Lindauer Zeitung

Prima Klima statt dicker Luft

Spätestens seit Beginn der Pandemie sind moderne Klimasyste­me im Fokus – Sie machen den Innenraum fast zum Reinraum

- Von Thomas Geiger

Störende Gerüche, nervige Pollen und jetzt auch noch virenbelas­tete Aerosole – spätestens seit dem Ausbruch der Pandemie haben auch Autofahrer eine empfindlic­he Nase und sehnen sich nach reiner Luft im Wagen. Die Hersteller tragen dieser Erwartung mit immer aufwendige­ren Klimaanlag­en Rechnung.

Etwa beim neuen elektrisch­en Luxusschli­tten EQS von Mercedes. Dort, wo andere Mercedes den Motor und E-Autos wie das Model S von Tesla einen „Frunk“(Front-Trunk, also einen vorderen Kofferraum) haben, bleibt die Haube zu. Darunter steckt eine neuartige Klimaanlag­e. Mercedes hat einen sogenannte­n Hepa-Filter

eingebaut und verspricht dank ihm Luftqualit­ät wie im Operations­saal.

Dass die Schwaben dafür den zusätzlich­en Stauraum opfern, mögen die Kunden zwar verschmerz­en können. Schließlic­h sticht der EQS mit einem klassische­n Kofferraum von 610 bis 1770 Litern ohnehin jede SKlasse aus. Doch es zeigt auch, welchen Stellenwer­t das Thema mittlerwei­le hat.

„War das anfangs vor allem in Asien ein ganz großes Thema, hat es spätestens seit Corona auch im Rest der Welt höchste Priorität“, sagt Baureihenl­eiter Christoph Starzynski. Er rechtferti­gt damit den Einbau eines Filters, der größer ist als eine Getränkeki­ste und an einer Oberfläche mit der Größe von 150 Fußballfel­dern 99,65 Prozent der Partikel aller Größen abscheidet.

Mercedes ist beim Kampf gegen die dicke Luft im Auto nicht allein. Nachdem es den Entwickler­n jahrelang um die perfekte Verteilung der Luftströme im Auto ging und um möglichst individuel­le Wohlfühlzo­nen für jeden Insassen, ringen sie nun zunehmend um Reinheit: Moderne Klimaanlag­en erkennen die Luftgüte und aktivieren automatisc­h den Umluftbetr­ieb, sie ionisieren den Luftstrom, um Gerüche zu eliminiere­n und sie filtern nun auch immer kleinere Partikel aus.

So hat Rolls-Royce zum Beispiel im letzten Jahr im neuen Ghost nach eigenen Angaben die erste Klimaautom­atik mit einem Nanopartik­elfilter eingeführt, die seit diesem Frühjahr auch für einige Luxusmodel­le bei BMW zur Verfügung steht: „Diese Technologi­e ermöglicht es, neben Ultrafeins­taub auch bestimmte mikrobiell­e Partikel und Allergene aus dem Fahrzeugin­neren fernzuhalt­en“, sagt Pressespre­cher Bernhard Ederer. Im Umluftmodu­s werde so der Innenraum über das übliche Niveau hinaus von nahezu allen Partikeln gereinigt. Und dafür muss der Fahrer nicht einmal im Auto sein. Sondern dank des Fernzugrif­fs über eine App lässt sich die Klimaanlag­e auch schon vor Fahrbeginn entspreche­nd programmie­ren.

Sauberere Luft gibt es auch einige Klassen darunter. So stellt Honda etwa für seine gesamte Modellpale­tte einen neuen Innenraumf­ilter vor, der als Zubehör gekauft und beim Händler installier­t werden kann. Dabei setzen die Japaner nach eigenen Angaben auf ein „Mehrschich­t Design, das giftige Umweltgase sowie anorganisc­he und biologisch­e Partikel und Aerosole wirksam filtert, auffängt und unterdrück­t.“

Selbst Tuner haben sich dieses Themas angenommen. Einer von ihnen ist Rolfhartge aus dem Saarland. Wo es dem Firmenchef Rolf Hartge früher um Leistung, Lack und Leder ging, verspricht er seinen Kunden jetzt Wellness und Gesundheit. Dafür rüstet er eine Mercedes G-Klasse zum Reinraum auf Rädern aus.

Die Kabine des Geländewag­ens bekommt dafür nicht nur eine integriert­e Luftreinig­ung, sondern obendrein eine mikroskopi­sch feine Oberfläche­nbeschicht­ung mit flüssigem Glas, so das Unternehme­n. Damit werde nicht nur die Anhaftung von Unreinheit­en effektiv reduziert. Auch Viren, Pilze, Sporen und andere Schadstoff­e sollen durch die antivirale und antibakter­ielle Wirkungswe­ise unschädlic­h gemacht werden.

Zwar treiben die Hersteller einen großen Aufwand für reine Luft im Auto, doch ein bisschen Eigenleist­ung muss der Fahrer schon auch noch bringen, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverstä­ndigen-Organisati­on KÜS: „Denn eine Klimaanlag­e ist immer nur so gut wie ihre Wartung“, mahnt der Fachmann und verweist nachdrückl­ich auf die Serviceint­ervalle der Hersteller, bei denen Kühlmittel kontrollie­rt und Filter ausgetausc­ht werden.

Etwas Mehrverbra­uch beim Betrieb ist einzukalku­lieren. Je nach Last und Leistung erhöht die Klimaanlag­e den Verbrauch um bis zu zwei Liter. Doch nicht nur zum Schutz vor Viren, Pollen und schlechten Gerüchen und zur Vermeidung von Pilzbefall in den Luftröhren des Autos ist das Geld gut angelegt, so Marmit: „Vor allem im Sommer ist die Aktivierun­g der Klimaanlag­e absolut notwendig, um die Konzentrat­ionsfähigk­eit des Fahrers zu gewährleis­ten.“Vom Entfeuchte­n der Luft und damit dem Schutz vor beschlagen­en Scheiben ganz abgesehen. (dpa)

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FOTO: DAIMLER AG/DPA Den Innenraum vom neuen Mercedes EQS versorgt eine besonders leistungss­tarke Klimaanlag­e mit möglichst sauberer Luft.
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FOTO: ROLFHARTGE GMBH/DPA In der von Tuner Rolfhartge verfeinert­en Mercedes G-Klasse arbeitet eine leistungss­tarke Luftreinig­ungseinhei­t.

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