Ernte als Nervensache
Bauern im Südwesten rechnen wegen des vielen Regens mit deutlichen Einbußen
(dpa) - Bauernweisheiten können auch so richtig danebenliegen. Der laufende Sommer ist ein gutes Beispiel dafür. „Ist der Mai kühl und nass, füllt's dem Bauern Scheun und Fass“, heißt es bei den Landwirten. Nun legte der Mai zwar auch genauso los, wie ihn die Bauern haben wollen. Aber in den Monaten danach gehörten Unwetter, Stürme und Hagelschläge im Land geradezu zur Tagesordnung. Nirgends in Deutschland regnete es im Juni so viel wie in Baden-Württemberg. „Scheun und Fass“dürften sich da kaum gefüllt haben bei vielen Landwirten, wenn man nach den Erwartungen der Bauern geht.
„Das Problem war, dass es nicht aufgehört hat zu regnen“, sagt Martin Armbruster vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband. „Und irgendwann wird es dann zu viel und es kann nichts abreifen.“Nur das Gras sei gut gewachsen bislang.
Vielen Landwirten gerät dadurch vor allem der Zeitplan durcheinander. „Wir sind etwa zwei Wochen hinten dran“, sagt Ariane Amstutz, Sprecherin des Landesbauernverbands. „Die Ernte ist dieses Jahr eine echte Nervensache.“Wegen des Regens seien die Landwirte nicht auf die Flächen gefahren und würden regelmäßig ausgebremst. „Es hat schlussendlich zum falschen Zeitpunkt zu viel geregnet“, sagt auch Amstutz. In einigen Regionen habe es Hagelschäden gegeben. „Außerdem sind Flächen abgesoffen oder Sturm und Starkregen haben das Getreide flachgelegt.“
„Land unter“hatten einige Bauern bereits Anfang Juli gemeldet. In den Kreisen Esslingen, Reutlingen, Tübingen und Zollernalb mussten Landwirte nach Angaben des Landesbauernverbands bis zu 100 Prozent von ihrem Mais, Getreide und ihren Kartoffeln abschreiben. In den Landkreisen Calw und Freudenstadt war der zweite Schnitt im Grünland wegen Starkregens nicht mehr möglich. Viele kommt das teuer zu stehen, weil sie keine Hagelversicherung besitzen. Der Verband rät dazu, weil das Wetter immer unkalkulierbarer werde.
Nach den Wetterkapriolen der vergangenen Monate könnte die Ernte der Zwetschgenbauern sogar deutlich einbrechen. Wegen der starken Blütenfröste gehen die Prognosen nach Angaben des Statistischen Landesamts von Freitag von einer Erntemenge von 10 000 Tonnen aus, das wäre knapp die Hälfte des Vorjahres. Dagegen zeichnet sich nach den Erwartungen mit 2100 Tonnen und einem Zuwachs von 23 Prozent eine gute Mirabellenernte ab.
Bei den Äpfeln rechnet das Landesamt mit etwa 337 000 Tonnen. Das wären 16 Prozent weniger als im vergangenen Jahr, aber immer noch ein Wert im Bereich des Durchschnitts der vergangenen Jahre. Auch am Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee sind die Hoffnungen auf eine sehr gute Saison nicht so groß. „Wir werden zwar am Zentrum eine gute Qualität
erreichen, aber der Aufwand, den wir betreiben, ist in diesem Jahr enorm hoch“, sagt Betriebsleiter Werner Leibinger. Schorf, Mehltau und Regenflecken träten wegen des feuchten Wetters häufiger auf als sonst, es müssten mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.
„Es werden mehr Äpfel als sonst in der Vermarktungsschiene landen und zu Saft oder Mus verarbeitet“, schätzt Leibinger. Durch die stärkere Sortierung und den erhöhten Aufwand beim Spritzen stiegen zudem die Kosten für die Obstbauern. Hoffnungen könnte ihnen noch ein goldener Herbst machen. „Wenn wir den bekommen, haben wir ein gutes Erntewetter. Das kann das eine oder andere noch relativieren.“
Es gebe in diesem Jahr im ganzen Land recht unterschiedliche Voraussetzungen und Erntebedingungen, sagt auch Verbandssprecherin Amstutz. Fest stehe aber, dass die Ernteerwartung von Ende Juni wetterbedingt deutlich nach unten korrigiert werden müsse. Konkrete Zahlen will der Verband am 25. August vorlegen.