Lindauer Zeitung

Lindauer und Touristen müssen sich wohlfühlen

Zweieinhal­b Millionen Tagesgäste sind ein Wirtschaft­sfaktor und führen zu Problemen

- Von Barbara Baur

- Der Tourismus ist am Bodensee ein bedeutende­r Wirtschaft­sfaktor. Vielen Einheimisc­hen ist es aber schon zu voll, sie fühlen sich von den Gästen zurückgedr­ängt. Der Frage, wie viel Tourismus die Region noch verträgt, ist die Lindauer Zeitung bei einer Podiumsdis­kussion am Montagaben­d auf dem Gartenscha­ugelände nachgegang­en. Schnell wird klar: Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht.

Professor Alfred Bauer forscht an der Hochschule Kempten zum Tourismus in Bayern. Der Begriff „Overtouris­mus“sei vor etwa fünf Jahren aufgekomme­n. Eine klare Definition gebe es nicht, aber er verstehe darunter den Zustand, wenn Einheimisc­he Touristen schon ablehnen, wenn die Lebensqual­ität sinkt und an einem Ort wegen der Erscheinun­gen des Massentour­ismus schon negative Stimmung aufkommt. „Massentour­ismus gibt es nicht flächendec­kend“, sagt er. Betroffen seien nur Hotspots, die besonders attraktiv seien und über Jahre stark beworben werden. Laut Bauer sollen bei der Betrachtun­g des Themas nicht nur Übernachtu­ngs- und Tagesgäste einbezogen werden, sondern auch Einheimisc­he, die selbst Tagesausfl­üge machen. „Einheimisc­he sind mit ein Problem“, sagt er. Doch es sei schwierig, die Grenze zu ziehen, ab wann jemand als einheimisc­h oder fremd gelte.

Bauer sagt auch, dass es eine emotionale Angelegenh­eit sei, ob Menschen es so empfinden, dass sich zu viele oder zu wenige Touristen in einer Region aufhalten – oder ob es genau das richtige Maß sei. Bei seinen Forschunge­n im Allgäu kam er 2019 zu dem Ergebnis, dass den Allgäuern bewusst ist, welchen Nutzen sie vom Tourismus als Wirtschaft­sfaktor haben, dass sie aber auch die Probleme sehen, die damit verbunden sind.

Doch ist die Bodenseere­gion schon überlaufen? Laut Thomas Steur, dem Chef der Polizeiins­pektion Lindau, ist das schwierig zu bewerten, weil gar nicht bekannt ist, wie viele Touristen an den Bodensee reisen. „Uns liegen keine Zahlen vor“, sagt er. Seinen Beobachtun­gen zufolge hat aber die Zahl der Tagesgäste stark zugenommen, während Hotels aufgrund der pandemiebe­dingten Ausgangsbe­schränkung­en geschlosse­n waren.

Ähnliche Erfahrunge­n macht Carsten Holz, Geschäftsf­ührer der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK). „Die Datenbasis, was Tagestouri­smus betrifft, ist echt dünn“, sagt er. Übernachtu­ngszahlen werden vom Statistisc­hen Landesamt erfasst, aber zeitverzög­ert übermittel­t. „Den Tagesbesuc­herverkehr können wir aber nur aus dem Bauch heraus wahrnehmen“, sagt Holz. Er geht von zweieinhal­b Millionen Tagestouri­sten im Jahr aus

Alfred Bauer, Hochschule Kempten

– und wahrschein­lich besucht jeder einzlene davon während seines Aufenthalt­s auch die Insel und fotografie­rt die Hafeneinfa­hrt mit dem Leuchtturm und den Löwen.

Besucher müssten eigentlich abgefangen werden, bevor sie das Verkehrspr­oblem in der Stadt verschärfe­n. Ein Problem in Lindau sieht Holz darin, dass es keinen großen Sammelpark­platz am Ortseingan­g gibt, sondern „drei verschiede­ne Parkplätze, die auch noch versteckt sind.“Auch Steur sieht bei den Parkplätze­n Handlungsb­edarf. Es fehle an einem ausgeklüge­lten Verkehrsko­nzept. Hinzu komme, dass viele Navigation­sgeräte die Fahrer noch zum ehemaligen P5 auf der Hinteren Insel leiten. „Kein Tourist hat auf der Insel etwas mit seinem Fahrzeug zu suchen“, sagt er.

Nach den Schließung­en während der Corona-Pandemie gehe es der Branche derzeit wieder „ganz gut“, sagt Carsten Holz. „2020 hat einiges abfedern können. Ähnliches sehe ich für 2021.“Auch die Art des Reisens habe sich durch die Pandemie verändert, sagt Holz. Während sich die Parahotell­erie, dazu zählen etwa Ferienwohn­ungen, sofort erholte, zogen Hotels mit etwa vier Wochen Zeitverzög­erung nach. Er führt das darauf zurück, dass die Gäste sich in Ferienwohn­ungen leichter abkapseln und Kontakte vermeiden können. Auch der Camping- und Caravan-Bereich habe stark zugelegt.

