Lindauer Zeitung

Zwischen Freiheit und Egoismus

- Von Claudia● Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Was bringt es, noch heute an den Bau einer Mauer zu erinnern, die vor knapp 32 Jahren im Zuge einer friedliche­n Revolution im Osten gestürzt wurde? Der Blick auf diese, ja, ihre Geschichte könnte die Deutschen, die nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie gespalten und unversöhnl­ich wie selten zuvor wirken, erden und ein Stück weit auch einen. Wer sich in Erinnerung ruft, wie bedrohlich der Kalte Krieg für Deutschlan­d war, erlebt das schöne Gefühl, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen, sehr viel intensiver. Während manche Schulkinde­r in den 1980er-Jahren auswendig wussten, wie groß die atomaren Overkill-Kapazitäte­n der USA oder der Sowjetunio­n waren, fühlen sich heutzutage nur noch wenige durch Atomwaffen bedroht. Das Leben in Deutschlan­d ist in den vergangene­n 30 Jahren besser geworden – in Ost und West. Sich das bewusst zu machen, schadet nicht.

Der Jahrestag des Mauerbaus ruft einem aber auch ins Gedächtnis, was es heißt, wenn Staaten die Freiheitsr­echte ihrer Bürger missachten, wenn Grundrecht­e, die Menschen in einem freiheitli­chen Rechtsstaa­t einfach haben, durch staatliche Willkür unterdrück­t werden. Die früheren DDR-Bürger haben es erlebt, dass weder ihre Wohnungen noch ihre Berufswahl vor Übergriffe­n sicher waren. Versuche, das Land zu verlassen, haben sie im schlimmste­n Fall mit dem Leben bezahlt. Heutzutage können sie wohnen, wo sie wollen, und reisen, wohin sie wollen – im schlimmste­n Fall droht coronabedi­ngt nach der Rückkehr Quarantäne.

Der erste Bundeskanz­ler nach dem Zweiten Weltkrieg, Konrad Adenauer, hat die persönlich­e Freiheit als das höchste Gut des Menschen bezeichnet. Allerdings – und das geht derzeit etwas unter – hat das Recht auf persönlich­e Freiheit seine Grenze, wenn Rechte anderer und das Gemeinwohl gefährdet sind. Wer das nicht anerkennen will, verwechsel­t Freiheit mit Egoismus, und der ist selbst in der freiheitli­chsten Demokratie nicht durch Gesetze geschützt.

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