Die Frage zum Sonntag
Wahlumfragen zeigen momentane Stimmung, sagen aber nichts über das Endergebnis aus
- „Welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“Wöchentlich bekommen in Deutschland Tausende Menschen am Telefon oder im Internet diese Frage gestellt. Die Ergebnisse werden in Zeitungen, TV und Radio vermeldet, sie zeigen die Stimmung im Land und die Beliebtheit der einzelnen Parteien. Da von 60,4 Millionen Wahlberechtigten jeweils nur einige Tausend befragt werden, gibt es immer wieder Kritik an der Demoskopie. Eine Übersicht dazu, was die Umfragen aussagen und was nicht.
Wie zuverlässig sind die Umfragen?
Für repräsentative Umfragen bedarf es einer Mindestanzahl befragter Personen. Je höher ihre Anzahl, desto genauere Prognosen sind theoretisch möglich. In der Praxis befragen Umfrageinstitute wie Insa, Emnid, Forsa oder Infratest dimap jeweils mehr als 1000 Personen. „Damit kommen wir bei Umfragen kurz vor den Wahlen bis auf eine Schwankungstoleranz von etwa zwei bis drei Prozent ans Endergebnis heran“, sagt Thomas Petersen, Meinungsforscher beim Allensbach-Institut am Bodensee. Die Ergebnisse der Allensbacher Demoskopen werden unter anderem regelmäßig in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“präsentiert. „Man muss sich das mit der Genauigkeit wie einen Fotoapparat vorstellen, der nie zu hundert Prozent scharf stellt, aber sehr nahe rankommt“, sagt Petersen.
Ein Blick auf die Europawahlen in Deutschland 2019 zeigt, dass renommierte Umfrageinstitute bei Befragungen in den zwei Tagen vor der Abstimmung tatsächlich sehr nah am Endergebnis landeten: Für die Union etwa errechneten die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF und das Institut Insa jeweils 28 Prozent Zustimmung. CDU und CSU erhielten tatsächlich 28,9 Prozent der Wählerstimmen.
Bei den Bundestagswahlen 2017 allerdings ordneten fast alle Umfrageergebnisse die Christdemokraten – innerhalb der Toleranzbereiche – vorher stärker und die AfD schwächer ein. Und im Vorfeld der Landtagswahlen im Juni in Sachsen-Anhalt legten Insa-Ergebnisse ein Kopfan-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD nahe. Auch die anderen Institute sahen die CDU in den Tagen und Wochen vorher maximal bei 30 Prozent. Am Ende landete die Partei bei 37,1 Prozent, die AfD bei 20,8. Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith erklärt das damit, dass die Umfragen lediglich eine Momentaufnahme darstellen. „SachsenAnhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat angesichts der Umfragen in seiner Kampagne am Ende alles auf eine Karte gesetzt: CDU wählen, um AfD zu verhindern.“Das könne durchaus zu kurzfristigen Wählerwanderungen von anderen Parteien zur CDU geführt haben. Eith bescheinigt besonders den Umfragen im Auftrag von ARD und ZDF hohe Zuverlässigkeit. „Sie werden am Wahlabend mit den 18-Uhr-Prognosen direkt an den Ergebnissen gemessen. Nach meiner Beobachtung lagen sie fast immer sehr nah dran.“
Wie aussagekräftig sind Umfragen lange vor Wahlen?
Monate vor den Bundestagswahlen 2017 ritt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auf einer Welle des Erfolgs: Ende Januar, als er die Parteispitze von Sigmar Gabriel übernahm, lag die Partei in Umfragen bei 21 Prozent. Nur dreieinhalb Wochen später gaben 33 Prozent der Befragten an, der SPD ihre Stimme geben zu wollen. Es war ein Höhenflug, der die Partei regelrecht zu beflügeln schien. Doch bei der Wahl am 24. September schloss die SPD ledig
Das Forsa-Institut, die Forschungsgruppe Wahlen und Emnid haben für die SPD in dieser Woche jeweils 19 Prozent Zustimmung ermittelt. Bei Forsa ist das ein Zuwachs um drei Prozent zur Vorwoche und das beste Ergebnis seit April 2018. Die Union liegt in den Umfragen, die zwischen Mittwoch und Freitag veröffentlicht lich mit 20,5 Prozent Wähleranteil ab – ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit. Der „Schulzzug“war ruckartig zum Stehen gekommen, Kritik an der Meinungsforschung wurde laut. Zu Unrecht, sagt Allensbach-Mitarbeiter Petersen: „Wir sammeln Infos in Momentaufnahmen und stellen sie dar, sie führen aber nicht dazu, dass wir Monate vorher sagen können, wie eine Wahl am Ende ausgeht.“Tatsächlich handele es sich also bei Meinungsumfragen nicht um Prognosen. Petersen sieht die Verantwortung für den richtigen Umgang mit diesen Informationen bei den Medien. Aufmerksamkeitsheischende Schlagzeilen bei Zuwächsen und Verlusten innerhalb der Schwankungsgrenzen etwa seien unangebracht und irreführend.
Wie werden die Befragten ausgewählt?
Um ein möglichst repräsentatives Ergebnis zu erreichen, setzen die Institute häufig auf den Zufallsfaktor. Infratest dimap, das die Umfragen für den ARD-Deutschlandtrend durchführt, wählt Telefonnummern per Zufallsgenerator aus. Gleichzeitig werden online ebenfalls zufällig ausgewählte Menschen aus einem wurden, zwischen 22 (Emnid) und 26 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen). Die Grünen liegen zwischen 19 und 21 Prozent, die FDP zwischen elf und zwölf Prozent. Der AfD würden laut der Umfragen aktuell zwischen zehn und elf Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme geben, der Linken sieben Prozent. (saf)
Pool von etwa 150 000 freiwilligen Kunden des Bonussystems Payback befragt. Nach den Befragungen werden die Anteile – zum Beispiel von Männern und Frauen oder der verschiedenen Altersgruppen – analysiert und entsprechend der tatsächlichen Anteile an den Wahlberechtigten gewichtet. Wählen die Zufallsgeneratoren etwa deutlich mehr Männer als Frauen aus, werden deren Stimmen entsprechend etwas stärker berücksichtigt. Andere Institute kombinieren ebenfalls Anrufe, Online-Umfragen oder persönliche Gespräche miteinander.
Wozu die Ergebnisse?
„Die Bürger haben das Recht, sich zu informieren. Die Demoskopie bietet die einzigen verlässlichen Informationen über die Stimmung vor der Wahl“, sagt Petersen. Auch für Nachbetrachtungen und spätere Analysen der politischen Entwicklungen seien die Erkenntnisse bedeutend. Untersuchungen dazu, ob und wie Umfrageergebnisse die Wahlentscheidung Einzelner beeinflussen, gibt es zwar, „die Ergebnisse sind aber dürftig“, sagt Petersen. Wenn überhaupt sei der Einfluss gering. „Doch selbst wenn es den Einfluss gäbe: Wäre etwa taktisches Wählen denn illegitim? Ich sage Nein.“
Parteien könnten außerdem für politische Entscheidungen die Stimmung im Land beachten. Politikwissenschaftler Eith sieht darin für die Parteien die Chance, ihre Kampagnen zielgerichteter zu führen. Für die Bürger böten die Umfragen ein wichtiges Angebot, um sich zu informieren und zu orientieren: „Wir Menschen fragen uns immer: Wo stehe ich und wo stehen die anderen?“