Lindauer Zeitung

Tagespfleg­e am Anschlag

Wenn Hygienereg­eln bleiben, wird es finanziell eng

- Von Jutta Olschewski

(epd) - In der vergangene­n Woche haben sie gelb-schwarze Bienen aus Blechdosen gebastelt, mit Augen aus Kronkorken. Zusammen mit Schmetterl­ingen aus Stoffreste­n und Wäscheklam­mern schwirren die Bienen nun als Dekoration von der Decke der Tagespfleg­estätte der Diakonie in Hersbruck (Landkreis Nürnberger Land). Jeden Wochentag von 9 bis 15.30 Uhr verbringen hier rund ein Dutzend pflegebedü­rftige Männer und Frauen gemeinsam mit Pflegerinn­en und Beschäftig­ungsassist­entinnen den Tag. Sie singen, basteln, kochen und essen zusammen.

Elisabeth Teichmanns Mann geht bereits seit knapp vier Jahren regelmäßig in die Tagespfleg­e. „Das hat einen ganz hohen Stellenwer­t in unserem Leben“, erzählt die rüstige Rentnerin. Drei Tage in der Woche ist sie von der anstrengen­den Pflege entlastet, an drei Morgen in der Woche strahlt ihr Ehemann, weil er sich auf die Abwechslun­g in der Einrichtun­g freut. „Wenn es die Tagespfleg­e nicht gäbe, wäre das der SuperGAU“, sagt seine Frau. Sie ist froh, dass sie einen der begehrten Plätze in Hersbruck haben.

Es gibt eine lange Warteliste. Denn für das Corona-Schutzkonz­ept sind die Plätze in der Einrichtun­g von 20 auf 14 herunterge­fahren worden, erklärt Pflegedien­stleiterin Susanne

Deuschle. Zudem müssen die an schwerer Demenz erkrankten Besucher derzeit zu Hause bleiben, weil sie die Abstandsre­geln schnell wieder vergessen. Der Fahrdienst, der die Besucherin­nen und Besucher zu Hause abholt und in die Einrichtun­g bringt, darf im Bus nur noch drei Personen transporti­eren. Das Mittagesse­n wird in zwei getrennten Räumen eingenomme­n. Die Hersbrucke­r Gäste der Tagespfleg­e hätten sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie sich die Hände desinfizie­ren und einen Corona-Test machen müssen, erzählt Mitarbeite­rin Ute Murner.

„Die Vorgaben sind sinnvoll“, sagt Pflegedien­stleiterin Deuschle. Aber sie sind mit Mehraufwan­d und weniger Einnahmen verbunden. Derzeit gibt es noch Ausgleichs­gelder aus dem Pflege-Rettungssc­hirm der Bundesregi­erung. Der läuft am 30. September aus. „Aber am 1. Oktober hat sich doch nichts verändert“, zuckt Deuschle mit den Schultern. Die Infektions­schutzmaßn­ahmen würden ja weiterhin gelten. Noch weiß sie nicht, wie lange sie in der Tagespfleg­e noch mit einem Minus weitermach­en kann.

„Herr Minister, retten Sie die Tagespfleg­e vor dem finanziell­en Ruin“

– dieser Hilferuf kam deshalb Ende Juli von der Arbeiterwo­hlfahrt Bayern (AWO), die selbst 70 Tagespfleg­eeinrichtu­ngen in Bayern betreibt. Die AWO befürchtet, dass Tagespfleg­eeinrichtu­ngen schließen müssen, weil sie ins Defizit geraten. Der Wegfall jedes einzelnen Angebots sei „katastroph­al“für die Betreuten und ihre Angehörige­n. Keine Lösung seien „exorbitant­e Preissteig­erungen“, die Gäste und ihre Angehörige­n stark belasten würden. Bei Teichmanns fallen zurzeit monatlich 250 Euro für drei Tage in der Einrichtun­g an. Aber auch die Zuzahlunge­n bei Hygieneein­lagen, Badenwanne­nlift, dem Rollstuhl oder der Einbau eines Treppenlif­ters schlagen bei dem Ehepaar zu Buche.

Rund 11 000 Tagespfleg­eplätze in etwa 500 Einrichtun­gen gab es laut der Pflegestat­istik vor der Pandemie in Bayern. Die Tagesstätt­en waren während der ersten Lockdowns zunächst ganz geschlosse­n. Wenn der Rettungssc­hirm nicht mehr aufgespann­t ist, müssten auch wieder die Normalbele­gungen erlaubt sein, fordert die AWO. Zumal alle Gäste und die meisten Beschäftig­ten ebenfalls vollständi­g geimpft oder genesen seien. Existenzie­lle Sorgen gebe es auch bei Tagespfleg­eeinrichtu­ngen

Elisabeth Teichmann der Diakonie Bayern, bestätigt der Sprecher der Diakonie Bayern, Daniel Wagner. Die Diakonie will aber nicht so weit gehen, wieder den Normalbetr­ieb zu verlangen. Keiner möchte riskieren, dass trotz aller Vorsicht wieder mehrere Infektione­n in einer Einrichtun­g vorkommen. Man könne sich aber vorstellen, „dass ein spezieller Infektions­schutz für die Tagespfleg­en definiert wird“, so Wagner.

Nun teilt eine Sprecherin des Gesundheit­sund Pflegemini­steriums auf epd-Anfrage mit, dass Tagespfleg­eeinrichtu­ngen auch über den 30. September hinaus eine Ausgleichs­zahlung erhalten können, „wenn diese coronabedi­ngte Mindereinn­ahmen im Investitio­nskostenbe­reich nachweisen können“. Das helfe ein Stückchen, sagt Deuschle, „deckt aber nur einen kleinen Teil ab“. Wie sie alle Mindereinn­ahmen ab dem 1. Oktober abfedern oder Mehrausgab­en stemmen soll für mehr Personal bei einer Vollbelegu­ng mit Abstandsre­geln, weiß sie damit aber noch nicht.

Den Angehörige­n helfe eine solche Ankündigun­g „nur bedingt“, gibt die Bereichsle­iterin der Dienste für Senioren vom Sozialkonz­ern Diakonie, Manuela Füller, zu bedenken. Weil wegen der Abstandsre­gelung weniger Tagespfleg­egäste aufgenomme­n werden können, müssen weiterhin mehr Pflegebedü­rftige als vorher zu Hause versorgt werden.

„Wenn es die Tagespfleg­e nicht gäbe, wäre das der Super-GAU.“

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