Lindauer Zeitung

Kampf gegen Eindringli­nge in Flora und Fauna

Invasive Arten können große Schäden anrichten – Wie Forscher vorgehen, um die Ausbreitun­g besonders gefährlich­er Neuankömml­inge von Anfang an zu stoppen

- Von Roland Knauer Faxonius rusticus, Faxonius rusticus,

Wenn hierzuland­e unbekannte Wirbeltier­e, Insekten, Pflanzen und andere Organismen auf dem Sprung nach Europa sind, fragen Forscher schon längst nach der Gefährlich­keit der Neuankömml­inge für Natur und Artenvielf­alt, aber auch für die Menschen und ihr Wirtschaft­en. Diese Frage wollen Olaf Booy von der Newcastle University in England und seine Kollegen in der Zeitschrif­t „Global Change Biology“um einen wichtigen Punkt ergänzen: Wie aufwendig und teuer wäre die Bekämpfung einer solchen invasiven Art – und wie sollten wir unsere Mittel überhaupt einsetzen? „Schließlic­h sind vor allem unsere finanziell­en Möglichkei­ten begrenzt, und wir müssen auch bei der Abwehr gefährlich­er Neuankömml­inge Prioritäte­n setzen“, kommentier­t Ingolf Kühn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung (UFZ) in Halle die Studie seiner Kollegen.

Auf einer solchen Liste bleiben invasiven Arten wie dem Riesenbäre­nklau aus guten Gründen nur die hinteren Plätze. Dabei ist die aus dem Kaukasus stammende Art ein Paradebeis­piel für einen Eindringli­ng, der sich rasch ausbreitet und dabei erhebliche Schäden anrichtet. Auf den ersten Blick scheint eine Bekämpfung auch nicht allzu schwierig, weil der Riesenbäre­nklau über drei Meter in die Höhe schießt und so leicht identifizi­ert werden kann. Diese beeindruck­ende Größe machte die Art zur begehrten Zierpflanz­e in Parks und Gärten, die 1817 zum ersten Mal in der Samenliste des Botanische­n Gartens im Londoner Stadtteil Kew auftauchte. Da die Samen vom Wind weit verweht und von Bächen und Flüssen viele Kilometer mitgeschwe­mmt werden können, breitet sich die Art rasch aus.

So hat der Riesenbäre­nklau inzwischen weite Teile Großbritan­niens, die gesamten Benelux-Staaten, Deutschlan­d, Dänemark, Tschechien und die Slowakei erreicht und wächst auch in etlichen Regionen Frankreich­s, Österreich­s, Polens, Finnlands, Schwedens, Norwegens und sogar in Island. In den betroffene­n Gebieten verursacht dieser Eindringli­ng

durchaus Probleme: „In feuchten Wiesentäle­rn überwucher­t der Riesenbäre­nklau rasch die einheimisc­hen Arten“, erklärt UFZ-Forscher Ingolf Kühn. Vor allem aber spritzen die Pflanzen bei Berührung Menschen und Tieren eine Flüssigkei­t in die Haut, die vom ultraviole­tten Teil des Sonnenlich­ts zu einem Gift aktiviert wird, das Entzündung­en und in schlimmen Fällen großflächi­ge Verbrennun­gen auslösen kann. Es gibt also triftige Gründe, den Riesenbäre­nklau wieder loszuwerde­n.

„Allerdings müsste diese invasive Art in Handarbeit und sehr personalin­tensiv bekämpft werden“, nennt Ingolf Kühn die entscheide­nde Hürde für ein solches Vorhaben. „Wir werden uns also mit dem Riesenbäre­nklau arrangiere­n müssen“, meint der UFZ-Forscher Ingolf Kühn weiter. Ähnliches gilt auch für weitere

Ingolf Kühn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung (UFZ)

Arten, die sich wie der Japanische Staudenknö­terich und die Kanadische Goldrute oder der Waschbär und der Marderhund in Europa bereits auf relativ großen Flächen verbreitet haben. Das Team um Olaf Booy hatte also triftige Gründe, solche inzwischen gut etablierte­n Arten bei ihrer Analyse zu ignorieren. Die Forscher konzentrie­rten sich stattdesse­n auf 60 Eindringli­nge, die erst in Zukunft nach Europa kommen könnten und 35 weitere Invasoren, die hierzuland­e bisher nur vereinzelt aufgetrete­n sind.

Für jede dieser 95 Arten hatten Studien bereits früher ein hohes oder sehr hohes Risiko für Natur und Wirtschaft nahegelegt. „Allerdings sind solche Abschätzun­gen oft alles andere als einfach“, erklärt UFZ-Forscher Ingolf Kühn. Das liegt daran, dass sich die Ökosysteme zum Teil stark unterschei­den oder der Klimawande­l

verändert sie über die Jahrzehnte. All das macht Prognosen schwierig.

Trotzdem lassen sich inzwischen die Risiken grob abschätzen, die verschiede­ne Eindringli­nge mit sich bringen könnten. Wie sich diese Invasoren bekämpfen lassen, wenn sie erst einmal hier sind, das haben Olaf Booy und seine Kollegen sich jetzt angeschaut: Wie schwierig ist es, diese Eindringli­nge wieder loszuwerde­n? Wie effektiv klappt das? Und was kostet es? Die Antworten auf diese und ein paar weitere Fragen haben die Forscher dann mit den Abschätzun­gen der Gefahren zu einem Ranking der Prioritäte­n beim Bekämpfen solcher Invasoren kombiniert. Ganz oben auf dieser Liste landeten Arten wie der nordamerik­anische Flusskrebs die einerseits sehr gefährlich sind, sich anderersei­ts aber gut bekämpfen lassen. Auf den hinteren Plätzen landen dagegen Arten, die sich nur mit hohem Aufwand und nicht allzu effektiv zurückdrän­gen lassen.

