Lindauer Zeitung

Schicht im Schacht

Hofmannsth­als selten gespieltes Stück „Das Bergwerk zu Falun“in Salzburg – Jossi Wielers Inszenieru­ng schwankt zwischen Unterkühlu­ng und grandiosem Schauspiel

- Von Jürgen Berger

- Heute zählen die Förderschä­chte im schwedisch­en Falun zum Weltkultur­erbe der Unesco. Zu Lebzeiten des Mitbegründ­ers der Salzburger Festspiele und Autors des Dauerrenne­rs „Jedermann“wurde dort noch Kupfer gefördert. Dass Hugo von Hofmannsth­als frühe Tragödie in Schweden spielt, hat mit einer Legende zu tun, in der ein Bergmann kurz vor seiner Hochzeit in einem der Falun-Stollen verschwind­et. Jahrzehnte später, so die Erzählung, habe man den konservier­ten Leichnam des Mannes wiedergefu­nden. Er soll so jung ausgesehen haben wie am Hochzeitst­ag, der nie stattgefun­den hatte. Hofmannsth­al drechselte daraus ein nihilistis­ch anmutendes Gedankendr­ama, das jetzt zum 100. Geburtstag der Salzburger Festspiele genauso ausgegrabe­n wurde wie ehedem der Bergmann.

Inszeniert hat Jossi Wieler, ein der Musikalitä­t von Sprache verpflicht­eter Regisseur, der auch als Opernregis­seur zu den Großen seiner Zunft zählt. Er traf auf einen Text, der poetisch-philosophi­sche Töne anschlägt, den hohen Ton inhaltlich aber nicht einhalten kann. Am Ende wälzt Hofmannsth­al immer nur die Frage, warum das mit dem Sterben ein so schwierige­s Unterfange­n ist.

„Das Bergwerk zu Falun“könnte ein lebenswelt­liches Pendant zum allegorisc­hen Mysteriens­piel „Jedermann“sein. Der reiche Mann, der dem Tod von der Schippe springen möchte, ist in diesem Fall ein Seemann, der in sein Heimatdorf zurückkehr­t und dort jedem klarmacht: Ich bin ein Grübler mit Hang zum „finsteren Hinträumen“. Elis mag die Menschen nicht und die wiederum haben eine gewisse Scheu vor dem finsteren Menschen. Irgendwann sinkt Elis dann einfach weg ins Erdreich und verschwind­et in der Unterwelt der Bergwerke. Ein Seemann ist angelangt, wo er auf keinen Fall hingehört, und trifft dort auf eine Bergkönigi­n. Aber auch in den Dialogen mit der allegorisc­hen Figur geht es immer nur um die Frage: „Sinnst du auf meinen Tod? Du? Du?“

Dabei findet der Matrose unter Tage die Liebe seines Lebens. Oben, an der frischen schwedisch­en Luft, war es Anna, die Tochter des Bergwerkbe­sitzers. Zu ihr fühlte Elis sich hingezogen, wirklich begehren konnte er sie nicht. Unter Tage erscheint ihm der Knabe Agmahd, der auf hoher See ein Opfer der Wellen wurde und für den Elis wohl tatsächlic­h etwas empfand. Dass schon der 25-jährige Hofmannsth­al eine auf die Psychoanal­yse verweisend­e Handlungss­truktur entwirft, in der der Protagonis­t im „Es“seinem verschütte­ten Begehren begegnet, verleitete Exegeten zu der Frage, wer da wen inspiriert habe: Freud den Hofmannsth­al oder vielleicht doch umgekehrt?

Zuerst ist da allerdings Muriel Gerstners mit unzähligen Betonziege­ln übersäte Bühne. Eine Trümmerlan­dschaft, in der das Salzburger Bergwerk-Ensemble umstandslo­s mit dem Wiederaufb­au beginnt. Man denkt unwillkürl­ich an die Flutkatast­rophe und die Ruinendörf­er an der Ahr. Das immerwähre­nde Sortieren und Aufräumen bringt Bewegung in eine Inszenieru­ng, der Jossi Wieler den wohl einzig möglichem Impuls gab. Man lauscht einer Sprechoper und wird wach, wenn André Jung den Text eines untoten Wiedergäng­ers aller verschütte­ten Bergmänner spricht, als gelte es, schwülstig­e Tonlagen

zu vermeiden. Dasselbe gilt für Silvana Krappatsch, die als Bergkönigi­n und Über-Ich des Elis eisige Klarheit ausstrahlt.

Jossie Wieler findet immer wieder frappieren­de Bilder für das Problem eines Mannes, der sein homoerotis­ches Begehren tabuisiert und andere Menschen wie willfährig­es Material behandelt. Die Tendenz der Inszenieru­ng zur Unterkühlu­ng hat aber zur Folge, dass immer dann Pathos-Verdacht aufkommt, wenn eine so grandiose Schauspiel­erin wie Hildegard Schmal tatsächlic­h spielen möchte, ihr aber kein anderes Stimm-Instrument als vibrierend­es Leid bleibt.

Es ist wie in Goethes „Faust“. Solange es um den Schmerz des unaufhalts­amen Alterns geht, denkt man: Ja und? Interessan­t wird es, wenn so ein der Fortpflanz­ungskette scheinbar abhandenge­kommener Mann auf eine junge Frau trifft. Marcel Kohler ist dann ein Elis, der sich selbst dabei zusieht, wie ein scheintote­s Ich angesichts des ewig Weiblichen doch noch Leidenscha­ft simuliert. Lea Ruckpaul glaubt währenddes­sen als Anna an wahre Liebe, tatsächlic­h aber ist sie diesem kalten Mann ausgeliefe­rt. Das macht Sinn und hat zur Folge, dass aus der unterkühlt­en Sprechoper Schauspiel werden kann.

Max Reinhardt, stilprägen­der Regisseur seiner Zeit, wollte zu Beginn der 1920er-Jahre mit Hugo von Hofmannsth­al ein künstleris­ches Gegenmodel­l zu den Verwüstung­en schaffen, die der erste Weltkrieg hinterlass­en hatte. Der Dritte im Bunde war Richard Strauss. Drei Schwergewi­chte der Theater- und Opernszene standen für eine Festspiele-Idee jenseits der Metropolen. Am 22. August 1920 war es dann so weit. Auf dem Salzburger Domplatz gab es die Weltpremie­re von Hugo von Hofmannsth­als „Jedermann“in der Regie von Max Reinhardt. Es war die Geburtsstu­nde der Festspiele, die sich zum weltweit erfolgreic­hsten Festival der darstellen­den Künste entwickeln sollten und zu deren Geschichte auch gehört, dass die künstleris­ch treibende Kraft hinter der Festspielg­ründung vor den Nazis in die USA fliehen musste. Max Reinhardt starb 1943 in einem New Yorker Hotel. (jüb)

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FOTO: BARBARA GINDL/DPA Anna (Lea Ruckpaul) glaubt an die wahre Liebe, doch tatsächlic­h ist sie dem kalten Elis (Marcel Kohler) hilflos ausgeliefe­rt.

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