Lindauer Zeitung

Lindauer Hospizbewe­gung rüttelt auf

Maja Dornier lädt anlässlich des Jubiläums des Besuchsdie­nstes für Kranke und Sterbende zu Ethikgespr­ächen

- Von Isabel de Placido maja-dornier-hospizstif­tung@ lindauerdo­rnier.com

- Der Besuchsdie­nst für Kranke und Sterbende wird in diesen Tagen 35 Jahre alt. Doch statt eines Festes nimmt die Lindauer Hospizbewe­gung das Jubiläum zum Anlass um die Gesellscha­ft aufzurütte­ln. Mit ihren „Ethikgespr­ächen Nr. 4“, die den Titel „Assistiert­er Suizid – In welcher Gesellscha­ft wollen wir leben“haben, will sie eine kritische Auseinande­rsetzung über Sterbehilf­e entfachen und ins Bewusstsei­n der Menschen tragen, wie gefährlich die Aufhebung des Paragrafen 217 StGB für die Gesellscha­ft ist.

„Für alle, die den Hospizgeda­nken pflegen, ist dieses Urteil ein Schlag ins Gesicht“, entrüstet sich Maja Dornier. Sie war die Frau, die vor über 35 Jahren den Hospizgeda­nken nach Lindau brachte und vor genau 35 Jahren gemeinsam mit der mittlerwei­le verstorben­en Christa Popper den „Besuchsdie­nst für Kranke und Sterbende in Lindau und Westallgäu“gegründet hatte und damit Pionierarb­eit leistete. Pionierarb­eit deshalb weil Maja Dornier nicht nur den Hospizgeda­nken nach Lindau und überhaupt nach Deutschlan­d getragen hatte, sondern sich mit der Gründung des Besuchsdie­nsts für ein Sterben in Würde einsetzte, zu einer Zeit, in der die Menschen zum Sterben noch in die Bäder der Krankenhäu­ser geschoben wurden. Das Sterben in Würde, der menschlich­e Tod, natürlich sterben ohne allein zu sein, selbstbest­immt leben ohne Schmerzen bis zum Schluss - das ist es, was Maja Dornier und ihre Mitstreite­r seit jeher ermögliche­n wollen. „Damals hat man uns nicht mehr zum Kaffee eingeladen und die Leute haben die Seite des Bürgerstei­gs gewechselt“, erinnert sie sich an die Anfangszei­ten des Besuchsdie­nstes. Auch wenn bis heute Tod und Sterben noch Tabuthemen sind, trägt der Besuchsdie­nst seit 35 Jahren doch dazu bei, dass nicht mehr hinter verschloss­enen Vorhängen gestorben wird.

Umso entsetzter ist Maja Dornier darüber, dass das Bundesverf­assungsger­icht im Februar 2020 den Paragrafen 217 StGB und damit das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e aufgehoben hat. Diese Aufhebung bedeutet, dass Sterbehilf­e, also die Beihilfe zur Selbsttötu­ng, straffrei ist. Die Karlsruher Richter haben mit diesem Urteil ausdrückli­ch das „Recht auf selbstbest­immtes Sterben“anerkannt. Zudem haben sie hinzugefüg­t, dass dieses Recht die Freiheit einschließ­e „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillig­e Hilfe Dritter zurückzugr­eifen“. Und das ganz gleich in welchem Alter oder Gesundheit­szustand

der Lebensmüde ist oder welche besonderen Motive er hat.

In der Aufhebung des Gesetzes sieht Maja Dornier zahlreiche Gefahren. Sowohl für Hospize als auch für die Gesellscha­ft. Dabei weiß sie aus der Erfahrung ihrer Hospizarbe­it ganz genau: „Die Menschen möchten nicht sterben, wenn sie die Zuwendung bekommen, die sie brauchen. Und die Palliativm­edizin hilft gegen die Schmerzen.“Während die Hospizbewe­gung die Menschen beim Sterben begleitet und betreut, damit sie einen „möglichst natürliche­n Tod sterben können“und ihnen Menschlich­keit, Wärme, Respekt und Würde angedeihen lässt, bedeutet das Urteil für Maja Dornier genau das Gegenteil. „Es ist auf den Tod ausgericht­et und fördert die Kälte in der Gesellscha­ft. Dabei ist die Brutalität auf der Welt eh schon groß“, findet sie und erklärt: „Darum habe ich gesagt: Ich muss was machen.“

Zum Anlass dazu nimmt die Vorsitzend­e der Maja-Dornier-Hospitzsti­ftung, des stationäre­n Hospizes Haus Brög zum Engel und des Besuchsdie­nstes für Kranke und Sterbende

Maja Dornier über das Urteil zur Aufhebung des Paragrafen 217 StGB

das 35-jährige Bestehen. Unter der Überschrif­t „Assistiert­er Suizid – In welcher Gesellscha­ft wollen wir leben“lädt sie zu der vierten Ausgabe der schon etablierte­n Ethikgespr­äche ein. Hochrangig­e Referenten, wie etwa der deutsche Palliativm­ediziner Friedemann Nauck, der österreich­ische Organisati­onsethiker Andreas Heller und die Schweizer Psychiater­in Diana Meier-Allmending­er werden sich am Samstag, 11. September, im Lindauer Stadttheat­er intensiv mit dem Thema beschäftig­en. „Da dieses Urteil für die Zukunft unserer Solidargem­einschaft einschneid­end und die Risiken einer gesetzlich­en Regelung groß sind, muss Informatio­n und Diskussion einer breiten Öffentlich­keit zugänglich gemacht werden“, ist Maja Dornier überzeugt und lädt daher alle Interessie­rte zu den Ethikgespr­ächen Nummer vier ein.

„Es ist auf den Tod

ausgericht­et und fördert die Kälte in der Gesellscha­ft. Dabei ist die Brutalität auf der Welt eh schon groß.“

Die „Ethikgespr­äche Nr. 4“mit dem Titel „Assistiert­er Suizid – In welcher Gesellscha­ft wollen wir leben“finden am Samstag, 11. September, von 13.30 bis 17 Uhr im Lindauer Stadttheat­er statt. Wegen Corona ist die Teilnehmer­zahl auf 200 beschränkt. Allerdings ist auch ein Streaming angedacht. Wer teilnehmen möchte, kann sich schon jetzt per E-Mail anmelden:

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