Brust und Keule aus der Retorte
Inwiefern künstlich hergestelltes Fleisch eine Alternative zur Tierhaltung sein kann
- Auf den Genuss eines Steaks oder Würstchens, von Salami, Aufschnitt oder Zwiebelrostbraten wollen die meisten Menschen nicht verzichten. Doch das bringt viele Probleme bei der Nutztierhaltung mit sich. Kann die künstliche Erzeugung von Fleisch eine Alternative dazu werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Gibt es künstlich Fleisch bereits?
erzeugtes
Hähnchen-Nuggets aus der Retorte sind kein Gedankenspiel von Science-Fiction-Autoren mehr. Im noblen Club 1880 in Singapur werden sie seit vergangenem Dezember zusammen mit chinesischen Teigtaschen für etwas mehr als 14 Euro im Restaurant aufgetischt. Den ersten Burger aus künstlich hergestelltem Rindfleisch gab es in den Niederlanden schon 2013. Dessen Kosten lagen allerdings noch bei rund 250 000 Euro. Weltweit arbeiten etwa 70 Unternehmen an Technologien, die dem Leid der Schlachttiere ein Ende bereiten könnten. Doch von einer breiten Markteinführung ist das Fleisch aus der Petrischale noch weit entfernt. Wie weit, weiß derzeit niemand. Eine schnelle Markteinführung ist in Europa nicht zu erwarten. Bisher hat kein Produkt die erforderliche Zulassung als neues Lebensmittel. Allein dieser bürokratische Prozess, in dem sie die gesundheitliche Unbedenklichkeit nachweisen müssen, dauert zwei bis drei Jahre.
Wie wird künstliches Fleisch hergestellt?
Das Fleisch wird aus Stammzellen der jeweiligen Tiere gezüchtet. Das können zum Beispiel Rinder oder auch Hühner sein. In einer Nährlösung teilen sich die Zellen, und es wächst eine Fleischmasse heran. Drei Wochen dauert nach Angaben der israelischen Firma Aleph Farms die künstliche Aufzucht eines Steaks. Das ist allerdings schon die kompliziertere Aufgabe, weil Muskelfleisch mit einem gewissen Fettanteil nachgebildet werden muss. Leichter ist die Herstellung von einer schlichten Fleischmasse, wie sie etwa für Burger benötigt wird.
Welche Hürden müssen noch überwunden werden?
Eine Herausforderung ist die Nährlösung, die für das Burger-Wachstum sorgt. Es wurde bisher meist aus einem Serum hergestellt, das lebenden Kälberföten aus dem Herzblut entnommen wird. Die Föten sterben danach. Künftig sollen andere Seren auf pflanzlicher Basis diese Aufgabe übernehmen. Auch müssen Bioreaktoren gebaut werden, die das In-vitroFleisch in großen Mengen erzeugen können. Die Produktion erfordert nach Angaben von Experten sehr viel Energie. Wie weit die Unternehmen mit dem Aufbau effizienter Strukturen sind, ist nicht genau bekannt. Sie lassen sich nicht gerne in ihre technologischen Karten schauen. Schließlich erwarten sie einen Milliardenmarkt für Retortenfleisch.
Sieht es auch aus wie ein Hühnchen oder ein Steak?
Ein ganzes Brathähnchen oder eine Haxe wird es nicht aus der Retorte geben. Vielmehr werden wohl kleine Stücke, vor allem aber eine Art Hack in den Bioreaktoren herangezüchtet. „Ein ganzes Steak oder Schnitzel hat nach meiner Kenntnis noch kein Unternehmen geschafft, auch wenn in der Eigenwerbung ein Profikoch feste Stücke auf den Grill legt“, sagt die Wissenschaftlerin Silvia Woll vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Wenn überhaupt, wachsen bisher kleinere Fleischstreifen heran. Auch die Hähnchen-Nuggets in Singapur hält die Expertin nur für einen kleinen Durchbruch mit Haken. Denn die Nuggets bestünden nur zum Teil aus In-vitro-Fleisch, zum anderen aus pflanzlichen Stoffen. „Das Verhältnis verschweigt die Firma“, kritisiert sie. Hersteller ist das Unternehmen Eat Just aus Kalifornien.
Ist Retortenfleisch gesund?
Umfassende Studien dazu gibt es noch nicht. Experten gehen aber davon aus, dass Fleisch aus dem Bioreaktor für Menschen eine gesündere Alternative zum normalen Fleisch von Schlachttieren werden kann. Es werden keine Wachstumshormone benötigt, es landet kein chemischer Rückstand aus verabreichten Antibiotika in der Masse. Auch ist die Gefahr von Keimen und anderen Krankheitserregern geringer als bei einer Ernährung mit Zuchttieren. Schließlich könnten auch noch gesundheitsfördernde Stoffe beigemischt werden. So oder ähnlich argumentieren die Verfechter des Retortenfleisches. Forscherin Woll sieht die hohen Erwartungen eher skeptisch. „Man sollte die großen Versprechen mit Vorsicht genießen“, warnt sie. Wissenschaftlich erwiesen seien weder Vorteile für die Gesundheit noch für die Umwelt oder das Klima.
Mogeln die Hersteller bei der Darstellung ihrer Entwicklungsfortschritte?
Zumindest kündigten einige Unternehmen in der Vergangenheit immer wieder einen vergleichsweise kurzen Zeitraum bis zum Durchbruch ihrer Forschungen an. Eingehalten wurde das Versprechen bislang nicht. Zu Übertreibungen neigt die Branche auf jeden Fall, auch schon bei der Namensgebung. Statt In-vitro-Fleisch oder Retortenfleisch sprechen sie lieber von „Clean Meat“oder „Cultivated Meat“, also sauberem oder kultiviertem Fleisch.
Ist künstliches Fleisch vegetarischen Alternativen überlegen?
Das ist bisher nach Einschätzung des Umweltbundesamtes nicht der Fall. „Aus Umweltsicht sind pflanzliche Fleischersatzprodukte die beste Fleischalternative“, heißt es in einer vergleichenden Studie des Amtes. Sowohl beim Wasserverbrauch als auch beim Landverbrauch weisen Soja oder Getreide die bessere Umweltbilanz aus. Eine Zahl verdeutlicht den Unterschied. Für die Produktion eines Kilogramms Fleisch werden laut KIT 15 000 Liter Wasser benötigt, für ein Kilo Kartoffeln nur 255 Liter Wasser. Allerdings erwarten Experten auch vom In-vitroFleisch einen Fortschritt gegenüber der konventionellen Fleischproduktion. Dazu kommt, dass insbesondere rotem Fleisch bei übermäßigem Genuss eine Mitursache für Wohlstandskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck zugewiesen wird.
Macht die Züchtung die Welternährung sicherer?
Auch diese Hoffnung ist zumindest derzeit noch verfrüht. Selbst wenn es gelingen sollte, in großem Maße Fleisch künstlich herzustellen, ist die Produktion nicht hundertprozentig effizient, wenngleich die Energiebilanz besser ist als bei der konventionellen Tierhaltung. Um für die Ernährung eine Kalorie zu gewinnen, müssen beim Rind sieben Kalorien aufgewendet werden, beim Huhn immer noch drei Kalorien. In-vitroFleisch kommt mit zwei Kalorien aus. Aber es muss auch hier mehr hineingesteckt werden, als herausgeholt wird. „Die beste Lösung ist eine vegetarische Ernährung“, stellt Forscherin Woll daher fest.
Wird die herkömmliche Massentierhaltung mit viel Tierleid bald überflüssig?
In absehbarer Zeit ist das sicher nicht der Fall. Sollte Fleisch aber irgendwann in großen Mengen in Fabriken produziert werden können, könnte es einen Teil der konventionellen Tierhaltung ersetzen und vielleicht auch für weniger Tierleid sorgen. Ohne lebende Tiere kommen die Hersteller des Retortenfleisches
aber auch noch nicht aus. Sie brauchen zum Beispiel die Stammzellen von Rindern, die in einem schmerzhaften Prozess vom lebenden Tier gewonnen werden. Die KIT-Forscher halten es dennoch für möglich, dass am Ende des Entwicklungsprozesses weniger Tiere unter besseren Bedingungen gehalten werden. Sicher ist das jedoch wie so vieles nicht.
Wer entwickelt das künstliche Fleisch?
Den ersten Burger aus dem Labor stellte Mark Post von der Universität Maastricht 2013 vor. Die Niederlande zählen auch heute noch zu den Vorreitern bei der Entwicklung. Weit vorne liegen dabei auch Unternehmen aus den USA und Israel. Auch ein deutsches Start-up ist dabei. Innocent Meat heißt die Firma mit Sitz in Rostock, die auf einen Durchbruch des Fleisches ohne Tierleid hofft. Wie stark der Wunsch nach einer Fleischalternative und einem neuen Wachstumsmarkt ist, zeigen die in die Entwicklung gesteckten Summen. In Finanzierungsrunden fällt es den Start-ups nicht schwer, hohe Millionenbeträge einzuwerben. Bill Gates gehört ebenso zu den Finanziers wie der deutsche Geflügelkonzern Wiesenhof oder der britische Unternehmer Richard Branson, der gerade mit einer Stippvisite im Weltraum für Schlagzeilen sorgte.
Wie interessant ist der Markt?
Nimmt man alle Sparten der Fleischproduktion von der Landwirtschaft bin hin zur verarbeitenden Industrie zusammen, steht unter dem Strich ein Jahresumsatz von 46 Milliarden Euro. Allein in Deutschland verzehrt jeder Bürger im Jahr statistisch betrachtet etwa 57 Kilogramm Fleisch. Es war zwar schon einmal mehr, doch eine Abkehr von Braten oder Steak ist nicht zu erwarten. Pflanzliche Alternativen reichen immer noch nicht ganz an Konsistenz und Geschmack an echtes Fleisch heran. In-vitro-Fleisch könnte also konventionellen Produkten einige Marktanteile abnehmen. Darauf hoffen die Gründer der noch jungen Technologiefirmen und ihre Finanziers.
Kann die Technologie im Kampf gegen den Klimawandel helfen?
Darauf hoffen Umweltschützer. Die Fleischproduktion ist weltweit allein für etwa 15 Prozent des Klimagases CO2 verantwortlich. Wenn der Konsum wie prognostiziert auch mit einem wachsenden Wohlstand in den Schwellenländern und der ebenfalls größer werdenden Weltbevölkerung anwächst, wird die Atmosphäre in zunehmenden Maße belastet und die Erderwärmung forciert. Sollte es gelingen, einen größeren Teil der Nachfrage aus dem Bioreaktor zu decken, kann dies einen beträchtlichen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Ob und wann es soweit ist, ist allerdings noch völlig unklar.
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