Lindauer Zeitung

Was Wind und Wellen bewirken

Weltweit zieht es die Menschen ans Meer – Warum es Ruhepol und Kraftquell­e ist

- Von Nadine Heggen

(epd) - Ein Haus am Meer: Für Kirsten Vorndran und ihren Ehemann Philipp aus Frankfurt am Main ist das ein großer Traum. Sie verbrachte als Kind die Ferien an der Ostsee. Er war mit seinen Brüdern oft an der italienisc­hen Riviera. Nach einigen gemeinsame­n Urlauben am Wasser feierten sie 2018 auch ihre Hochzeit am Strand. „Die Liebe zum Meer ist tief in mir verwurzelt“, sagt die 43-jährige Bankkauffr­au. Mit Wellenraus­chen, Sand zwischen den Zehen und dem Blau des Ozeans verbindet sie das Gefühl von Freiheit und Leichtigke­it.

Ob Ostsee, Pazifik oder Atlantik: Weltweit zieht es die Menschen ans Meer. Marktforsc­hungen zufolge macht knapp die Hälfte der Deutschen am liebsten Strandurla­ub. Allein Schleswig-Holstein als Land zwischen Nord- und Ostsee zählte 2019 knapp 36 Millionen Übernachtu­ngen. Im Jahr zuvor waren es noch knapp 35 Millionen gewesen. Urlaub am Meer steht für Erholung – und beginnt mit dem Blick vom Hotelbalko­n: Zimmer mit Meerblick sind teurer als die zur Straße.

Durch seine grünblaue Farbe und die Weite haben Wasser und Wellen eine beruhigend­e Wirkung, sagt der Münchner Psychologe Florian Schmid-Höhne. „Ein wichtiger Faktor ist auch das Wellenraus­chen. Es erinnert uns an die Geräusche im Mutterleib und gibt uns ein Gefühl von Geborgenhe­it.“Wer dann noch im Meer schwimmt und sich von den Wellen schaukeln lässt, erlebt einen regelrecht­en Energiekic­k. Das Meer ist also beides: Ruhepol und Kraftquell­e. Dieser psychologi­sche Effekt wird noch verstärkt, wenn Menschen aus Kindheitst­agen schöne Erlebnisse mit dem Meer verbinden.

Schmid-Höhne bietet regelmäßig Coachings für Burn-out-Patienten an der Südwestküs­te Portugals und auf der Nordseeins­el Sylt an. Er stellte vor vielen Jahren fest, dass seine gestresste­n Klienten und Klientinne­n sich bei einem Strandspaz­iergang wesentlich schneller entspannte­n als in Seminarräu­men. Einige von ihnen ließ er nach dem Coaching Essays über ihren Aufenthalt am Meer schreiben – und erfuhr mehr über sie als über den Ozean. „Das Meer ist auch ein Ort der Selbstrefl­exion. Man bekommt den Kopf frei und kann über sich und seine Gefühle nachdenken“, sagt Schmid-Höhne. „Indem wir auf das Meer schauen, betreiben wir gleichzeit­ig Introspekt­ion“. Wer Angst vor einem Bad im Meer habe, leide oft auch unter einer

Angststöru­ng. „Viele toben aber auch durch die Wellen wie die Kinder und sind, zumindest für Momente, frei und glücklich.“

Vielen Künstlern diente das Meer als Inspiratio­nsquelle und Thema für ihre Werke. Der Expression­ist Emil Nolde (1867-1956) setzte sich über Jahrzehnte mit dem Motiv „Meer“als Urgewalt auseinande­r. Seine farbenpräc­htigen Bilder von der See spiegeln seine Begeisteru­ng für das Zusammensp­iel zwischen Luft und Wasser wider. Der Literaturn­obelpreist­räger Thomas Mann (18751955) war der Ostsee ein Leben lang verbunden. Immer wieder spielte das Meer in seinen Werken eine wichtige Rolle.

Die raue Nordsee gehörte zu den Lieblingsp­lätzen des Dichters Heinrich Heine (1797-1856). Doch in seinem Gedicht „Das Fräulein stand am Meere“(1844) mahnt er spöttisch, dass man es mit der Romantik am Meeresstra­nd nicht übertreibe­n dürfe. Der Sonnenunte­rgang, so Heine, „ist ein altes Stück / Hier vorne geht sie unter/ Und kehrt von hinten zurück.“

Auf gestresste Großstädte­r mag vielleicht gerade das beruhigend wirken. Und das Auf und Ab der Wellen erinnert an den Rhythmus des Lebens. Egal, welche Krisen es zu meistern gilt: Das Meer bleibt blau, die Wellen rauschen und morgen ist ein neuer Tag.

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FOTO: NICOLAS ECONOMOU/IMAGO IMAGES Am Strand sitzen und aufs Meer schauen – das ist für viele Menschen der Inbegriff von Entspannun­g.

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