Versagen in jeder Beziehung
Es ist so unfassbar, was in Afghanistan passiert. Der seit 20 Jahren dauernde Nato-Einsatz in dem Land ist offiziell noch nicht einmal beendet, und die radikal-islamischen Taliban haben das Land bereits unter ihrer Kontrolle. Während sie vor der Machtübernahme in Kabul stehen, fürchten Tausende Menschen, die Deutschland schlicht im Stich gelassen hat, um ihr Leben. Dass es so weit kommen konnte, spricht für ein ungeheures Versagen der Bundesregierung. Seit Jahren wird darüber gestritten, welche Ortskräfte in Deutschland eine Zukunft haben sollen, wenn die Bundeswehr das Land verlässt. Doch selbst als sich abzeichnete, in welch ungeheurem Tempo die Taliban das Land einnehmen, hat die Bundesregierung gezaudert, anstatt einfach zu helfen. Die Transportmaschinen, die auf dem Weg Richtung Kabul sind, reichen nicht, um die Menschen rasch in Sicherheit zu bringen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich an seinem 69. Geburtstag über 69 abgeschobene Afghanen gefreut hatte, räumte in einem Interview ein, dass die Lage in Afghanistan „ein Desaster“sei. Bis vor wenigen Tagen sah sein Ministerium allerdings keinen Grund, Abschiebungen dorthin auszusetzen. Das ist nur ein Beleg für die komplette Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan. Offensichtlich wollte die Bundesregierung nicht wahrhaben, dass die Ergebnisse des Militäreinsatzes, der den deutschen Steuerzahler 12,5 Milliarden Euro gekostet hat, innerhalb weniger Wochen verpufft sind. Das eigentliche Desaster sind aber nicht die vergeudeten Ausgaben, sondern dass die Afghanen, vor allem Frauen und Mädchen, dem Terror der Taliban überlassen werden.
Die bittere Erkenntnis ist: Weder in Berlin noch in Washington scheint vor dem Abzug richtig analysiert worden zu sein, was nach dem Abzug passieren wird. Das ist schlimm für die Menschen, die im Vertrauen auf Deutschland der Bundeswehr geholfen haben. Es ist aber auch ein Debakel für all jene, die sich in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan eine Existenz aufgebaut haben. Ihre Zukunft liegt nun außerhalb des Landes.