„Wir werden den Dialog mit Russland und China brauchen“
Bundesaußenminister Heiko Maas über Frieden in Afghanistan, die Pipeline Nord Stream 2 und seine Pläne für die Zukunft
- Bundesaußenminister Heiko Maas blickt auf dreieinhalb Jahre im Auswärtigen Amt zurück – und auf eine Zeit, die geprägt war von Krisen und globalen Herausforderungen wie der Corona-Pandemie. Im Interview erläutert der SPD-Politiker, wie es in Afghanistan weitergehen soll, warum wirtschaftliche Kooperation mit Russland in deutschem Interesse liegt – und mit welcher Partei er sich keine Koalition vorstellen kann.
Herr Maas, Sie sind seit dreieinhalb Jahren im Amt. Täuscht es, oder ist die Welt seitdem unruhiger geworden?
Das täuscht überhaupt nicht, das ist so. Schon mein Vorvorgänger FrankWalter Steinmeier hat gesagt: „Die Welt ist aus den Fugen.“
In Afghanistan überschlagen sich die Ereignisse, nach Einschätzung von US-Geheimdiensten könnte die Hauptstadt Kabul schon bald, wenige Wochen nach dem Abzug der westlichen Truppen, an die Taliban fallen. War der Einsatz umsonst?
Nein, das glaube ich nicht. Es hat sich in diesen 20 Jahren in Afghanistan viel verändert. Angefangen vom gestiegenen Durchschnittseinkommen, über die gestiegene allgemeine Lebenserwartung und die gesunkene Kindersterblichkeit, bis hin zur Tatsache, dass Mädchen zur Schule gehen können – es hat Fortschritte gegeben. Sie müssen politisch verankert werden. Deshalb tun wir alles, um den Friedensprozess zu stärken. Wenn er misslingt, kann es sein, dass diese Fortschritte schnell wieder verschwinden.
Welche Einflussmöglichkeit hat der Westen denn überhaupt noch, um die Lage in dem Land zu stabilisieren?
Afghanistan wird ohne die finanzielle Unterstützung des Westens keine Zukunft haben. Wir beteiligen uns daran mit jährlich 430 Millionen Euan ro. Aber unsere Hilfe ist davon abhängig, ob es einen nachhaltigen Frieden gibt und dass die Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre verankert werden. Sollten die Taliban ein Kalifat errichten, werden sie sich international abkoppeln, wird es keine diplomatische Anerkennung für solch einen Staat geben, und es wäre Schluss mit den internationalen Hilfsprogrammen. Das muss man ihnen sehr deutlich machen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat gerade die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan gestoppt. Wird das angesichts des Machtzuwachses der Taliban ein Dauerzustand sein?
Das wird von der Entwicklung vor Ort abhängen. Die afghanische Regierung hat uns gebeten, ein Moratorium für Rückführungen bis Ende Oktober zu vereinbaren. Um diesen Zeitraum geht es jetzt, dann wird man weitersehen. Die neue Bundesregierung wird dann unter Berücksichtigung der Lage entscheiden müssen, ob zumindest Rückführungsflüge von schweren Straftätern wieder aufgenommen werden können oder nicht.
Beruht der Sinneswandel des Innenministers auch auf einer neuen Lageeinschätzung Ihres Hauses?
Unser letzter Lagebericht von Ende Mai wird gerade aktualisiert. Und er wird bestätigen, dass die Lage im Land sehr ernst ist. Dazu waren wir in der Bundesregierung natürlich in den letzten Tagen schon in Gesprächen.
Die Sanktionen, die wegen des Falls Nawalny gegen Russland verhängt wurden, scheinen Moskau nicht weiter zu stören. Bei den Strafmaßnahmen gegen Belarus sieht das ähnlich aus. Sind Sanktionen denn überhaupt ein Mittel, um Autokraten zum Ändern ihrer Handlungsweise zu bewegen?
