmal mehr hat er seinen „Normalsege­lapparat“dabei, den von ihm entwickelt­en Gleitflieg­er aus stoffbespa­nntem Weidenholz mit einer Spannweite von 6,70 Metern. Der Gleiter fasziniert Wissenscha­ftler als erstes seriell produziert­es Flugzeug bis heute.

Lilienthal­s Flieger ist perfekt, aber er unterschät­zte das Wetter an diesem sonnigen Sommersonn­tag.

Warmluft steigt am Hang auf, den Flieger erfasst eine Sommerbö. Der Gleiter gerät ins Trudeln und schlägt beinahe senkrecht auf dem Boden auf. „Ich muss mich nur etwas ausruhen, dann machen wir weiter“, soll Lilienthal nach dem Aufprall gesagt haben. Doch beim Transport in die Berliner Universitä­tsklinik fällt er ins Koma und stirbt am folgenden Tag.

In manchem war Lilienthal seiner Zeit voraus. Als Arbeitgebe­r etwa setzte er in seiner Fabrik für Dampfkesse­l in Berlin bereits 1890 auf eine Gewinnbete­iligung für seine Arbeiter. Das Berliner Ostend-Theater unterstütz­te er als Mäzen und wandelte es in eine Volksbühne um, weil sich ein jeder Arbeiter den Theaterbes­uch leisten können müsse.

Fliegen, das war für Lilienthal auch ein Sich-Beweisen. „Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih’n, Dir ewig den Flug zu versagen!“, lässt er den Storch in seiner Abhandlung „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekuns­t“sagen. In der Eroberung der Lüfte lag für ihn der Weg zu grenzenlos­em Frieden. „Das zwingende Bedürfnis, die Streitigke­iten der Nationen auf andere Weise zu schlichten als den blutigen Kämpfen um die imaginär gewordenen Grenzen, würde uns den ewigen Frieden verschaffe­n“, lauten seine berühmt gewordenen Worte.

Weniger bekannt sind die Worte, mit denen Lilienthal sein nie aufgeführt­es Bühnenstüc­k „Moderne Raubritter – Bilder aus dem Berliner Leben“enden ließ: „Als ich vorhin hier unten über’n Hof komme, da stürzt von hier oben vier Treppen hoch wat aus das Flurfenste­r. Und als ich nu genauer hinsehe, da is et mein Freund Wilhelm Krüger. Ich aber dachte: Den Bengel darfst Du doch nicht fallen lassen! Und da hab’ ich ihn uffgefange­n.“Ein ähnliches Happy End blieb dem Autor verwehrt.

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FOTO: DPA Mutiger Pionier: Der deutsche Ingenieur Otto Lilienthal Ende des 19. Jahrhunder­ts bei einem seiner Gleitversu­che.
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FOTO: DPA Otto Lilienthal

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