Lindauer Zeitung

„Wir werden den Dialog mit Russland und China brauchen“

Bundesauße­nminister Heiko Maas über Frieden in Afghanista­n, die Pipeline Nord Stream 2 und seine Pläne für die Zukunft

- Von Stefan Kegel und Thorsten Knuf

- Bundesauße­nminister Heiko Maas blickt auf dreieinhal­b Jahre im Auswärtige­n Amt zurück – und auf eine Zeit, die geprägt war von Krisen und globalen Herausford­erungen wie der Corona-Pandemie. Im Interview erläutert der SPD-Politiker, wie es in Afghanista­n weitergehe­n soll, warum wirtschaft­liche Kooperatio­n mit Russland in deutschem Interesse liegt – und mit welcher Partei er sich keine Koalition vorstellen kann.

Herr Maas, Sie sind seit dreieinhal­b Jahren im Amt. Täuscht es, oder ist die Welt seitdem unruhiger geworden?

Das täuscht überhaupt nicht, das ist so. Schon mein Vorvorgäng­er FrankWalte­r Steinmeier hat gesagt: „Die Welt ist aus den Fugen.“

In Afghanista­n überschlag­en sich die Ereignisse, nach Einschätzu­ng von US-Geheimdien­sten könnte die Hauptstadt Kabul schon bald, wenige Wochen nach dem Abzug der westlichen Truppen, an die Taliban fallen. War der Einsatz umsonst?

Nein, das glaube ich nicht. Es hat sich in diesen 20 Jahren in Afghanista­n viel verändert. Angefangen vom gestiegene­n Durchschni­ttseinkomm­en, über die gestiegene allgemeine Lebenserwa­rtung und die gesunkene Kinderster­blichkeit, bis hin zur Tatsache, dass Mädchen zur Schule gehen können – es hat Fortschrit­te gegeben. Sie müssen politisch verankert werden. Deshalb tun wir alles, um den Friedenspr­ozess zu stärken. Wenn er misslingt, kann es sein, dass diese Fortschrit­te schnell wieder verschwind­en.

Welche Einflussmö­glichkeit hat der Westen denn überhaupt noch, um die Lage in dem Land zu stabilisie­ren?

Afghanista­n wird ohne die finanziell­e Unterstütz­ung des Westens keine Zukunft haben. Wir beteiligen uns daran mit jährlich 430 Millionen Euan ro. Aber unsere Hilfe ist davon abhängig, ob es einen nachhaltig­en Frieden gibt und dass die Errungensc­haften der vergangene­n 20 Jahre verankert werden. Sollten die Taliban ein Kalifat errichten, werden sie sich internatio­nal abkoppeln, wird es keine diplomatis­che Anerkennun­g für solch einen Staat geben, und es wäre Schluss mit den internatio­nalen Hilfsprogr­ammen. Das muss man ihnen sehr deutlich machen.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer hat gerade die Abschiebun­g von Straftäter­n nach Afghanista­n gestoppt. Wird das angesichts des Machtzuwac­hses der Taliban ein Dauerzusta­nd sein?

Das wird von der Entwicklun­g vor Ort abhängen. Die afghanisch­e Regierung hat uns gebeten, ein Moratorium für Rückführun­gen bis Ende Oktober zu vereinbare­n. Um diesen Zeitraum geht es jetzt, dann wird man weitersehe­n. Die neue Bundesregi­erung wird dann unter Berücksich­tigung der Lage entscheide­n müssen, ob zumindest Rückführun­gsflüge von schweren Straftäter­n wieder aufgenomme­n werden können oder nicht.

Beruht der Sinneswand­el des Innenminis­ters auch auf einer neuen Lageeinsch­ätzung Ihres Hauses?

Unser letzter Lageberich­t von Ende Mai wird gerade aktualisie­rt. Und er wird bestätigen, dass die Lage im Land sehr ernst ist. Dazu waren wir in der Bundesregi­erung natürlich in den letzten Tagen schon in Gesprächen.

Die Sanktionen, die wegen des Falls Nawalny gegen Russland verhängt wurden, scheinen Moskau nicht weiter zu stören. Bei den Strafmaßna­hmen gegen Belarus sieht das ähnlich aus. Sind Sanktionen denn überhaupt ein Mittel, um Autokraten zum Ändern ihrer Handlungsw­eise zu bewegen?

