Zwischen Freiheit und Egoismus
Was bringt es, noch heute an den Bau einer Mauer zu erinnern, die vor knapp 32 Jahren im Zuge einer friedlichen Revolution im Osten gestürzt wurde? Der Blick auf diese, ja, ihre Geschichte könnte die Deutschen, die nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie gespalten und unversöhnlich wie selten zuvor wirken, erden und ein Stück weit auch einen. Wer sich in Erinnerung ruft, wie bedrohlich der Kalte Krieg für Deutschland war, erlebt das schöne Gefühl, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen, sehr viel intensiver. Während manche Schulkinder in den 1980er-Jahren auswendig wussten, wie groß die atomaren Overkill-Kapazitäten der USA oder der Sowjetunion waren, fühlen sich heutzutage nur noch wenige durch Atomwaffen bedroht. Das Leben in Deutschland ist in den vergangenen 30 Jahren besser geworden – in Ost und West. Sich das bewusst zu machen, schadet nicht.
Der Jahrestag des Mauerbaus ruft einem aber auch ins Gedächtnis, was es heißt, wenn Staaten die Freiheitsrechte ihrer Bürger missachten, wenn Grundrechte, die Menschen in einem freiheitlichen Rechtsstaat einfach haben, durch staatliche Willkür unterdrückt werden. Die früheren DDR-Bürger haben es erlebt, dass weder ihre Wohnungen noch ihre Berufswahl vor Übergriffen sicher waren. Versuche, das Land zu verlassen, haben sie im schlimmsten Fall mit dem Leben bezahlt. Heutzutage können sie wohnen, wo sie wollen, und reisen, wohin sie wollen – im schlimmsten Fall droht coronabedingt nach der Rückkehr Quarantäne.
Der erste Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, Konrad Adenauer, hat die persönliche Freiheit als das höchste Gut des Menschen bezeichnet. Allerdings – und das geht derzeit etwas unter – hat das Recht auf persönliche Freiheit seine Grenze, wenn Rechte anderer und das Gemeinwohl gefährdet sind. Wer das nicht anerkennen will, verwechselt Freiheit mit Egoismus, und der ist selbst in der freiheitlichsten Demokratie nicht durch Gesetze geschützt.