Lindauer und Touristen müssen sich wohlfühlen
Zweieinhalb Millionen Tagesgäste sind ein Wirtschaftsfaktor und führen zu Problemen
- Der Tourismus ist am Bodensee ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Vielen Einheimischen ist es aber schon zu voll, sie fühlen sich von den Gästen zurückgedrängt. Der Frage, wie viel Tourismus die Region noch verträgt, ist die Lindauer Zeitung bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend auf dem Gartenschaugelände nachgegangen. Schnell wird klar: Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht.
Professor Alfred Bauer forscht an der Hochschule Kempten zum Tourismus in Bayern. Der Begriff „Overtourismus“sei vor etwa fünf Jahren aufgekommen. Eine klare Definition gebe es nicht, aber er verstehe darunter den Zustand, wenn Einheimische Touristen schon ablehnen, wenn die Lebensqualität sinkt und an einem Ort wegen der Erscheinungen des Massentourismus schon negative Stimmung aufkommt. „Massentourismus gibt es nicht flächendeckend“, sagt er. Betroffen seien nur Hotspots, die besonders attraktiv seien und über Jahre stark beworben werden. Laut Bauer sollen bei der Betrachtung des Themas nicht nur Übernachtungs- und Tagesgäste einbezogen werden, sondern auch Einheimische, die selbst Tagesausflüge machen. „Einheimische sind mit ein Problem“, sagt er. Doch es sei schwierig, die Grenze zu ziehen, ab wann jemand als einheimisch oder fremd gelte.
Bauer sagt auch, dass es eine emotionale Angelegenheit sei, ob Menschen es so empfinden, dass sich zu viele oder zu wenige Touristen in einer Region aufhalten – oder ob es genau das richtige Maß sei. Bei seinen Forschungen im Allgäu kam er 2019 zu dem Ergebnis, dass den Allgäuern bewusst ist, welchen Nutzen sie vom Tourismus als Wirtschaftsfaktor haben, dass sie aber auch die Probleme sehen, die damit verbunden sind.
Doch ist die Bodenseeregion schon überlaufen? Laut Thomas Steur, dem Chef der Polizeiinspektion Lindau, ist das schwierig zu bewerten, weil gar nicht bekannt ist, wie viele Touristen an den Bodensee reisen. „Uns liegen keine Zahlen vor“, sagt er. Seinen Beobachtungen zufolge hat aber die Zahl der Tagesgäste stark zugenommen, während Hotels aufgrund der pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen geschlossen waren.
Ähnliche Erfahrungen macht Carsten Holz, Geschäftsführer der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK). „Die Datenbasis, was Tagestourismus betrifft, ist echt dünn“, sagt er. Übernachtungszahlen werden vom Statistischen Landesamt erfasst, aber zeitverzögert übermittelt. „Den Tagesbesucherverkehr können wir aber nur aus dem Bauch heraus wahrnehmen“, sagt Holz. Er geht von zweieinhalb Millionen Tagestouristen im Jahr aus
Alfred Bauer, Hochschule Kempten
– und wahrscheinlich besucht jeder einzlene davon während seines Aufenthalts auch die Insel und fotografiert die Hafeneinfahrt mit dem Leuchtturm und den Löwen.
Besucher müssten eigentlich abgefangen werden, bevor sie das Verkehrsproblem in der Stadt verschärfen. Ein Problem in Lindau sieht Holz darin, dass es keinen großen Sammelparkplatz am Ortseingang gibt, sondern „drei verschiedene Parkplätze, die auch noch versteckt sind.“Auch Steur sieht bei den Parkplätzen Handlungsbedarf. Es fehle an einem ausgeklügelten Verkehrskonzept. Hinzu komme, dass viele Navigationsgeräte die Fahrer noch zum ehemaligen P5 auf der Hinteren Insel leiten. „Kein Tourist hat auf der Insel etwas mit seinem Fahrzeug zu suchen“, sagt er.
Nach den Schließungen während der Corona-Pandemie gehe es der Branche derzeit wieder „ganz gut“, sagt Carsten Holz. „2020 hat einiges abfedern können. Ähnliches sehe ich für 2021.“Auch die Art des Reisens habe sich durch die Pandemie verändert, sagt Holz. Während sich die Parahotellerie, dazu zählen etwa Ferienwohnungen, sofort erholte, zogen Hotels mit etwa vier Wochen Zeitverzögerung nach. Er führt das darauf zurück, dass die Gäste sich in Ferienwohnungen leichter abkapseln und Kontakte vermeiden können. Auch der Camping- und Caravan-Bereich habe stark zugelegt.
