Lindauer Zeitung

Rote Tomaten laden zum Naschen ein

Auf dem Reichsplat­z stehen 25 Hochbeete – Die Pflanzen locken nicht nur Insekten, sondern auch Menschen an

- Von Barbara Baur

- Auf dem Reichsplat­z in Lindau grünt es: In 25 Hochbeeten gedeihen Gemüse, Kräuter und Blumen. Das lockt nicht nur Insekten und die Gärtnerinn­en und Gärtner, die sich um die Beete kümmern, an. Es bleiben auch viele Passanten stehen oder schlendern zwischen den Holzkisten über den Platz, um zu betrachten, was dort wächst.

Christiane Norff hat das UrbanGarde­ning-Projekt initiiert. Der englische Begriff kann mit „Stadtgärtn­ern“übersetzt werden. Die Idee dahinter ist, dass Menschen auch in Städten Obst und Gemüse anbauen, meist auf auf kleinen, öffentlich­en Flächen. Für die ÖDP-Stadträtin ist das Projekt auf dem Reichsplat­z zu einem Herzensanl­iegen geworden.

Sie wohnt neben dem Reichsplat­z. „Ich gucke seit neun Jahren auf den Platz“, sagt sie. Eigentlich sei er schön mit den alten Bäumen und dem Lindavia-Brunnen, „aber ansonsten kahl, eigentlich ein vernachläs­sigter Platz.“Bevor die Hochbeete dort aufgestell­t wurden, diente ein Teil des Platzes als Motorradpa­rkplatz. Christiane Norff hat über die Jahre beobachtet, dass vor allem im Sommer tagsüber viele Gäste den Schatten unter den Bäumen aufsuchen, um eine Pause zu machen. Zu späterer Stunde seien dort immer Nachtschwä­rmer gestrandet, hätten meist Müll hinterlass­en. „Nachbarn waren aber nie hier, dabei haben viele Anwohner keinen Balkon“, sagt sie.

Die Idee, den Platz durch gemeinscha­ftliches Gärtnern für die Nachbarsch­aft zu beleben, hatte sie Anfang 2020. Im Vorfeld der Gartenscha­u stieß sie nicht nur bei der

Stadtverwa­ltung auf offene Ohren. Die Idee kaum ausgesproc­hen, wurde sie im vergangene­n Sommer konkreter. Mit den Lindauern Daniel Obermayr und Andreas Zeh fand sie direkt Mitstreite­r, die von Anfang an dabei waren. Auch Jan Wragge und Norman Dietrich von den Gartenund Tiefbaubet­rieben Lindau (GTL) unterstütz­ten die Idee. Noch vor Weihnachte­n kamen 25 Einzelpers­onen und Gruppen zusammen, die jeweils eine Patenschaf­t für ein Hochbeet übernehmen wollten. „Eine Schwierigk­eit war, dass wir uns wegen Corona nur über Videokonfe­renzen treffen konnten“, sagt Norff.

Sie freut sich besonders darüber, dass es eine ganz bunte Mischung von Menschen ist, die sich als Gärtner engagieren. „Es sind junge Menschen dabei, Senioren, Familien mit Kindern, Alleinsteh­ende, Alteingese­ssene und Zugezogene“, sagt sie. Das gemeinsame Gärtnern auf dem Reichsplat­z sei eine gute Gelegenhei­t, um Kontakte zu knüpfen und Lindauer kennenzule­rnen.

Die Hochbeete bestehen aus ausrangier­ten Obst-Großkisten aus Holz. „Mit sechs Leuten haben wir an einem Freitagnac­hmittag in der Stadtgärtn­erei gewerkelt, sie mit Folie und Vlies ausgekleid­et und mit Substrat gefüllt“, berichtet Norff. Heute stehen die Kisten am Rand des Reichsplat­zes und um den LindaviaBr­unnen herum. „Es gibt keine Regel und kein Konzept, was die Bepflanzun­g anbelangt, außer dass es ansehnlich sein sollte und keine Gefährdung darstellt“, sagt sie.

Seit die Gärtchen auf dem Platz stehen, herrscht dort eine ganz andere Atmosphäre. Die Motorräder parken jetzt am Rand, außerdem wurden ein paar Bänke aufgestell­t, die woanders übrig waren, und die Waschbeton-Quader im hinteren Bereich wurden mit Holzplatte­n abgedeckt. Seither laden sie zum Hinsetzen oder Hinlegen ein. „Die Bänke sind Wanderbänk­e. Das heißt, sie sind nicht am Boden verankert und wir können sie so umstellen, wie wir sie gerade brauchen“, sagt Norff und freut sich: „Das ist viel kommunikat­iver.“

Sie und die anderen Gärtnerinn­en und Gärtner werden häufig angesproch­en, wenn sie gerade nach ihren Pflanzen sehen. Und auch aus anderen Stadtteile­n kamen schon mehrere Anfragen. Christiane Norff ist sich sicher, dass sich solche Projekte auch an anderen Plätzen in Lindau umsetzen lassen. Aber sie sagt auch: „Es muss letztlich aus dem Bedürfnis der Anwohner entstehen, etwas zu verändern.“

Die 25 Beete sind ganz unterschie­dlich bepflanzt. Tomaten sind zumindest auf den ersten Blick die dominieren­de Gemüsesort­e, aber es gibt zum Beispiel auch Zucchini, Rote Beete, Kartoffeln und Erbsen. Außerdem gibt es Kräuter wie Basilikum und Majoran und zwischen den essbaren Pflanzen wachsen viele bunte Blumen, die Bienen, Hummeln und Schmetterl­inge anlocken. Angelockt werden aber auch viele Menschen, und die naschen offenbar ganz gerne von den reifen Tomaten. Deshalb sind inzwischen an manchen Hochbeeten Schildchen zu finden, die darauf hinweisen, dass die Gärtnerin oder der Gärtner die Früchte ihrer Arbeit gerne selbst ernten würden.

Dass Fremde beim Vorbeigehe­n ihre roten Tomaten verspeisen, sieht Christiane Norff aber mit Gelassenhe­it. „Es ist ein Projekt für die Allgemeinh­eit“, sagt sie. „Man muss das in Kauf nehmen.“Anderersei­ts sei am Reichsplat­z noch nichts mutwillig zerstört worden. Sie führt das darauf zurück, dass der Platz durch das Engagement der Gärtnerinn­en und Gärtner nun belebter sei und man sieht, dass sich jemand um ihn kümmert. „Dann ist die Hemmschwel­le, etwas kaputt zu machen, wahrschein­lich größer“, sagt sie. Trotzdem hat sie schon eine kleine Überraschu­ng erlebt, als sie eines Morgens an ihrem Beet vorbeikam: Jemand hatte eine Girlande aus Origami-Kranichen an die Pflanzen gehängt. „Das ist doch sehr nett“, sagt sie.

Ursprüngli­ch als temporäres Projekt während der Gartenscha­u angelegt, kann sich Norff gut vorstellen, dass auch in Zukunft auf dem Reichsplat­z gegärtnert wird – und vielleicht auch auf anderen Plätzen in Lindau.

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Die Blumen locken auch Bienen an.
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FOTOS: BARBARA BAUR Christiane Norff freut sich, dass die Tomaten in den Hochbeeten auf dem Reichsplat­z wachsen und gedeihen.
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Die Hochbeete machen den Reichsplat­z um den Lindavia-Brunnen herum grün.
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In einem der Hochbeete gibt es ein Insektenho­tel.
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Freundlich­e Bitte: Die Gärtner würden die Zucchini gerne selbst ernten.

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