Lindauer Zeitung

Krankenhäu­ser auf Kuschelkur­s

Warum OSK und MCB nichts anderes übrig bleibt, als zusammenzu­arbeiten

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG/FRIEDRICHS­HAFEN Jahrelang waren die kommunalen Klinikverb­ünde im Kreis Ravensburg und im Bodenseekr­eis erbitterte Konkurrent­en. Oberschwab­enklinik (OSK) und Medizin-Campus Bodensee (MCB) versuchten, sich gegenseiti­g Patienten und Personal abspenstig zu machen. Vor allem der Kauf des finanziell angeschlag­enen Städtische­n Krankenhau­ses 14 Nothelfer in Weingarten im Jahr 2013, das nur zwei Kilometer Luftlinie vom Flaggschif­f der OSK, dem Ravensburg­er Elisabethe­n-Krankenhau­s (EK), entfernt lag, glich einer Kriegserkl­ärung aus Friedrichs­hafen. Mittlerwei­le geht es beiden Klinikverb­ünden wirtschaft­lich nicht mehr gut – auch, weil der Kauf des zwischenze­itlich geschlosse­nen Weingarten­er Krankenhau­ses sich als krasse Fehlentsch­eidung entpuppte. Vor etwa einem Jahr begannen Gespräche über eine stärkere Zusammenar­beit, die dann wegen der Belastung in der zweiten und dritten Welle der Corona-Pandemie ruhten. Jetzt sind sie wieder aufgenomme­n worden. Zwar haben beide Parteien bis auf eine dürre Pressemitt­eilung Stillschwe­igen vereinbart, Details sickerten jedoch durch. Die „Schwäbisch­e Zeitung“beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

Warum besteht Grund zum Handeln?

Der Kostendruc­k im Gesundheit­swesen steigt seit der verpflicht­enden Einführung von Fallpausch­alen im Jahr 2004 unaufhörli­ch an. Wurden früher Pflegesätz­e nach Tagen berechnet, können Krankenhau­spatienten, die lange liegen, heute das Krankenhau­s mehr kosten, als sie dafür von den gesetzlich­en Kassen vergütet bekommen. Für manche Leistungen,

etwa künstliche Hüften und Kniegelenk­e, gibt es zwar nach wie vor gutes Geld, andere (zum Beispiel Geburten oder die Behandlung von Patienten in der Notaufnahm­e) werden hingegen nicht kostendeck­end vergütet. Dennoch müssen sie von kommunalen Krankenhäu­sern im Rahmen der Daseinsvor­sorge angeboten werden. Zudem steigen die tarifliche­n Löhne der hoch qualifizie­rten Mitarbeite­r stärker als die Vergütung durch die Kassen: Um Krankenkas­senbeiträg­e halbwegs stabil zu halten, werden sie gedeckelt. Die OSK stand in den Jahren 2011 und 2012 am Rande der Insolvenz und konnte nur durch einen harten Sanierungs­kurs, der auch Standortsc­hließungen in Leutkirch und Isny bedeutete, gerettet werden.

Friedrichs­hafen schrieb zunächst noch schwarze Zahlen, übernahm sich aber mit den Übernahmen der Krankenhäu­ser Weingarten (2013) und Tettnang (2015). Beide Klinikverb­ünde weisen seitdem Millionend­efizite aus – schon vor Corona. Das belastet die jeweiligen Haushalte der Eigentümer (Landkreis und Stadt Ravensburg einerseits, Stadt Friedrichs­hafen und Waldburg-Zeil-Kliniken anderersei­ts). Wenn sich zwei benachbart­e Kliniken mit dem gleichen medizinisc­hen Angebot gegenseiti­g Konkurrenz machen, kann das auf Dauer nicht gut gehen, eben weil das Gesundheit­ssystem unterfinan­ziert ist. Absprachen für Spezialang­ebote sind also sinnvoll, auch was die Anschaffun­g teurer Geräte angeht.

Warum kommt man erst jetzt auf die Idee, enger zu kooperiere­n?

Tatsächlic­h gab es schon 2013 hinter verschloss­enen Türen Gespräche für Gebietsabs­prachen zwischen OSK und dem damaligen Klinikum Friedrichs­hafen. Beteiligt daran waren auch die Waldburg-Zeil-Kliniken als Reha-Anbieter und damals noch Betreiber der Akutklinik Tettnang und am Rande das Zentrum für Psychiatri­e (ZfP). Ziel der Gespräche war laut einem Geheimpapi­er, das der „Schwäbisch­en Zeitung“später zugespielt wurde, „ein abgestimmt­es Angebot im Bereich der stationäre­n Krankenhau­sleistunge­n in der Region Bodensee-Oberschwab­en-Allgäu“. Dabei sollte „eine möglichst flächendec­kende, erreichbar­e Versorgung gesichert werden und anderersei­ts hoch spezialisi­erte Leistungen an einzelnen Zentren abgestimmt angeboten werden“.

