Schicht im Schacht
Hofmannsthals selten gespieltes Stück „Das Bergwerk zu Falun“in Salzburg – Jossi Wielers Inszenierung schwankt zwischen Unterkühlung und grandiosem Schauspiel
- Heute zählen die Förderschächte im schwedischen Falun zum Weltkulturerbe der Unesco. Zu Lebzeiten des Mitbegründers der Salzburger Festspiele und Autors des Dauerrenners „Jedermann“wurde dort noch Kupfer gefördert. Dass Hugo von Hofmannsthals frühe Tragödie in Schweden spielt, hat mit einer Legende zu tun, in der ein Bergmann kurz vor seiner Hochzeit in einem der Falun-Stollen verschwindet. Jahrzehnte später, so die Erzählung, habe man den konservierten Leichnam des Mannes wiedergefunden. Er soll so jung ausgesehen haben wie am Hochzeitstag, der nie stattgefunden hatte. Hofmannsthal drechselte daraus ein nihilistisch anmutendes Gedankendrama, das jetzt zum 100. Geburtstag der Salzburger Festspiele genauso ausgegraben wurde wie ehedem der Bergmann.
Inszeniert hat Jossi Wieler, ein der Musikalität von Sprache verpflichteter Regisseur, der auch als Opernregisseur zu den Großen seiner Zunft zählt. Er traf auf einen Text, der poetisch-philosophische Töne anschlägt, den hohen Ton inhaltlich aber nicht einhalten kann. Am Ende wälzt Hofmannsthal immer nur die Frage, warum das mit dem Sterben ein so schwieriges Unterfangen ist.
„Das Bergwerk zu Falun“könnte ein lebensweltliches Pendant zum allegorischen Mysterienspiel „Jedermann“sein. Der reiche Mann, der dem Tod von der Schippe springen möchte, ist in diesem Fall ein Seemann, der in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort jedem klarmacht: Ich bin ein Grübler mit Hang zum „finsteren Hinträumen“. Elis mag die Menschen nicht und die wiederum haben eine gewisse Scheu vor dem finsteren Menschen. Irgendwann sinkt Elis dann einfach weg ins Erdreich und verschwindet in der Unterwelt der Bergwerke. Ein Seemann ist angelangt, wo er auf keinen Fall hingehört, und trifft dort auf eine Bergkönigin. Aber auch in den Dialogen mit der allegorischen Figur geht es immer nur um die Frage: „Sinnst du auf meinen Tod? Du? Du?“
Dabei findet der Matrose unter Tage die Liebe seines Lebens. Oben, an der frischen schwedischen Luft, war es Anna, die Tochter des Bergwerkbesitzers. Zu ihr fühlte Elis sich hingezogen, wirklich begehren konnte er sie nicht. Unter Tage erscheint ihm der Knabe Agmahd, der auf hoher See ein Opfer der Wellen wurde und für den Elis wohl tatsächlich etwas empfand. Dass schon der 25-jährige Hofmannsthal eine auf die Psychoanalyse verweisende Handlungsstruktur entwirft, in der der Protagonist im „Es“seinem verschütteten Begehren begegnet, verleitete Exegeten zu der Frage, wer da wen inspiriert habe: Freud den Hofmannsthal oder vielleicht doch umgekehrt?
Zuerst ist da allerdings Muriel Gerstners mit unzähligen Betonziegeln übersäte Bühne. Eine Trümmerlandschaft, in der das Salzburger Bergwerk-Ensemble umstandslos mit dem Wiederaufbau beginnt. Man denkt unwillkürlich an die Flutkatastrophe und die Ruinendörfer an der Ahr. Das immerwährende Sortieren und Aufräumen bringt Bewegung in eine Inszenierung, der Jossi Wieler den wohl einzig möglichem Impuls gab. Man lauscht einer Sprechoper und wird wach, wenn André Jung den Text eines untoten Wiedergängers aller verschütteten Bergmänner spricht, als gelte es, schwülstige Tonlagen
zu vermeiden. Dasselbe gilt für Silvana Krappatsch, die als Bergkönigin und Über-Ich des Elis eisige Klarheit ausstrahlt.
Jossie Wieler findet immer wieder frappierende Bilder für das Problem eines Mannes, der sein homoerotisches Begehren tabuisiert und andere Menschen wie willfähriges Material behandelt. Die Tendenz der Inszenierung zur Unterkühlung hat aber zur Folge, dass immer dann Pathos-Verdacht aufkommt, wenn eine so grandiose Schauspielerin wie Hildegard Schmal tatsächlich spielen möchte, ihr aber kein anderes Stimm-Instrument als vibrierendes Leid bleibt.
Es ist wie in Goethes „Faust“. Solange es um den Schmerz des unaufhaltsamen Alterns geht, denkt man: Ja und? Interessant wird es, wenn so ein der Fortpflanzungskette scheinbar abhandengekommener Mann auf eine junge Frau trifft. Marcel Kohler ist dann ein Elis, der sich selbst dabei zusieht, wie ein scheintotes Ich angesichts des ewig Weiblichen doch noch Leidenschaft simuliert. Lea Ruckpaul glaubt währenddessen als Anna an wahre Liebe, tatsächlich aber ist sie diesem kalten Mann ausgeliefert. Das macht Sinn und hat zur Folge, dass aus der unterkühlten Sprechoper Schauspiel werden kann.
Max Reinhardt, stilprägender Regisseur seiner Zeit, wollte zu Beginn der 1920er-Jahre mit Hugo von Hofmannsthal ein künstlerisches Gegenmodell zu den Verwüstungen schaffen, die der erste Weltkrieg hinterlassen hatte. Der Dritte im Bunde war Richard Strauss. Drei Schwergewichte der Theater- und Opernszene standen für eine Festspiele-Idee jenseits der Metropolen. Am 22. August 1920 war es dann so weit. Auf dem Salzburger Domplatz gab es die Weltpremiere von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“in der Regie von Max Reinhardt. Es war die Geburtsstunde der Festspiele, die sich zum weltweit erfolgreichsten Festival der darstellenden Künste entwickeln sollten und zu deren Geschichte auch gehört, dass die künstlerisch treibende Kraft hinter der Festspielgründung vor den Nazis in die USA fliehen musste. Max Reinhardt starb 1943 in einem New Yorker Hotel. (jüb)