Das hat auch die Polizei festgestellt. „Im Uferbereich wird wild gecampt“, sagt Klaus Achtelstetter, Leiter
Carsten Holz, LTK
der Lindauer Wasserschutzpolizei. Dabei sei das gesamte bayerische Bodenseeufer Landschaftsschutzgebiet. Die Wasserschutzpolizei versuche das zu unterbinden, indem sie Strafzettel verteile. „Ein Problem ist, dass in Lindau in drei Jahren drei verschiedene Wohnmobilstellplätze offiziell bekannt gegeben wurden“, sagt Thomas Steur. Viele bekommen das aber nicht mit oder finden über die Suche im Internet noch die alten Standorte, wo sie dann falsch parken und Müll hinterlassen. „Es würde helfen, wenn Kontinuität reinkäme und wenn man geeignete Plätze schaffen würde“, sagt er. Carsten Holz sieht das ähnlich. „Wir müssen es stärker kanalisieren. Da ist die Kommune gefordert“, sagt er.
Das perfekte Werkzeug, um Touristenströme zu lenken, gibt es aber noch nicht, wie Alfred Bauer erläutert. Die Region Allgäu sei dabei, ein Mobilitätskonzept anzugehen. Mit dabei sind neben Lindau auch Oberstdorf, Bad Hindelang und Füssen. Die Region hofft, dass das Konzept zu einer Entzerrung beiträgt. Die Frage sei nur, wie vorhandene Daten dafür genutzt und an die Gäste ausgespielt werden können. „Es muss viel stärker dahin gehen, dass Erlebnisse vorher gebucht werden“, sagt Carsten Holz.
Dass Neuerungen von Gästen gut angenommen werden, zeigt das Beispiel der Echt-Bodensee-Card (EBC), wie Carsten Holz auf eine Frage aus dem Publikum erläutert.
Thomas Steur, Polizeiinspektion
Lindau
Die Nachfrage sei laut Tourist-Information hoch. Die Gäste nehmen das Angebot, kostenlos mit dem Bus zu fahren, gern wahr. „Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir so viel Verkehr wie möglich von der Straße bekommen“, sagt Holz. Ein weiterer Vorschlag in diese Richtung kam von einer Zuhörerin. Sie schlug vor, dass Händler die Gäste, die umweltbewusst nach Lindau reisen, mit einem Boni zu belohnen, statt Parkchips an Autofahrer zu verteilen.
Der Bodensee selbst wird auch immer intensiver für Freizeitaktivitäten genutzt. Laut Klaus Achtelstetter sei die Zahl der zugelassenen und registrierten Boote über die Jahre auf über 60 000 gestiegen. „Stand-UpPaddle-Boards und andere kleine Wasserfahrzeuge, die keine Registrierung brauchen, sind da gar nicht dabei“, sagt er. Egal wie attraktiv der See sei, müsse immer bewusst sein, dass er der Trinkwasserspeicher für circa sechs Millionen Menschen sei. Die Wasserqualität sei zwar gut, doch der Fokus müsse auch auf Problemen wie Vermüllung und Mikroplastik liegen.
Klaus Achtelstetter, Wasserschutzpolizei Lindau
„Massentourismus gibt
es nicht flächendeckend.“
„Die Datenbasis, was
Tagestourismus betrifft, ist echt dünn.“
„Kein Tourist hat auf der Insel etwas mit seinem Fahrzeug zu
suchen.“
„Im Uferbereich wird
wild gecampt.“
Zu Gast auf dem Podium waren Carsten Holz, Geschäftsführer der Lindau Tourismus und Kongress GmbH (LTK), Professor Alfred Bauer von der Fakultät Tourismusmanagement der Hochschule Kempten und Vorsitzender des Bayerischen Zentrums für Tourismus, Thomas Steur, Leiter der Polizeiinspektion Lindau, und Klaus Achtelstetter, Leiter der Lindauer Wasserschutzpolizei. Redaktionsleiterin Julia Baumann und Volontär Emanuel Hege moderierten das Gespräch.