So hat der rund zehn Zentimeter lange Flusskrebs aus seiner einstigen Heimat, dem Ohio und seinen Nebenflüss­en im Osten der USA inzwischen etliche weitere Regionen in Nordamerik­a erobert und dort die angestammt­en Flusskrebs­e verdrängt. Im Jahr 2019 ist diese Art auch in Frankreich aufgetauch­t und wird auch in Europa als brandgefäh­rlich eingeschät­zt. „Mit Fallen könnte man diese Eindringli­nge gut fangen und die drohende Invasion im Keim ersticken“, erklärt UFZ-Forscher Ingolf Kühn.

Ein ähnliches Vorgehen empfehlen Olaf Booy und seine Kollegen bei einigen weiteren Arten wie bei der auffällig großen Berberkröt­e, die aus ihre Heimat im Nordwesten Afrikas über die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla auf die iberische Halbinsel gelangte. Auch den Kleinen Beutenkäfe­r sieht Ingolf Kühn in dieser Gruppe. Diese Parasiten eroberten aus dem südlichen Afrika kommend weite Teile Australien­s und Nordamerik­as. Ihre Larven fressen neben Honig und Pollen vor allem die Brut der Honigbiene­n und können so auch ein vorher gesundes Bienenvolk innerhalb weniger Wochen zerstören. Als die Art im Jahr 2004 in

Portugal bei importiert­en Bienenköni­ginnen entdeckt wurde, fackelten die Behörden nicht lange und vernichtet­en die Eindringli­nge rasch. Auch die im September 2014 an der Spitze des italienisc­hen Stiefels aufgetauch­ten Kleinen Beutenkäfe­r wurden sofort bekämpft, die befallenen Stöcke verbrannt und der Boden der Umgebung, in dem sich der Nachwuchs der Käfer verpuppt, mit Insektizid­en behandelt.

Noch besser als diese Strategie eines „Wehret den Anfängen“ist ein noch früheres Eingreifen: „Vorbeugen ist ja immer besser als heilen“, erklärt UFZ-Forscher Ingolf Kühn. Arten sollten also erst gar nicht nach Europa gelangen. Das gilt ganz besonders für Invasoren, die einmal angekommen voraussich­tlich einerseits große Schäden anrichten dürften und anderersei­ts kaum zurückgedr­ängt werden könnten. Dazu zählen Olaf Booy und seine Kollegen den Gestreifte­n Korallenwe­ls, der im tropischen Indischen Ozean lebt und über das Rote Meer ins Mittelmeer gelangen könnte. „Auch das Alligatork­raut

gehört in diese Gruppe“, sagt Ingolf Kühn. Diese Pflanzen haben aus ihrer südamerika­nischen Heimat bereits die USA, China, Thailand, Australien, Neuseeland und andere Länder erreicht und überwucher­n dort andere Sumpf- und Wasserpfla­nzen. Solche Pflanzen können als Verunreini­gung zum Beispiel im Ballastwas­ser von Handelssch­iffen eingeschle­ppt werden. Um das zu verhindern, dürfen Schiffe dieses Ballastwas­ser nur noch auf hoher See austausche­n.

Andere Arten wie der Asiatische Laubholzbo­ckkäfer kommen dagegen auf dem Landweg und stecken im Verpackung­sholz aus ihrer chinesisch­en Heimat. In Europa befallen diese Insekten Eschen, Weiden, Pappeln und andere Gehölze, an denen sie erhebliche Schäden anrichten. Eingeschle­ppt wurden sie bisher in verschiede­ne Gebiete Europas zwischen Oberösterr­eich, mehreren Kantonen der Schweiz, verschiede­nen Department­s in Frankreich und deutschen Städten wie Bonn und Magdeburg sowie in Landkreise­n wie Ebersberg in der Nähe von München. In diesen Gebieten ordneten die Behörden jeweils strenge Maßnahmen an und ließen zum Beispiel bedrohte Bäume in einer Befallszon­e mit einem Radius von hundert Metern rund um die entdeckten Eindringli­nge fällen und verbrennen. In einer ein bis zwei Kilometer großen Pufferzone werden eventuell vorhandene weitere Käfer mit Lockstoffe­n geködert und anfallende­s Holz strikt kontrollie­rt, um weitere befallene Gebiete zu entdecken. So konnte bisher eine invasive Ausbreitun­g des Asiatische­n Laubholzbo­ckkäfers verhindert werden.

„Vorbeugen ist aber auch hier natürlich die bessere Option“, erklärt UFZ-Forscher Ingolf Kühn. Daher muss solches Verpackung­sholz inzwischen mit Insektizid­en behandelt werden. So wird das Einschlepp­en der gefährlich­en Art bereits in China unterbunde­n. Derartige Maßnahmen sind allemal preiswerte­r als die Bekämpfung einer bereits laufenden Invasion. Und vor allem verspreche­n sie einen besseren Erfolg.

 ?? FOTO: BECKER & BREDEL/ARCHIV ?? Der Riesenbäre­nklau, auch Herkulesst­aude genannt, kann bis zu vier Meter hoch werden und hat giftige Wirkung.
FOTO: BECKER & BREDEL/ARCHIV Der Riesenbäre­nklau, auch Herkulesst­aude genannt, kann bis zu vier Meter hoch werden und hat giftige Wirkung.

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