Es gibt immer zwei Gründe für Sanktionen: zum einen, um Verhaltensänderungen zu erreichen, und zum zweiten, wenn internationales Recht verletzt wird. Oft kommt es darauf
zu zeigen, dass wir ein bestimmtes Verhalten nicht für akzeptabel halten – auch wenn das Land vielleicht nicht unmittelbar seine Politik ändert. Mit Blick auf Belarus ist das bisher der Fall. Dort sind wir aber auch noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Wenn Lukaschenko sein Verhalten nicht verändert, werden weitere Sanktionen unabwendbar sein, darüber wird in Brüssel diskutiert.
Mit der Erdgaspipeline Nord Stream 2 macht sich die EU ein Stück weit abhängiger von russischem Gas. Sehen Sie darin eine Gefahr?
Wir importieren russisches Gas bereits seit Sowjetzeiten. Wir haben dafür Bedarf, denn unsere forcierte
Energiewende – der Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohleverstromung – setzt voraus, dass wir für einen Übergangszeitraum noch fossile Energieträger nutzen können. Es wäre nicht nur falsch, sondern außerordentlich gefährlich, mit Staaten wie Russland oder auch China keinerlei wirtschaftliche Beziehungen mehr zu unterhalten. Wer dieses Ziel anstrebt, riskiert, dass man die beiden Staaten einander in die Arme treibt und auf diese Weise den weltweit größten wirtschaftlich-militärischen Komplex schafft. Das kann nicht in unserem langfristigen Interesse sein. Wir werden den Dialog mit Russland und China brauchen, wenn wir globale Herausforderungen wie den Klimawandel bewältigen wollen.
Ihre erste Amtszeit neigt sich jetzt dem Ende zu. Was sollen die Menschen und die Geschichtsbücher mit diesen dreieinhalb Jahren Heiko Maas als Außenminister verbinden?
Die Zeit war international keine einfache. Erst hatten wir Donald Trump im Weißen Haus, dann kam das Coronavirus. Ich habe meine Politik an dieser Erkenntnis ausgerichtet: Unsere großen Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Migration und auch die Pandemie haben eines gemeinsam: Grenzen spielen keine Rolle mehr, man braucht mehr internationale Zusammenarbeit. Wir haben die Allianz für Multilateralismus gegründet, der inzwischen mehr als 70 Länder beigetreten sind. Dafür haben wir unter schwierigen Rahmenbedingungen gekämpft.
Nach der Bundestagswahl wird voraussichtlich eine Regierung in anderer Zusammensetzung die Macht übernehmen. Welche Konstellation wäre Ihnen da die liebste?
Es wird keine Große Koalition mehr geben. Nachdem wir in den vergangenen vier Legislaturperioden dreimal solche Koalitionen hatten, glaube ich, dass es genug ist.
Hielten Sie denn einen linken Außenminister unter einer rot-rotgrünen Regierung für verantwortbar, falls die Mehrheit für ein solches Bündnis zusammenkäme?
Wegen der außenpolitischen Vorstellungen der Partei Die Linke kann ich mir solch ein Bündnis nur schwer vorstellen. Darüber müssen aber die Wähler entscheiden. Und ich bin überzeugt, dass Deutschland auch mit einer Koalition aus drei Parteien regierbar ist. Die politische Landschaft verändert sich. Einen Automatismus, dass immer die stärkste Partei den Kanzler stellt, gibt es nicht und hat es auch nie gegeben.
Würden Sie Ihr außenpolitisches Erbe denn gern in die Hände eines grünen Außenministers legen?
Ich fühle mich zu jung, um mir über mein Erbe Gedanken zu machen.
Sie möchten also gern selbst Außenminister bleiben?
Das ist ein extrem interessantes, tolles Amt, in dem man viel lernt. Über die Welt und über Deutschland, aber auch darüber, wie Deutschland in der Welt gesehen wird – nämlich weitaus besser, als manchmal in Deutschland über Deutschland gesprochen wird.
Sie stünden also bereit?
Ich kandidiere wieder für den Bundestag. Und da ich ja nichts vererben will, bin ich gern bereit, von den Wählerinnen und Wählern erneut mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betraut zu werden.