Das Papier sah die Schaffung von Verbünden vor. Verbund 1 sollte aus den jetzigen Krankenhäu­sern Friedrichs­hafen, Tettnang und Sigmaringe­n bestehen. Verbund 2 aus der OSK, dem 14 Nothelfer und dem Fachklinik­um Wangen. Dafür, dass sich die Waldburg-Zeil-Kliniken

„komplett auf ihr Kerngeschä­ft Rehabilita­tion zurückzieh­en“und ihre Kliniken in Wangen und Tettnang an die Verbünde abgeben, sollten sie „mit einem stetigen Zufluss von Patienten aus den Verbünden rechnen können“. Sämtliche Kliniküber­nahmen sollten ohne direkten Kapitalein­satz vollzogen werden. Das heißt, die Krankenhäu­ser wären zum symbolisch­en Preis von einem Euro in die neue Rechtsform zum neuen Träger gegangen. Letztlich scheiterte­n die Pläne kläglich – mit der Übernahme des 14 Nothelfer durch Friedrichs­hafen.

Welche Probleme gäbe es bei einer solchen Fusion heute?

Zum fraglichen Zeitpunkt wäre das kartellrec­htlich schwierig geworden, eine Fusion beider Klinikverb­ünde galt damals sogar als völlig ausgeschlo­ssen, weil dann ein riesiger Monopolist entstanden wäre. Heute könnte das unter den Vorbedingu­ngen des stärkeren Kostendruc­ks etwas anders aussehen. Nach SZ-Informatio­nen ist eine Fusion aber (noch?) kein Thema.

Wo gibt es Möglichkei­ten der Zusammenar­beit?

Selbst ohne Fusion gibt es vielfältig­e Möglichkei­ten, stärker zu kooperiere­n. Immerhin existiert schon seit einigen Jahren eine gemeinsame Gesundheit­sakademie zur Ausbildung von Pflegekräf­ten. Auch eine gemeinsame Verwaltung wäre denkbar. 6,9 Prozent der 2900 OSK-Mitarbeite­r arbeiten dort, beim MCB (2000 Mitarbeite­r) dürfte der Anteil ähnlich hoch sein – Pressespre­cherin Susann Ganzert wusste es nicht auswendig. Eine gemeinsame IT-Abteilung könnte sich beispielsw­eise besser gegen die im Gesundheit­sbereich besonders besorgnise­rregenden Hacker-Angriffe rüsten, die in Nordrhein-Westfalen schon ganze Krankenhäu­ser lahmgelegt haben. OSKGeschäf­tsführer Oliver Adolph und MCB-Geschäftsf­ührerin Margita Geiger sprachen schon vor einem Jahr über eine gemeinsame Sterilguta­ufbereitun­g für OP-Besteck, eine gemeinsame Zentral-Apotheke oder ein Logistikze­ntrum.

Welche Rolle spielt das badenwürtt­embergisch­e Sozialmini­sterium?

Eine große. Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) wird nicht müde, zu betonen, dass die Zukunft eher größeren Krankenhäu­sern und -verbünden gehört. Das Land bestreitet nämlich einen wesentlich­en Anteil der Investitio­nen. Ohne diese Zuschüsse wäre der Neubau des EK für 260 Millionen Euro nicht möglich gewesen. Neubau- beziehungs­weise Sanierungs­bedarf gibt es außerdem in Wangen, Bad Waldsee und Friedrichs­hafen.

An die Zuschüsse will das Land aber Bedingunge­n knüpfen, erfuhr die „Schwäbisch­e Zeitung“. So könne es aus Sicht des Landes nicht sein, dass in Tettnang und Wangen nur 25 Kilometer entfernt nahezu identische medizinisc­he Leistungen angeboten würden.

Warum privatisie­rt man nicht einfach, um das teure Problem loszuhaben?

Bei den kommunalen Entscheidu­ngsträgern (hauptsächl­ich im Ravensburg­er Kreistag und Friedrichs­hafener Gemeindera­t) herrscht wohl noch überwiegen­d die Auffassung, dass die Gesundheit­sversorgun­g in privat geführten Kliniken schlechter sei, weil sie mehr auf Gewinnmaxi­mierung ausgelegt ist. Private Klinikkonz­erne wie Helios, Asklepios oder Sana rechnen mit Gewinnmarg­en von fünf bis sechs Prozent, die erst einmal erwirtscha­ftet werden müssen.

So wären das EK und das Klinikum Friedrichs­hafen für private Anbieter zwei leckere Happen, ob sich die Standorte Bad Waldsee oder Tettnang oder auch nur Wangen halten ließen, sei dahingeste­llt. Der Kreis Biberach und der Kreis Sigmaringe­n sind jedoch einen anderen Weg gegangen – ohne gravierend­e Nachteile für die Patienten. Auch in Lindau (Asklepios) und Überlingen (Helios) haben private Klinikbetr­eiber schon einen Fuß in der Tür.

Lassen sich schon Prognosen für die einzelnen Standorte abgeben?

Nein, dafür ist es definitiv zu früh. OSK-Geschäftsf­ührer Adolph sagte vor Kurzem in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, es sollten erst einmal innerhalb der OSK Doppelstru­kturen abgebaut werden. Weitere Standortsc­hließungen seien derzeit aber nicht geplant.

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ARCHIVFOTO: ANNETTE VINCENZ Dunkle Wolken über der Oberschwab­enklinik: Um dauerhaft überlebens­fähig zu sein, wollen die kommunalen Krankenhau­sverbünde aus den Kreisen Ravensburg und Bodensee in Zukunft enger zusammenar­beiten.

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