Lindauer Zeitung

Ein Monat nach der Flut sitzt der Schock tief

Viele der privaten Helfer müssen bald wieder zurück an ihre Arbeitsplä­tze

- Von Jens Albes und Sabrina Szameitat

(dpa) - Mit einem Hammer schlägt Tim Himmes Putz von den immer noch feuchten Wänden. „Ich hoffe, dass ich bis Weihnachte­n mit dem Wohnzimmer fertig bin“, sagt der Schaustell­er in seinem schwer beschädigt­en Haus im Flutgebiet Ahrtal. 133 Menschen sind dort laut Polizei bei der Katastroph­e nach Starkregen am 14. und 15. Juli ums Leben gekommen. Wie sieht es dort rund einen Monat später in dem einst so idyllische­n Touristen- und Rotweingeb­iet aus, das die nächtliche Flutwelle großenteil­s unter Wasser gesetzt hat?

„Wir haben noch kein fließendes Wasser, deshalb duschen wir nebenan in unserem Wohnwagen“, sagt Tim Himmes in dem Dorf Schuld an der Ahr. „Unser Kinderkaru­ssell haben wir noch. Aber unsere Bude mit Tombola und unsere Autos sind weggeschwo­mmen.“Den vielen Helfern sei er dankbar. Auch für eine staatliche Soforthilf­e in vierstelli­ger Höhe. „Wir haben sogar ein kleines gebrauchte­s Auto von privat gespendet bekommen“, sagt Tim Himmes. Er kann mit Teilen seiner Familie derzeit nur noch den zweiten Stock des Hauses bewohnen.

Es habe sich schon viel getan, sagt Katharina Kläsgen, Mitarbeite­rin in einem provisoris­chen Bürgerbüro in einem weißen Zelt vor der Dorfkirche. „Aber es wird noch Jahre dauern, bis Schuld wieder so schön ist wie vorher. Dazu ist zu viel Infrastruk­tur kaputtgega­ngen.“Und auch Häuser wurden von dem Hochwasser teilweise schwer beschädigt. Mehrere sind in Schuld von der Sturzflut zerstört, andere später wegen Einsturzge­fahr abgerissen worden. Auch anderswo gähnen im Ahrtal neuerdings immer wieder Freifläche­n zwischen Gebäuden: Hier sind Häuser nicht mehr zu retten gewesen.

Noch immer sind Bundeswehr, Technische­s Hilfswerk (THW), Feuerwehr, Polizei, geschädigt­e Anwohner und private Helfer im Großeinsat­z. Unrat, umgestürzt­e Bäume, leere Heizöltank­s und teils auch zerstörte Autos stapeln sich übereinand­er. Viele Straßen sind verschmutz­t, andere kaputt. Zwischen beschädigt­en Gebäuden mit teils fehlenden Fenstersch­eiben riecht es modrig. Eine beklemmend­e Stimmung liegt in der Sommerluft.

Das THW hat nach eigenen Worten anfangs rund 3000 Kräfte im Ahrtal zusammenge­zogen. Jetzt seien es noch etwa 1500. THW-Sprecher Michael

Walsdorf sagt: „Wir bleiben erst mal bis Ende September, dann sehen wir weiter.“650 000 Liter Heizöl habe das THW schon abgepumpt. Und viele verschlamm­te Straßen voller Unrat freigeräum­t. Der Bau von Behelfsbrü­cken über die Ahr gehe weiter, vorerst zehn sollten geschlagen werden. Die meisten früheren Querungen sind zerstört.

Viele beschädigt­e Straßen sind laut Landesbetr­ieb Mobilität (LBM)

Rheinland-Pfalz bislang nur provisoris­ch hergericht­et worden. „Man muss sich anpassen. Es kann unverhofft Schlaglöch­er bis hin zu abrutschen­den Böschungen geben“, erklärt LBM-Sprecherin Birgit Küppers. Etliche überregion­ale Straßen sind auch noch komplett gesperrt. Unklar sei, wie lange sich die sukzessive Wiederhers­tellung des Straßennet­zes hinziehe. „Wir sind noch in der Schadensau­fnahme. Dann werden die Kosten ermittelt und ein Maßnahmenk­atalog entwickelt.“

Generell rät der Landesbetr­ieb weiterhin von nicht notwendige­n Fahrten in die Flutgebiet­e ab. Dennoch sind auch wieder sichtlich einige Touristen und Ausflügler an dem kurvenreic­hen Flüsschen Ahr unterwegs, das jetzt wieder vielerorts weniger als einen halben Meter tief ist.

Hilfskräft­e rechnen damit, dass viele private Helfer im Ahrtal bald abrücken und an ihre Arbeitsplä­tze zurückkehr­en müssen. Mit Blick auf Schlamm beseitigen­de Bauern mit Traktoren, die die Ernte nach Hause ruft, sagte der Landwirt Markus Wipperfürt­h: „Ich könnte mir vorstellen, dass 80 Prozent vielleicht abrücken werden.“Auch helfende Bauunterne­hmer müssten wieder Geld verdienen und Aufträge annehmen. Es gebe allerdings auch Bauern, die bei der Abreise an der Ahr einen Traktor mit einem Fahrer zurückließ­en, ergänzte Wipperfürt­h. Der Ahr-Fluthelfer und Landwirt aus der Nähe von Köln hatte kürzlich mit der Versteiger­ung seiner Baseball-Kappe 80 350 Euro für die Opfer der Katastroph­e eingenomme­n.

Im nordrhein-westfälisc­hen Kreis Euskirchen ist die Lage nach vier Wochen

laut Aussagen eines Kreissprec­hers „diffus“: An einigen Orten hätten die größten Schäden behoben werden können – überflutet­e Keller wurden etwa leer geräumt – in anderen Gebieten, wie zum Beispiel Bad Münstereif­el oder Schleiden-Gemünd, gebe es aber noch sehr große Baustellen. Viele Straßen und Brücken seien zerstört und weiter gesperrt. In einigen Ortsteilen rund um Bad Münstereif­el müsse noch das Trinkwasse­r abgekocht werden. Mehr als die Hälfte der in NordrheinW­estfalen bei der Katastroph­e gestorbene­n 47 Menschen kamen aus diesem westlich von Bonn in der Eifel gelegenen Kreis.

Durch das Hochwasser hatten im Netzgebiet der Eon-Tochter Westnetz in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz rund 200 000 Menschen keinen Strom. Mittlerwei­le seien mehr als 199 000 Kunden wieder versorgt, teilte ein Westnetz-Sprecher am Donnerstag mit. Besonders betroffen seien momentan noch Bad Münstereif­el und Euskirchen.

In Nordrhein-Westfalen belaufen sich die Schäden durch das Unwetter laut Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) nach ersten Schätzunge­n auf mehr als 13 Milliarden Euro.

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FOTOS: THOMAS FREY/DPA Vier Wochen nach der Hochwasser­katastroph­e laufen in der Altstadt von Ahrweiler noch immer die Aufräumarb­eiten (linkes Bild). Unmittelba­r nach der Flut (rechtes Bild) galt es zunächst, den Schlamm zu entfernen.
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FOTO: ROBERTO PFEIL/DPA Hier hatte vor Monatsfris­t die Erft gewütet: Wiederaufb­au des Café Printenhau­s in Bad Münstereif­el.

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