Es gibt immer zwei Gründe für Sanktionen: zum einen, um Verhaltens­änderungen zu erreichen, und zum zweiten, wenn internatio­nales Recht verletzt wird. Oft kommt es darauf

zu zeigen, dass wir ein bestimmtes Verhalten nicht für akzeptabel halten – auch wenn das Land vielleicht nicht unmittelba­r seine Politik ändert. Mit Blick auf Belarus ist das bisher der Fall. Dort sind wir aber auch noch nicht am Ende der Fahnenstan­ge angelangt. Wenn Lukaschenk­o sein Verhalten nicht verändert, werden weitere Sanktionen unabwendba­r sein, darüber wird in Brüssel diskutiert.

Mit der Erdgaspipe­line Nord Stream 2 macht sich die EU ein Stück weit abhängiger von russischem Gas. Sehen Sie darin eine Gefahr?

Wir importiere­n russisches Gas bereits seit Sowjetzeit­en. Wir haben dafür Bedarf, denn unsere forcierte

Energiewen­de – der Ausstieg aus der Atomenergi­e und der Kohleverst­romung – setzt voraus, dass wir für einen Übergangsz­eitraum noch fossile Energieträ­ger nutzen können. Es wäre nicht nur falsch, sondern außerorden­tlich gefährlich, mit Staaten wie Russland oder auch China keinerlei wirtschaft­liche Beziehunge­n mehr zu unterhalte­n. Wer dieses Ziel anstrebt, riskiert, dass man die beiden Staaten einander in die Arme treibt und auf diese Weise den weltweit größten wirtschaft­lich-militärisc­hen Komplex schafft. Das kann nicht in unserem langfristi­gen Interesse sein. Wir werden den Dialog mit Russland und China brauchen, wenn wir globale Herausford­erungen wie den Klimawande­l bewältigen wollen.

Ihre erste Amtszeit neigt sich jetzt dem Ende zu. Was sollen die Menschen und die Geschichts­bücher mit diesen dreieinhal­b Jahren Heiko Maas als Außenminis­ter verbinden?

Die Zeit war internatio­nal keine einfache. Erst hatten wir Donald Trump im Weißen Haus, dann kam das Coronaviru­s. Ich habe meine Politik an dieser Erkenntnis ausgericht­et: Unsere großen Herausford­erungen wie Globalisie­rung, Digitalisi­erung, Klimawande­l, Migration und auch die Pandemie haben eines gemeinsam: Grenzen spielen keine Rolle mehr, man braucht mehr internatio­nale Zusammenar­beit. Wir haben die Allianz für Multilater­alismus gegründet, der inzwischen mehr als 70 Länder beigetrete­n sind. Dafür haben wir unter schwierige­n Rahmenbedi­ngungen gekämpft.

Nach der Bundestags­wahl wird voraussich­tlich eine Regierung in anderer Zusammense­tzung die Macht übernehmen. Welche Konstellat­ion wäre Ihnen da die liebste?

Es wird keine Große Koalition mehr geben. Nachdem wir in den vergangene­n vier Legislatur­perioden dreimal solche Koalitione­n hatten, glaube ich, dass es genug ist.

Hielten Sie denn einen linken Außenminis­ter unter einer rot-rotgrünen Regierung für verantwort­bar, falls die Mehrheit für ein solches Bündnis zusammenkä­me?

Wegen der außenpolit­ischen Vorstellun­gen der Partei Die Linke kann ich mir solch ein Bündnis nur schwer vorstellen. Darüber müssen aber die Wähler entscheide­n. Und ich bin überzeugt, dass Deutschlan­d auch mit einer Koalition aus drei Parteien regierbar ist. Die politische Landschaft verändert sich. Einen Automatism­us, dass immer die stärkste Partei den Kanzler stellt, gibt es nicht und hat es auch nie gegeben.

Würden Sie Ihr außenpolit­isches Erbe denn gern in die Hände eines grünen Außenminis­ters legen?

Ich fühle mich zu jung, um mir über mein Erbe Gedanken zu machen.

Sie möchten also gern selbst Außenminis­ter bleiben?

Das ist ein extrem interessan­tes, tolles Amt, in dem man viel lernt. Über die Welt und über Deutschlan­d, aber auch darüber, wie Deutschlan­d in der Welt gesehen wird – nämlich weitaus besser, als manchmal in Deutschlan­d über Deutschlan­d gesprochen wird.

Sie stünden also bereit?

Ich kandidiere wieder für den Bundestag. Und da ich ja nichts vererben will, bin ich gern bereit, von den Wählerinne­n und Wählern erneut mit einer verantwort­ungsvollen Aufgabe betraut zu werden.

 ?? FOTO: MICHAEL SOHN/AFP ?? Die großen Herausford­erungen der Zeit lassen sich nach Ansicht von Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) nicht nationalst­aatlich lösen.
FOTO: MICHAEL SOHN/AFP Die großen Herausford­erungen der Zeit lassen sich nach Ansicht von Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) nicht nationalst­aatlich lösen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany