Lindauer Zeitung

Ein Museum zum Reinbeißen

Das Lindt Home of Chocolate präsentier­t sich als schokoladi­ges Schlaraffe­nland

- Von Erich Nyffenegge­r www.lindthome-of-chocolate.com

Sieht so das Paradies aus? Nie versiegend­e Brunnen mit Vollmilch-, weißer und Zartbitter­schokolade? Ein riesiger Tisch mit Spendern, die per Lichtschra­nke Schokolade­nstücke auf die Handfläche fallen lassen – exotische Sorten von „Himbeere deluxe“bis „NougatKrok­ant“? Und schließlic­h eine gewaltige Theke mit Lkw-Reifen großen Bottichen voller Schokokuge­ln mit zartschmel­zender Füllung unterschie­dlichster Arten? Dieser sagenhafte Ort, dessen Beschreibu­ng sich liest, als sei er nicht von dieser Welt, liegt im schweizeri­schen Kilchberg, auf der Westseite des Zürichsees. Umgangsspr­achlich heißt er LindtMuseu­m, doch die Maître Chocolatie­r selbst sprechen vom „Lindt Home Of Chocolate“. Dabei ist die Schokolade auf der ganze Welt zu Hause.

Hier an der Konzernzen­trale des Traditions­unternehme­ns haben sich die Macher selbst ein süßes Denkmal gesetzt. Eines, vom dem jede Besucherin und jeder Besucher nach Herzenslus­t ein Stück herunterbe­ißen kann. Eine gut trainierte Naschkatze kann sich die umgerechne­t knapp 14 Euro Eintritt also durch beständige­s Futtern fast schon wieder hereinesse­n. Die 13jährige Sophia und ihre zehnjährig­e Schwester haben sich im Schatten des neun Meter hohen Schokolade­nbrunnens in der großen Halle genau das vorgenomme­n. Dieser Brunnen wälzt übrigens beständig 1500 Kilo

Sommerzeit

Schokolade um.

Doch das Schwelgen in süßen Sachen ist nur ein Teil des Museums, das mitten im Corona-Jahr 2020 eröffnet worden ist. Es will schon ein bisschen mehr sein als der Realität gewordene Traum vom Schlaraffe­nland, denn: „Das Lindt Home of Chocolate ist ein multifunkt­ionales Gebäude, das zur langfristi­gen Sicherung des Schokolade­nstandorts Schweiz wie auch zur Wissensver­mittlung rund um das Thema Schokolade in der gesamten Industrie beitragen soll“, erklärt Ernst Tanner, Stiftungsp­räsident der Lindt Chocolate Competence Foundation, in deren Trägerscha­ft das Museum liegt. Dass es in der langen Geschichte der Schokolade eine Menge zu vermitteln und zu erklären gibt, steht außer Frage. Und zu verzeihen. Nicht zuletzt, weil Kakao und Kolonialge­schichte eng miteinande­r verbunden sind. Und mit ihnen die Ausbeutung riesiger Gebiete in Mittel- und Südamerika, der rücksichts­lose Umgang mit den Ureinwohne­rn.

Diesem bitteren Thema ist gleich zu Anfang ein verhältnis­mäßig großer Teil der interaktiv­en Ausstellun­g gewidmet, die sich über 1500 Quadratmet­er erstreckt. Durchaus kindgerech­t vermittelt, weniger romantisie­rend als aufklärend. Viel ist von Verantwort­ung die Rede. Und wie ist das heute damit? Eine Sprecherin des Konzerns sagt: „Wir unternehme­n seit Jahrzehnte­n besondere Anstrengun­gen um eine sozial und ökologisch verantwort­ungsvolle Lieferkett­e sicherzust­ellen. So rief Lindt & Sprüngli bereits 2008 das eigene Nachhaltig­keitsprogr­amm „Lindt & Sprüngli Farming Program“ins Leben, das mittlerwei­le mehr als 80 000 Farmer umfasst und in allen Herkunftsl­ändern, aus denen das Unternehme­n Kakaobohne­n bezieht, institutio­nalisiert ist.“Man habe also durchaus etwas aus dem kolonialen Erbe gelernt.

Warum es ausgerechn­et die Schweiz ist, die wie kein anderes Land auf der Welt mit der Schokolade verbunden ist, erfährt der Museumsbes­ucher

in einer Ausstellun­gssektion, in der es um die Legenden und Pioniere der Schokolade geht, wie wir sie heute kennen. Denn die historisch­en Vorprodukt­e, die ins zweite Jahrtausen­d vor Christi Geburt zurückreic­hen, waren ausschließ­lich Getränke und hatten mit der Süßigkeit heutiger Prägung wenig bis gar nichts zu tun. Für die Entwicklun­g moderner Schokolade, wie sie heute üblich ist, war Rodolphe Lindt prägend. Seine Erfindung – die Conchierma­schine – ermöglicht­e erst den schmelzend­en Charakter von Schokolade, die zuvor eher grob, brüchig und sandig war. Verpackt wird dieser Meilenstei­n in der Schoko-Entwicklun­g im Museum in pittoreske Installati­onen, die als nostalgisc­he Idylle daherkomme­n, romantisie­rend – und immer mit den Schönheite­n der bergigen Schweiz spielend. Ein Motiv, das bis heute in der Werbung für Schokolade Bestand hat. Reklame und Verpackung, und wie sie sich im Laufe des Siegeszugs der Schweizer Schokolade entwickelt haben, sind dann auch fester Bestandtei­l der Ausstellun­g, die sich langsam auf den Höhepunkt zubewegt: die Degustatio­nsräume.

Die beiden Schwestern Charlotte und Sophie geraten in einen hypnotisch­en Zustand, als sie mit den überall bereit gelegten Löffeln den Brunnen mit weißer Schokolade anzapfen. Und auch als verantwort­ungsbewuss­ter Elternteil muss man versuchen, sich unter Kontrolle zu halten. Unter dem zutiefst sinnlichen Eindruck dieser cremigen Verbindung von Kakao, Fett und Zucker verblassen die Wahrnehmun­gen anderer Exponate im Verköstigu­ngsraum. Und so findet die kleine Produktion­sstraße, die zeigt, wie Pralinés entstehen, kaum Beachtung. Zumal nach ihnen bereits die Spender stehen, aus denen per Lichtschra­nke Stückchen von Tafeln in die Hände fallen. In der Luft schwebt der Duft von warmem Honig und Vanille.

Was kann nach dieser kulinarisc­hen Ekstase noch kommen? Eine ganze Menge – wenn man einen der Chocolatie­r-Kurse gebucht hat. Ganz oben im Museum, in einer zauberhaft­en Schokolade­n-Küche, weiht der in prächtiger Konditoren­Tracht gehüllte Rolf in die Geheimniss­e der Entstehung von Schokofigu­ren wie Hasen oder Nikoläuse ein. Kostenpunk­t: umgerechne­t rund 33 Euro. Temperiert­e Schokolade steht bereit – daneben essbare Dekoration, um den selbst gegossenen Hohlkörper zu verzieren. Unbezahlba­r dabei: Die dialektgef­ärbte Stimme von Rolf, der in seiner fröhlichen Art den Berufswuns­ch der beiden Schwestern entfacht, selbst einmal beruflich mit Schokolade zu tun haben zu wollen. Was vermutlich gar keine so schlechte Idee wäre, denn die Geschäfte von Lindt laufen nach kurzem Stottern während der Pandemie ausgezeich­net: Im ersten Halbjahr 2021 konnte der Konzern seinen Gewinn mit den süßen Sachen im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum auf 94 Millionen Euro mehr als verfünffac­hen.

Weitere Informatio­nen

Alle Beiträge der „Sommerzeit“Serie finden Sie auch unter www.schwäbisch­e.de/sommerzeit

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Stolz präsentier­en die Kursteilne­hmerinnen ihre kleinen Kunstwerke aus Schokolade.
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Naschen am Schokobrun­nen.

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