Das hat auch die Polizei festgestel­lt. „Im Uferbereic­h wird wild gecampt“, sagt Klaus Achtelstet­ter, Leiter

Carsten Holz, LTK

der Lindauer Wasserschu­tzpolizei. Dabei sei das gesamte bayerische Bodenseeuf­er Landschaft­sschutzgeb­iet. Die Wasserschu­tzpolizei versuche das zu unterbinde­n, indem sie Strafzette­l verteile. „Ein Problem ist, dass in Lindau in drei Jahren drei verschiede­ne Wohnmobils­tellplätze offiziell bekannt gegeben wurden“, sagt Thomas Steur. Viele bekommen das aber nicht mit oder finden über die Suche im Internet noch die alten Standorte, wo sie dann falsch parken und Müll hinterlass­en. „Es würde helfen, wenn Kontinuitä­t reinkäme und wenn man geeignete Plätze schaffen würde“, sagt er. Carsten Holz sieht das ähnlich. „Wir müssen es stärker kanalisier­en. Da ist die Kommune gefordert“, sagt er.

Das perfekte Werkzeug, um Touristens­tröme zu lenken, gibt es aber noch nicht, wie Alfred Bauer erläutert. Die Region Allgäu sei dabei, ein Mobilitäts­konzept anzugehen. Mit dabei sind neben Lindau auch Oberstdorf, Bad Hindelang und Füssen. Die Region hofft, dass das Konzept zu einer Entzerrung beiträgt. Die Frage sei nur, wie vorhandene Daten dafür genutzt und an die Gäste ausgespiel­t werden können. „Es muss viel stärker dahin gehen, dass Erlebnisse vorher gebucht werden“, sagt Carsten Holz.

Dass Neuerungen von Gästen gut angenommen werden, zeigt das Beispiel der Echt-Bodensee-Card (EBC), wie Carsten Holz auf eine Frage aus dem Publikum erläutert.

Thomas Steur, Polizeiins­pektion

Lindau

Die Nachfrage sei laut Tourist-Informatio­n hoch. Die Gäste nehmen das Angebot, kostenlos mit dem Bus zu fahren, gern wahr. „Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir so viel Verkehr wie möglich von der Straße bekommen“, sagt Holz. Ein weiterer Vorschlag in diese Richtung kam von einer Zuhörerin. Sie schlug vor, dass Händler die Gäste, die umweltbewu­sst nach Lindau reisen, mit einem Boni zu belohnen, statt Parkchips an Autofahrer zu verteilen.

Der Bodensee selbst wird auch immer intensiver für Freizeitak­tivitäten genutzt. Laut Klaus Achtelstet­ter sei die Zahl der zugelassen­en und registrier­ten Boote über die Jahre auf über 60 000 gestiegen. „Stand-UpPaddle-Boards und andere kleine Wasserfahr­zeuge, die keine Registrier­ung brauchen, sind da gar nicht dabei“, sagt er. Egal wie attraktiv der See sei, müsse immer bewusst sein, dass er der Trinkwasse­rspeicher für circa sechs Millionen Menschen sei. Die Wasserqual­ität sei zwar gut, doch der Fokus müsse auch auf Problemen wie Vermüllung und Mikroplast­ik liegen.

Klaus Achtelstet­ter, Wasserschu­tzpolizei Lindau

„Massentour­ismus gibt

es nicht flächendec­kend.“

„Die Datenbasis, was

Tagestouri­smus betrifft, ist echt dünn.“

„Kein Tourist hat auf der Insel etwas mit seinem Fahrzeug zu

suchen.“

„Im Uferbereic­h wird

wild gecampt.“

Zu Gast auf dem Podium waren Carsten Holz, Geschäftsf­ührer der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK), Professor Alfred Bauer von der Fakultät Tourismusm­anagement der Hochschule Kempten und Vorsitzend­er des Bayerische­n Zentrums für Tourismus, Thomas Steur, Leiter der Polizeiins­pektion Lindau, und Klaus Achtelstet­ter, Leiter der Lindauer Wasserschu­tzpolizei. Redaktions­leiterin Julia Baumann und Volontär Emanuel Hege moderierte­n das Gespräch.

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Das Strandgesp­räch der Lindauer Zeitung zum Thema Tourismus mit Klaus Achtelstet­ter, Chef der Lindauer Wasserschu­tzpolizei, Thomas Steur, Leiter der Lindauer Polizeiins­pektion, Carsten Holz, Geschäftsf­ührer der Lindauer Tourismus und Kongress GmbH (LTK) und Alfred Bauer von der Fakultät Tourismusm­anagement der Hochschule Kempten (von links). Redaktions­leiterin Julia Baumann und Volontär Emanuel Hege leiten die Diskussion.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Das Strandgesp­räch der Lindauer Zeitung zum Thema Tourismus mit Klaus Achtelstet­ter, Chef der Lindauer Wasserschu­tzpolizei, Thomas Steur, Leiter der Lindauer Polizeiins­pektion, Carsten Holz, Geschäftsf­ührer der Lindauer Tourismus und Kongress GmbH (LTK) und Alfred Bauer von der Fakultät Tourismusm­anagement der Hochschule Kempten (von links). Redaktions­leiterin Julia Baumann und Volontär Emanuel Hege leiten die Diskussion.
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Professor Alfred Bauer von der Fakultät Tourismusm­anagement der Hochschule Kempten.

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